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Das
Heldenmaͤdchen
aus der Vendee.
Ein Roman
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RE: von jet
Caroline Baronin de la 9.
geb. von Brieſt.
3
Erſter Theil.
Mit einem Kupfer.
Leipzig, bei Gerhard Fleiſcher dem Jüng.
18 1 6.
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4
69
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? Fein,
Vorwort.
Die Wahrheit bleibt das 1 Keine
Dichtung erſchwingt Größeres, als uns der
tiefſinnige Ernſt der Geſchichte offenbart.
Das fuͤhlte man von je, und ließ zu aller
Zeit die Phantaſie beſtimmt oder un be⸗
ſtimmt in dieſen einzigen wahrhaften Le⸗
bensquell zuruͤcktauchen. | |
Wäre es dem Menſchen gegeben, das Das
ſeyn mit dem Blitz des Erkennens in allen
Theilen, Miſthungen und Verzweigungen be⸗
gleitend zu durchdringen; ſo haͤtten wir weder
Vergangenheit noch Zukunft, ſondern einzig
Allgegenwart. Die haben wir nicht, wie
ſehr auch unſer ganzes Weſen danach ringt.
Das Leben bleibt uns verborgen. Nur Re⸗
ſultate des Geſchehenen und Werdenden reihen
A 2
1
ſich einzeln, oft unverſtaͤndlich aneinander.
Der Tod zerriß die vermittelnden Faͤden der
Erſcheinungen. Truͤbe genug ſehen uns zu
Zeiten die Hieroglyphen an. Verzweifelnd
rufen wir alsdann die Phantaſie zu Hülfe, die
mit ihrem beweglichen Othem die Lebensſeele
anhaucht, und in dem magiſchen Duft der
Ahndung Geweſenes zuruͤckſpiegelt. So ent⸗
ſtehen uns Geſtalt, Farbe, Entwickelung, Zu⸗
ſammenhang, ja die Reproduction eines ge⸗
ſchichtlichen Lebens aus der Hiſtorie der Welt.
Durch dieſe zuruͤckrufende Magie der Ein⸗
bildungskraft iſt gegenwaͤrtiges kleines Werk
erwachſen, das in allen aͤußern Umriſſen
ſtreng hiſtoriſch ſeine organiſche Verknuͤ⸗
pfung gleichwohl einzig offenbarenden Traͤu⸗
men verdankt.
Lange, ehe das Werk der Frau von La⸗
toche Jaquelin erſchien, und mir einen Leit⸗
faden in die Hand gab, ward ich von den
zwei gewaltigen Triebfedern der Revolutions⸗
Fampfe in Frankreich, den Au' ſchweifungen
uͤberfliegenden Freiheitsgeiſtes, die die bin⸗
dende Treue des Glaubens, lebhaft angeſpro⸗
er 5 —
chen. Durch Zeitſchriften, Annalen, Philo⸗
ſopheme und Raiſonnements, beide in ihren
Reibungen folgend, lernte ich jene Helden der
Zeit kennen, in welchen die ſtreitenden Prin⸗
zipien Perſoͤnlichkeit gewannen. Dieſe im
Kampfe mit ſich und dem Geſchicke hinzuſtellen,
das ſelbſt hoͤherer Nothwendigkeit folgend, ſie
zu Werkzeugen des Martyrthums oder der
anregenden Luͤge gebrauchte, ward meine
Aufgabe. f
Treu dem, was if, habe ich die unent⸗
worrenen Raͤthſel gemiſchter Menſchennatur
unangetaſtet gelaſſen. Alle hiſtoriſchen Per⸗
ſonen ſteh'n in der eigenthuͤmlichen Farbe ihres
Charakters da. Keine unweſentliche, darauf
Bezug habende That ihres Lebens, iſt erdich⸗
tet. Die bewahrte Individualitaͤt gegenſeitig
einander beſtimmender Menſchen und Ereig-
niſſe, konnte allein die Phiſionomie jener gaͤh⸗
renden Criſis der Zeit, kenntlich herausheben.
Ich habe ſie uͤberall geehrt, und nie abſichtlich
die Zuͤge in einander gewiſcht. Sich hiervon
zu überzeugen, verweiſe ich meine Leſer auf
die Geſchichte der franzoͤſiſchen Revolution,
— 6 —
die uns äh genug ſteht, und zum Theil glü-
hend in unſerer Erinnerung fortlebt, daher
leicht Maaß und Urtheil an die Hand giebt.
Wenn ich mich auf ſolche Weiſe aber der
Strenge abwaͤgender Vergleichung unterwerfe,
ſo weiß ich gleichwohl am beſten, wie wenig
ich meine Aufgabe im Ganzen loͤſte. Iſt der
innere Klang doch ſtets beſſer als das Wort,
und der hell entſprungene Gedanke ein anderer,
als ſein bleicher, duͤrftiger Wiederſchein auf
dem Papier.
Die Verfaſſerin.
Erſtes Kapitel. 1
Einſam und finſter ſah das alte Schloß Ton⸗
nayboutonne auf die wild vorüberrollende
Charente. Die Zugbruͤcken waren aufgezo—
gen, Thuͤr und Thore verriegelt, alle Lichter
tief in die innern Gemaͤcher verborgen, kein ge—
ſelliger Lebenshauch drang in die ſtumme Nacht.
Ganz dumpf droͤhnten von St. Jean d' An—
geli die Trommeln der Republikaner heruͤber.
Truppenabtheilungen zogen ſchweigend am jen—
feitigen Ufer entlaͤngſt. Die Hütten der Landbe—
wohner ſchienen ausgeſtorben. Hinter ihren weit
aufklaffenden Thuͤren zeigte der kalte, dunkle
Heerd dem Vorüberziehenden die Trümmer gaſt—
licher Lebensordnung. Die Jugend war Schaa⸗
renweiſe unter die Waffen getrieben; in Winkel
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gebe ſeufzte das Alter und (hauen zuſam⸗
enn der Freiheitsbaum ſeine trockenen
ig in der Nachtluft ſchuͤttelte.
In einem obern Saal des Schloſſes, dicht am
Kamin, ſaß der damalige Beſitzer deſſelben, der
Herzog de la Tremouille, vor einem kleinen
Tiſchgen, und ſchuͤrzte mit großer Behen⸗
digkeit Fiſchernetze, als habe er nie etwas an⸗
ders gethan. Er war von mittler, etwas hage⸗
rer Figur. Seine Bruſt ſchien gelitten zu ha⸗
ben, er huſtete oft und kurz, gleichwohl hatte
das Auge den friſcheſten Glanz.
Ueberall waren ſeine Geſichtszuͤge ſehr ſhön,
wenn gleich etwas ſtark gezeichnet, was der Phi⸗
ſionomie bei zunehmendem Mangel an Haaren
etwas Auffallendes gab. Im Munde trug er
eine große Aehnlichkeit mit den Bildern Heinrich
des Vierten. Das wohlwollende Laͤcheln und die
ſchoͤnen Zähne und Lippen, wurden ganz beſon⸗
ders durch den blaͤulichen Glanz ſeines dunkeln
Bartes gehoben, deſſen urfprüngliche Kraft die
geſuchteſte Sorgfalt nicht zu unterdrücken vers
mochte.
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Der Herzog ruͤckte viel auf feit em S tuhle
hin und her, ſchob und drehte an den Lichter:
putzte fie weit öfter als noͤthig war, ku 3,
die große innere Beweglichkeit auf be
kleine Aeußerlichkeiten uͤbergehen.
Etwas ſeitwaͤrts von ihm lehnte in einem
hohen Seſſel die Marquiſe Robillard, aus
dem Stamm der Rochefoucault, dem Hauſe
Tonnayboutonne in ſeinen fruͤheſten Ver—
zweigungen verbunden. Zu ihren Fuͤßen kauerten
zwei kleine Moͤpſe, denen ſie von Zeit zu Zeit
ein langes Scherpeband hinhielt, ſie neckend da⸗
nach haſchen ließ, und es ihnen dann wieder
entzog. Ueber die Thiere hin fahe fie wohl vers
ſtohlen auf den Herzog, zuckte ungeduldig mit
den Schultern, und den Blick faſt herausfor⸗
dernd zum Himmel gehoben, wandte ſie ſich
ganz und gar ab, und that, als lebe ſie nur fuͤr
die Hunde. Voll Ehrfurcht fuͤr ihre Ahnen,
von aufſtrebendem Geiſt, unfaͤhig ſich in der
Wuͤſte zuſammengeſtuͤrzter Trümmer zu finden,
fiel ihr die gelaſſene Ergebung des Herzogs ganz
unertraͤglich, und das kochende Blut nicht mehr
„
— 10 — 5°
nd, ſagte fie mit einem Zwitterläs
dem Scherze wie dem Hohne ange—
hoͤrte n Wahrheit, Herr Herzog, Sie ſchuͤr—
zen Ihre Schlingen ſo emſig in einander, als
witterten Sie ſchon den Feind, gegen den Sie
ſie aufzuſtellen gedenken! Nun, erwiederte Er
mit raſchem Blick auf die Marquiſe, die Spuͤ⸗
rung waͤre eben nicht allzufein! Aber, ſetzte er
mit anmuthiger Sorgloſigkeit hinzu, Sie wiſſen
es wohl, ich werfe Niemanden Schlingen in den
Weg, und komme vielleicht eben. deshalb gefahr⸗
los über die Anderen hinaus! Nein, das nicht,
fiel die Marquiſe heftig ein, nein, das ganz und
gar nicht. Sind Sie nicht etwa ſchon mitten in
das Garn gelaufen? Haben Sie es vergeſſen,
daß man rund um uns her die Waffen ergriffen
hat? Daß Bourdeaur im Aufſtande iſt?
Daß Lion droht? Calvados und Finis
ſtere Viele Tauſende werben, und General
Wimpfen Heute oder Morgen unter den Tho—
ren von Palle ſeyn wird. Bald, Herr Herzog,
bald wird es gelten, ſich zu entſcheiden! Was
habe ich mit den Rebellen zu ſchaffen! erwiederte
er kalt. Das Herz der Hydra, Frau Marguiß,
iſt nur Eines, aber die tauſend Köpfe, machen 2
jeder ein eigenes furchtbares Thier für ſich.
Huͤten wir uns, mit ſolchen Gemeinſchaft zu
machen, ihr Gift befleckt unausloͤſchlich. Das
Recht, zu wollen und zu waͤhlen, unterbrach
ſie ihn raſch, haben Sie verſcherzt. Man wird
Sie zwingen, irgend einer Partie beizutreten.
Der Herzog ſprang ungeduldig vom Stuhl
auf, und lief, wie er es in ſolchen Stimmungen
wohl pflegte, mit beiden Haͤnden krampfhaft in
den Rocktaſchen umhergreifend, das Zimmer auf
und nieder.
Ja, ja, fuhr jene fort, es wird die Zeit
kommen, die ich immer kommen ſahe, wo Sie
es bitter bereuen werden, nicht nach dem Aus-
lande gefluͤchtet zu ſeyn. Jetzt wird es Sie nicht
ſchuͤtzen, den Decreten einer ſataniſchen Regie⸗
rung mit beiſpielloſer Ergebung, Folge geleiſtet
zu haben. Die ſokratiſche Weisheit, mit der
man ſeinen Koͤnig morden, das Vaterland zer⸗
fleiſchen, ſich ſelbſt mit tauſend Geißelhieben der
Tyrannei, verwunden ließ, wird nicht laͤnger
— 12 —
reich ! Andere Stimmen werden laut; man
ſechenſchaft fordern! 0
Der Herzog war vor fie hingetreten, die
Worte ſchienen unſchluͤſſig auf feinen Lippen zu
ſchweben, nach kurzem Beſinnen, ſagte er, ſich
von ihr wendend: ich habe mich noch niemals
geweigert, Rechenſchaft abzulegen. Ich bin jes
derzeit dazu fertig. a
Gleichviel, fragte die Marquiſe, vor wel
ches Tribunal man Sie fodert? Ich kenne nur
Eines, das der Ehre und des Gewiſſens, rief
der Herzog, mit ſehr gehobener Stimme, und
einem Blick, deſſen Flammen die dreiſten Worte
der Fragerin zuruͤckſchreckten. |
Nach kurzem Schweigen, hub dieſe etwas
leiſer und gewiſſermaaßen einlenkend an: Ich
habe Sie nur warnen, nur auf das aufmerkfam
machen wollen, was einmal entzuͤndet, wie ein
fortlaufendes Erdfeuer, uͤberall faßt, und vers
ſchlingend hinreißt. Wer ſich ein wenig umge⸗
ſehen, wer die politiſchen Bewegungen begleitet,
ja, — wenn gleich verborgen, in das Dunkel
der Provinz gebannt, nur mittelbar, dennoch
— 13 —
hineingegriffen hat, der wird mit einigem Recht
einen Blick in die Zukunft haben durfen. Den
haben Sie nicht, fiel der Herzog ein, den hat
jetzt niemand, wie die Sachen ſteh'n, iſt nichts
zu ſehen, nichts voraus zu wiſſen, nur zu glau⸗
ben und zu vertrauen. Und damit ſollten Sie
es denn vor der Hand auch bewenden laſſen, |
und Ihr Ohr keinem falichen Gerüchte leihen. —
Falſche Geruͤchte! rief die Marquiſe heftig, habe
ich denn etwa von jenem tollen Bauernkriege un—
ſerer Nachbarn geredet. oder von andern Hirn—
geſpinſten beſchraͤnkten Volkes? Iſt es denn etwa
nicht wahr, daß Bourdeaur, Breſt, Caen,
und die ganze Kuͤſte, in Verbindung ſteh'n?
daß dieſe Staͤdte mit England gemeinſame Sache
machen, und naͤchſtens eine Engliſche Flotte fans
den wird? — Sit es nicht wahr, daß der Dar
riſer Convent zittert? daß — — — Laſſen wir
das auf ſich beruhen, unterbrach ſie der Herzog,
ich bezweif'le keine Ihrer Nachrichten, doch, was
ſoll uns das alles? Von Auslaͤndern und Rebel⸗
len iſt wenig Heil zu erwarten! Ein Tyrann
ſtuͤrzt den Andern. Ganz anders iſt es mit un⸗
fern Nachbarn in der Vendee. Die Marquife
5 chelte. Hier allein iſt Zuſammenhang, fuhr
der Herzog fort, Lehnsherr und Unter-
than! Dies Band ſchlingt ſich in einer
Kette bis zum Throne fort. Davon
wiſſen die Neuerer nichts, koͤnnen nichts wiſ⸗
ſen, und siegen es deshalb unangetaſtet. —
Von Beiden unbeachtet, war indeß die junge
Eliſabeth Rochefoucault aus einem anſtoßen⸗
den Nebenzimmer in den Saal getreten. Von
fruͤhem Grame getroffen, ſchuͤchtern und wort⸗
arm, wie immer, ſaß fie fern von dem Ges
ſpraͤche der Andern, in einem dunkeln Winkel
der Fenſterwoͤlbung. Ihre Haͤnde lagen gefal n
im Schooſe, die feuchten Augen begleiteten den
Zug der Wolken. Jetzt, mit einemmale trat ſie
ſchnell zu dem Tiſch des Herzogs. Das ſchoͤne
bleiche Geſicht ſchien vollends zu Marmor er—
ſtarrt, die Stimme verſagte ihr, leiſe und abge⸗
brochen fluͤſterte ſie dem Herzoge zu: Es ſprengt
ein Mann auf weißem Pferde wild durch die
Gartenhecken, mit einem Satz war er am
Schloßgraben, er ſchwimmt hindurch, er iſt auf
*
der Terraſſe, dicht, ganz dicht unter dem Fenz
ſter! Die Marquiſe ward bleich, doch ſagte ſie,
bei weitem ruhiger als zuvor: Nun wird es den;
noch wahr! fie jtürmen das Schloß, wir werden
uns anſchicken muͤſſen zu ſterben. In Gottes
Namen! Ich bin bereit! — Der Herzog ſeiner
Seits, hatte zwei geladene Piſtolen zu; ſich ge⸗
ſteckt, und trat gelaſſen zum Fenſter. Einen ö
Augenblick blieb alles ſtill und geſpannt, da rief
eine bekannte Stimme: es lebe der Koͤnig! und
ſofort ward es laut im Schloſſe; raſche Schritte
ſtuͤrmten die Stiegen hinan, die Thuͤren flogen
auf, der junge Prinz Talmont lag in des
Herzogs, ſeines Vaters, Armen. He
Wie aus dunklem Nachtgewolk, trat der
hohe, ſchoͤne Mann plotzlich zwiſchen die Stau—
nenden. Etwas wild, das Haar vom Winde
aufseloͤſt, ſtand er einen Augenblick Athem ſchöͤ⸗
pfend, auf einem breiten engliſchen Saͤbel ge:
ſtuͤtzt. Sein ſtolzer Flammenblick weiſſagte
Kampf auf Leben und Tod; und als er mit
der tiefen, dumpfrollenden Stimme ſagte: ich
komme, wie auf Windesfluͤgeln! glaubte man,
— 16 —
das Rauſchen des heranſtuͤrmenden re,
dee Er
Der Herzog, in feinem Anſchauen Aeg
a ihn, ohne weitere Frage. Die Mars
quiſe indeß hatte ſeine Hand gefaßt und ſagte,
mit ſchoͤnem begeiſterten Blick: Nicht wahr,
mein Frankreich wird gerettet? Die weiße Fahne
weht in den Küftenftädten? — Sie weht in un⸗
ſerer Hand, fiel der Prinz raſch ein, ihr keu⸗
ſcher Glanz zieht wie ein Lichtſtreif uͤber die
blutige Bahn, die Richtung iſt gegeben, erwar⸗
ten wir das Weitere! ri
Du kommſt aus der Vendeet fagte. u. der
Herzog zuverſichtlich. Ja, mein Vater, entgeg⸗
nete jener, um fogleich dahin zuruͤckzukehren.
Der Name Talmont ſoll nicht zuletzt in dieſem
Kriege genannt werden. Das halbe Poitou hoͤrt
auf dieſen Namen. An dreihundert Gemeinden
ziehen mit mir. Vergeſſen durfte ich das alte
Tonnayboutonne nicht. Mich duͤnkt, ich war es
den Ahnen der Caſſagne und la Motte Fouqué,
ſchuldig. Umſonſt find wir nicht ſeit fait zwei
hundert Jahren mit dem Eigenthum der ver⸗
triebenen Stammverwandten beliehen, jetzt fol:
len wir erſt das volle Recht darauf gewinnen. —
Der Herzog druͤckte ſchweigend ſeine Hand.
Beide ſahen wie durch einen Zug geleitet, zu
den Bildern der ehemaligen Schloßherren hinauf.
Die ernſten leutſeligen Zuͤge ſchienen freundlich
aus den tief nachgedunkelten Geſichtern herab
zu laͤcheln. Die Marquiſe kannte ſich nicht vor |
Entzuͤcken. Sie fiel beiden Männern weinend
um den Hals, und ſahe im Geiſte ſchon alles
laͤngſt Getraͤumte ganz nahe, ganz unumjtößlich
wahr werden.
Du findeſt, hub der e zuerſt wieder
an, alles bereit. Ich hatte auf die erſten Nach⸗
richten von dem Beitritt gekannter Maͤnner mei—
ne Maasregeln genommen. Und Du zweifelft
wohl nicht, mein Sohn, daß ich Dich begleiten
werde? Ein wehmuͤthig freudiges Laͤcheln flog
uͤber des Prinzen Geſicht! Sehr geruͤhrt um⸗
ſchlang er den Vater mit beiden Armen, und die
Thraͤnen zurückdraͤngend, erwiederte er weit leiz
ſer, als er ſonſt zu reden pflegte: die Ehre Yu
dem Herzen keine Wahl.
Ir Theil. B |
— 18 —
Aber wohin, fragte die Marquiſe ſich plöͤtz⸗
lich beſinnend, wohin geht denn Ihr Weg? Zu
den Bauern, Frau Marquiſe, lachte der Her—
zog mit gutmuͤthiger Schadenfreude, zu den
Vauern da druͤben uͤber die Charente. Die ſchla⸗
gen anders zu, als Ihr General Wimpfen und
die zaudernden Englaͤnder. Das ganze linke Ufer
der Loire iſt inſurgirt. Parthenay und Saumuͤr, ſiel
der Prinz ein, und viele andere Städte in den
Haͤnden der Koͤniglichen. Wie mit Wunderkraft
begabt ziehen die Führer unter Kugelregen, zwi⸗
ſchen tauſend blinkenden Schwerdtern unverſehrt
in die feindlich beſetzten Staͤdte, und der rohe
Haufe folgt ihnen wie eine leitſame Heerde
überall nach.
Frau von Robillard ſahe ihn ungewiß an.
Dahin wollen auch Sie mein Prinz? fragte ſie
nachdenklich. Ueberlaſſen Sie das Geſchaͤft dem
Herzog. Mich duͤnkt Ihr Platz ſey anders wo.
Sie paſſen nicht unter Hirten. In einer Ritter⸗
und Ehrengarde waͤren Sie beſſer zu Hauſe.
Alle koͤniglich Geſinnte, entgegnete der Prinz
raſch, find Ehrenritter, fie bilden ein Korps, fuͤh⸗
— 19 —
ren gleiche Waffen und haben einen Zweck. \
Gleichviel ob Hirt, ob Soldat!
Die Marquiſe ſchuͤttelte den Kopf. Das
klingt wohl ſo, aber iſt doch nicht daſſelbe. Sie
wollen noch etwas anders, als die einfache Nothz
und Gegenwehr. Sie werden dies Volk zu tra⸗
gen glauben, und es wird Sie vun. Geben
Sie Acht! g
Der Prinz beachtete ihre Worte nur halb.
Ueberraſcht lag ſein Auge auf der ſchoͤnen Eli—
ſabeth, welche auf's Hoͤchſte erſchuͤttert, durch
die neue unerwartete Lebensregung in ihrem
Kreiſe, alle Schüchternheit vergeſſend mit hoch⸗
gluͤhenden Wangen und einem Blick, in dem
eine ganz friſch entfaltete Seele lag, dicht vor
ihm fand, und wie eine Blume den Balfam:
hauch der Begeiſterung in ſich ſog. Kindlich aufz
horchend hob ſich das kleine runde Geſichtchen
zu ihm in die Hoͤhe. Lange, blonde Locken,
nach damaliger Sitte von beiden Seiten geſchei—
telt, ringelten ſich bis auf die Schultern nieder.
Ein dichtes ſchwarzes Kleid ſchloß ſich in kleinen
Falten eng an Bruſt und Arme und huͤllte die
B 2
— 90 —
ganze herrliche Geſtalt ein. Nur die Haͤndchen
waren unbedeckt, ſie lagen auf der Stuhllehne
der Marquiſe, und zupften ſpielend an den Fran⸗
zen des Sammtpolſters. Als der Prinz um der
Marquiſe doch etwas zu erwiedern, halb ernſt,
halb ſcherzend ſagte: Sie moͤge ſich huͤten, den
Geiſt des tapfern Landvolkes nicht mit allzuen⸗
gem Maasſtabe zu meſſen, die edelſte Begeiſte⸗
rung finde hier ihren Platz, ſelbſt die Seelen
der Frauen entzuͤnden ſich an dieſem allgemeinen
Heerde, und Mehrere haben es nicht verſchmaͤ⸗
het ſich den Reihen der Vendeer anzuſchließen,
da flog in hoͤchſter Ueberraſchung, ein Ach! über
Eliſabeths Lippen. Der erſte Laut, den der Prinz
von ihr hoͤrte. Doch die eigene Stimme ſchien
das zarte Kind zu erſchrecken, beſchaͤmt wandte
ſie ſich um und verließ das Zim mer. nag
Wer iſt die Dame? fragte der Prinz e
zu ſeinem Vater gewendet. Ein verwaiſtes Kind,
Deine Verwandte, die Schweſter des jungen
Rocheſoucault der am 10. Auguſt die Zimmer
des Königs mit feinem letzten Blutstropfen vers
theidigte. Sie war im Kloſter St. Stephanie
— 21 —
zu Poitier, und fand als Vertriebene Schutz bei
mir. Wo wird das ſchoͤne Maͤdchen, ſagte der
Prinz nachdenklich, wo die Frau Marquiſe in
dieſer wilden Kriegszeit ſichern Aufenthalt finden?
Wir wollen dies, erwiederte der Herzog, wie
noch viel Anderes in dieſer Nacht berathen.
Jetzt laß uns noch eine heitere, vielleicht letzte
Abendmahlzeit mitſammen in den alten Mauern
genießen. Er faßte ſeinen Sohn unter den Arm,
und war fuͤr den ganzen Abend in der ee
ſten, ſorgenfreieſten Aae
Zweites Kapitel.
Di Morgen daͤmmerte kaum noch in einzel⸗
nen unklaren Lichtern herauf, als ſich ſchon das
ganze Schloß voll leiſer Geſchaͤftigkeit regte. Die
Pferde des Herzogs ſtanden im Hofe, er ſelbſt
hatte noch mehrere Anordnungen zu treffen, die
Marquiſe tauſenderlei zu erinnern. Eliſabeth
ging mit einem Lichte in der Hand, daß Herz
voll ungekannter Erwartungen, voll Unruhe und
ſchůchterner Hoffnung durch die großen Gemäs
— 22 —
cher. Ihre Blicke redeten mit den Figuren auf
der Houteliſſe Tapete. Was die ſagten? und
was ſie hoͤrte? ſie wußte es ſelber nicht, ſie war
ſo wenig gewohnt zu reden, und was Andere in
dieſer Zeit wohl zu ſprechen pflegten, das drängte
immer wie ſchwuͤle Gewitterluft ihr Herzblut
zuruͤck. Aber hier auf den Wänden, da ging
es wie in ihrer Seele zu, fo undeutlich und doch
ſo lebendig, und heiß und wahr. Es waren
große Schlachtenſtuͤcke, viel Pferde und Men⸗
ſchen verworren in einander gedraͤngt, die Mei⸗
ſten ganz fabelhaft und ſeltſam gekleidet, es moch⸗
ten wohl Sarazenen ſein. Doch zu meift vorn
ſtuͤrmte ein Geſchwader mit Helmen und bunten
Wappenſchilden heran. Ein Ritter auf großem
weißen Pferde an ihrer Spitze hielt eine Fahne,
worauf das rothe Kreuz zu ſehen war, hoch in
beiden gefaltenen Händen, und den Kopf zurück
gewandt nach ſeinem Reutertrupp, zog dieſen
ſein brennend großes Auge wie ein Feuerſtrahl
uͤber fallende Sarazenen, ihm nach in Sieg und
Tod. Das Geſicht des Ritters war wie von
dem Glanze, der uͤber ihm ſchwebenden Fahne
EI
erleuchtet und die halb geöffneten. ſehr brennen;
den Lippen ſchienen Eliſabeth etwas ſagen zu
wollen. Dieſe betrachtete das Bild eben noch
recht achtſam, wobei ihr allerlei, loſe und fluͤch⸗
tig durch die Gedanken zog, als des Prinzen
Stimme mit ihrem tiefen Metallklang ſie vom
Kopf zur Sohle durchzuckte. Leiſe bebend wandte
ſie ſich nach ihm um. Sein Blick lag noch auf
der Tapete. Ja, ja, ſagte er, ſo zieht Einer
Viele nach, und der Sieg iſt ſein! Eliſabeth war
viel zu bloͤde, um etwas zu erwiedern, doch hob
ſich die Spitze ihres Fingers wie von ſelbſt zu
der Fahne auf. Der Prinz ſahe ſie ſchweigend
an. Es ging eine tiefe Rührung durch ſeine
Seele. Doch ſagte er nichts, ſondern blieb lange
nachdenklich halb auf das Dild, halb in 18 hin⸗
einſehend, ſtehen.
Eliſabeth war verlegen in guuer Rahe. Sie
haͤtte ſich gern entfernt, doch hielt ſie noch im⸗
mer vom Prinzen unbeachtet, das Licht in der
Hand, und da fie es dieſem nicht entziehen woll—
te, ſo blieb ſie, wenn gleich in großen Unruhe
vor ihm ſtehen. Eine leichte Bewegung ihres
— 24 — y
Armes, machte endlich ihrem Nachbar feine Ver⸗
geffenheit bemerklich. Beinahe erſchrocken faßte
er mit beiden Haͤnden zugleich das Licht und ihre
Hand. Vergeben Sie, rief er, in hoͤchſt anmu⸗
thigem Eifer ſein Verſehen gut zu machen, ſchon
am Eingange des Krieges wird Sitte und Galan⸗
terie verletzt. Gewis, meine ſchoͤne junge Freundinn,
es bekuͤm mert mich mehr, als Sie vielleicht den
ken, Sie in dieſen wuͤſten Tagen dem rohen Le⸗
ben ſo nahe zu wiſſen. Werden Sie ſich durch
dieſes ſcheinbar kleine Vergeſſen nicht abſchrecken
laſſen, und den Schutz eines Verwandten anneh⸗
men, der ja ohnehin nur fuͤr die Ehre und Frei⸗
heit ſeines Stammes ſicht? Eliſabeth's Wangen
uͤberzog ein leichter Purpurſtrahl, dann ward
fie ganz bleich, Thraͤnen traten ihr in die Aue
gen, der Prinz fuͤhlte ihre Hand in ber ſeinen
zittern, und dieſe Bewegung den Vorſtellungen
naher Gefahr zuſchreibend, ſetzte er eilig hinzu:
För den Augenblick werden Sie ganz ſicher auf
meinem Schloſſe Aspermont ſein. Mitten in der
inſurgirten Provinz zwiſchen Laroche ſuͤr Jon und
Chantonnay gelegen, deckt fie von einer Seite
— 8
die große Armee, von der andern eröffnet ihnen .
Charette im bedrängten Augenblick den Weg nach
der Kuͤſte zur Flucht und Rettung. Wir ſelbſt
werden noch heute die Ehre haben, Sie und die
Frau Marquiſe dahin zu geleiten. Elisabeth ſah
plötzlich zu ihm auf. Mein Prinz, ſagte fie ernſt,
Sie nannten mich ihre Verwandte, Sie werden
nicht glauben, daß ich in dieſer Zeit an mich
denke. Seyn Sie verſichert, ich kann nicht vergeſſe en,
daß ich eine La Rocheſoucault bin, und die wiſſen
zu ſterben, wenn die Freiheit bedroht iſt. Eltſabeth!
rief der Prinz ſehr erſchuͤttert, wenn der Krieg
Sie in ſeine blutige Windungen hinein zieht,
wenn — o mein Gott! wer kann alle Faͤlle be⸗
rechnen — wenn Ihnen Gefahr droht, gönnen
Sie Niemand als Ihrem Freunde die Wonne
Sie zu retten. Ein Wort, ein Zeichen, Eliſa⸗
beth — hier, die Hälfte dieſes Ringes, er brach
einen ſchmalen Goldreif in zwei Stücken —
ſchicken Sie ihn mir, wo ich 5 fü, 10 fliege
Sie zu befreien.
Eliſabeth nahm das kleine Bundes zeichen in
ſichtlicher Bewegung. Sie blickte einen Augen—
— 26 —
blick verlegen zu Boden, doch, wie .
Ahndung durchblitzt, ſagte ſie mit leuchtenden Aus
gen, der Tag kommt gewiß, wo ich Sie an Ihr
Verſprechen erinnern werde. Und Sie geloben
mir Vertrauen, unbedingtes Vertrauen? fragte
der Prinz dringend. Die Ehre unſers Hauſes
gehört dem Prinzen Talmont, fo wie mir an, er⸗
wiederte Eliſabeth, ja ich gelobe es feſt.
In dieſem Augenblick hoͤrte man mehrere
Jagdhoͤrner im Hofe. Die Saalthuͤren gingen
auf, der Herzog trat reiſefertig herein. Um jeden
Verdacht eines ernſten Unternehmens zu vermeis
den, ſagte er laͤchelnd, habe ich unſerm Auszuge
den Anſtrich einer Jagdpartie gegeben. Nun!
eine Jagd iſt es ja auch, ſetzte er ernſt hinzu,
eine Jagd zwiſchen Loͤwen und Tiger, eine wilde
blutige Hetze. Wir haben weites Revier, mein
Vater fiel der Prinz ein, das ganze Frankreich
offnet uns feine Königliche Forſten, die Thron⸗
wächter find darinn zu Haus!
Der Herzog maaß nachdenklich Vergangenheit
und Gegenwart, und ging ſchweigend mit unterz
geſchlagenen Armen im Zimmer auf und nieder.
— 27 —
Dann und wann trat er zum Fenſter, die vielen
Reiſe-Anſtalten der Marquiſe betrachtend, die
trotz ihrer Unruhe, ihrem Schieben und Draͤn⸗
gen zum ernſten Ziele ſich dennoch durch ein Heer
von Kleinigkeiten anhalten und klemmen ließ.
Sie konnte nun einmal von ihren Gewohnhei—
ten nicht laſſen. Die Mopſe mußten in zwei
kleinen Koͤrben im Wagen wie im Zimmer, den
gewohnten Platz zu ihren Fuͤßen finden. Der
große Papageien-Bauer, und ein ungeheurer
Toilettenſpiegel den Ruͤckſitz einnehmen, ein Kifts
chen mit engliſchem Salze und Eſſenzen zur
Hand fein, ihr eig'ner Platz im Wagen mit ecki⸗
gen und runden Polſtern verſehen, kurz nichts
von allem Gebraͤuchlichen und Gewoͤhnlichen
vergeſſen werden. Der Herzog ſahe der Packe—
rei mit wunderlich innerm Behagen zu. Wie
wuͤrde, brach er endlich lachend aus, der Lebens⸗
apparat fliegen, wenn nur ein einziger vepubliz
kaniſcher Plaͤnkler über den Weg ſprengte! Frau—
en, fuhr er, ſich zu den Uebrigen wendend fort,
waͤlzen im Geiſte Staaten um, ſtuͤtzen oder ſtuͤr⸗
zen Throne, bewaffnen ganze Voͤlker, moͤchten
Krieg und Schlacht nur ſogleich vor der Thuͤre
haben, und koͤnnen den Fuß nicht über die klein⸗
ſte Erdſcholle ſetzen, ohne den ganzen, langen
Schweif lächerlicher Gewohnheiten hinter ſich
drein zu NEN und fo das Weſpenneſt haͤus—
licher Sorgen uͤber uns auszuſchuͤtten. Zeiten
wie dieſe paſſen nicht fuͤr fie. Sie träumen viel
davon, aber die Wirklichkeit hat ein eee
Senat, fie erſchrecken davor.
Elisabeth fahe ihn betroffen an. In ice
Augenblick ſchoß ein Gedanke in ihrer Seele auf,
der bis dahin ganz verborgen keimte. Auch jetzt
war fie ſich feiner nur halb bewußt. Doch trat
ernſtes Nachdenken an die Stelle jener fruͤhern,
ſchuͤchternen Ergebung. Ihre Lippen, die ſich bei
einem ihr ganz eig'nen Ausdruck des Zuhoͤrens
und Vernehmens bis dahin leiſe öffneten, als
athme fie die Worte des Redenden ein, ſchloſſen
ſich jetzt, ihr Blick war ein anderer geworden,
nicht mehr das Fremde ſpiegelte ſich in ihm, er
trat ſichtlich aus ihrem innerſten, tiefſten Das
u
|
feyn heraus, und als ſuche er eine beftätigende
Autwort, fo fiel er auf den Prinzen nieder, den
1
28
das ernſte Mädchen mit geheimer unſaͤglicher
Wonne betrachtete. Was dawals in Beiden vor⸗
ging, fie ahndeten Es kaum, aber das Leben hat
es mit furchtbarem Ernſte zur That gemacht.
Jetzt endlich war die Marquiſe fertig. Mit
ver weinten Augen, ungleich bebender Stimme
rief fie die uebrigen ab. Ihr koſtete der Ab⸗
ſchied von dem Schloſſe unendlich viel. Sie
traͤumte zwar unablaͤſſig von ſchnellem raſchem
Fortbewegen, von Reiſen und veraͤndertem Wohn⸗
fiß, doch hatte fie das Schickſal in der heimath⸗
lichen Provinz, ja in dem Kreiſe von wenig
Meilen, ſtets gefeſſelt gehalten, und nur ihr
Geiſt überflog die Zwiſchenraͤume, und lebte in
beweglicher Verbindung mit Hauptſtadt, Hof
und allen gegenwirkenden Tribfedern der Zeit.
Ihr Herz war ſo gepreßt, daß ſie ein paarmal
bei dem Hinuntergehen der Treppen ſtill ſteh'n
mußte, um Athem zu ſchoͤpfen. Der Herzog,
welcher ihr den Arm gegeben hatte, ſagte ihr
leiſe: faſſen Sie ſich, man haͤlt ſie bei dieſer Mine
eher fuͤr eine Gejagte als Jaͤgerin. Wenn die
Welt in Flammen iſt, muß man nicht hinter ſich
fehen. Sie drückte ihm leiſe die Haud „konnte
aber dennoch der Thraͤnen kaum Herr werden.
Es fand ſich beim Einſteigen, daß vor dem
vielen Gepaͤck Eliſabeth nur ein kleiner, der Kam⸗
merfrau der Marquiſe aber gar kein Platz blieb.
Der Prinz fragte daher ſeine ſchoͤne Couſine 06
ſie nicht vorziehe zu reiten? Eliſabeth wußte nicht
wozu ſie ſich entſchließen ſolle. Sie ſahe den
® Herzog an. Dieſer lächelte, und ſagte: mein
Gott, die Kleine fuͤrchtet ſich aber. Laſſen Sie
ſehen! rief Eliſabeth ſchnell, welch ein Pferd
wollen Sie mir geben? Der Stallmeiſter des
Herzogs fuͤhrte ihr einen wunderſchönen Iſabel⸗
len vor. Sie ſchwang ſich leicht von ihrem Vet;
ter unterſtuͤtzt in die Buͤgel. Ihr langes ſchwar⸗
zes Kleid, und der kleine Caſtorhut mit vielen
Federn gaben ihrer Geſtalt auf dem hohen Pferde
etwas unbeſchreiblich Erhabenes; das ſtolze Thier
trabte leicht mit ſeiner ſchoͤnen Buͤrde uͤber die
Zugbruͤcke hin. Seht doch! ſagte der Herzog,
die kleine Heilige wird zur fahrenden Ritterint
Beide Maͤnner nahmen ſie ſofort in ihre
Mitte. Der Prinz war mit vieler Aufmerkſam⸗
.
keit bemuͤhet, ihr mehrere kleine Vortheile der
Haltung und Fuͤhrung des Pferdes zu zeigen,
und bewunderte bald genug die ch hrigkeit feis
ner Schülerin. Eliſabeth hatte die anfängliche
Furcht fo ſehr bekämpft, daß fie ſich der freier'n
Beweglichkeit des Reitens wahrhaft freuen konn
te, und nur im Stillen bejammerte, einer laͤngern
Uebung durch die Abreiſe ihres ene ſo bald
verluſtig zu gehen. u.
Sie waren eine Zeitlang abwaͤrts von der
geraden Straße, Waͤldern und Moraͤſten entlaͤngſt
geritten, als ihnen mehrere Schaaren zuſammen—
getretener Landleute begegneten, welche zu der
Armee von Charette fließen. Feſte, tuͤchtige Ger
ſtalten von ſtillem Anſtande und einfacher Miene.
Faſt alle mit großen Stoͤcken, die wenigſtens mit
Jagdflinten bewaffnet. Einige waren zu Pferde,
ohne eben darum ausgezeichneter zu ſeyn. Ihre
Kleidung wich im Ganzen nicht ſonderlich von eine
ander ab. Die meiſten trugen Pantalons und
lange Jacken von grober, brauner Leinewand:;
auf einem Weſichen von weißem Linnen hatten
fie ein großes ſchwar zes Kreuz gemalt. Am Saume
— 92 —
aber Reliquien oder die Gebeine n e Vaͤ⸗
ter, Weiber und Kinder wie Franzen aneinander
gereihet. Der Roſenkranz, mehrmals um den
Hals geſchlungen, reichte bis an den Guͤrtel hin⸗
unter. Viele von ihnen beteten ihn, feft vor ſich
hinſehend, unter leiſem Gemurmel ab. Auf ih⸗
ren Geſichtern war weder Wildheit, noch irgend
kuͤhne, vächende Erwartung zu leſen. Sie ſchie⸗
nen ruhig und ernſt das Nothwendige zu wollen.
Als einige von ihnen den Prinzen erkannten,
riefen fie, ihre Mutzen abziehend: Im Namen
Jeſus Chriſtus es lebe der Konig!
Unbeſchreiblich war der Eindruck, den dieſer
Gruß, ſo wie der ganze Anblick jener ſtill ent—
ſchloſſenen Märtyrer auf Eliſabeth machte. Sie
betrachtete ſie mit einer Erhebung und einem Ver⸗
trauen auf die goͤttlich geleitete Menſchenkraft, wel
che ihr die heiterſte Zuverſicht gaben. N
Begeiſtert ſah fie auf den Prinzen, der ihren
Blick verſtand, und dicht zu ihr gebeugt, ihre Hand
druckend, leiſe fluͤſterte: der Blick, Eliſabeth,
geht wie ein verheißender Stern aan auf siehe
nen Bahnen voraus.
Es hatten ſich ihm indeß viele der Voruͤber⸗
ziehenden genaͤhert. Sie gingen ſehr ehrerbietig
mit entbloͤßtem Haupte neben feinem Pferde und
baten mit treuherziger Zuverſicht, bei ihm bleiben
und unter ſeinen Fahnen fechten zu duͤrfen. Der
Prinz lud ſie alle ſehr bereitwillig zu ſich nach
Schloß Aspermont, wo er uͤbernachten wollte,
und verſprach, ſie ſchon am folgenden Morgen
der ſiegreichen großen Armee nach Angers entge-
gen zu fuͤhren. Er redete aͤuſſerſt herablaſſend
und viel mit ihnen, gleichwohl bemerkte Elifaberh
mit einiger Unruhe, daß der Herzog es beſſer
verſtand in ihre Gedanken einzugehen, und ihnen
auf alle Weiſe naͤher als ſein Sohn ſtand! Sie
haͤtte es anders gewuͤnſcht, und fuͤhlte nicht ohne
Betruͤbniß, daß die ſchwache Geſundheit des Her;
zogs ihm nicht lange geſtatten wuͤrde das Heer
zu begleiten. Doch mußte die ungewiſſe Zukunft
auch in ihr bald vor der lebendigen Gegenwart
zuruͤcktreten. Es geſellten ſich immer mehr Krie;
gergemeinden zu ihnen. Ihre Reiſe glich von
da ſchon einem Heereszuge, der noch unter dem
ſanften Schutze des Friedens und der Freund⸗
Ir Typen.
ſchaft, von dem kuͤhnen vo aneilenden Gedanken⸗
fluge des Prinzen beſeelt, den reinen Glanz groß
ßer Unternehmung trug, und dem begeiſterten
Maͤdchen in der Nähe ihres Helden alle Wonne
gemeinſamer That und gemeinſamen Vollbrin⸗
gens lieh. * int
So zogen fie in Schloß Aspermont ein,
Der Wagen der Marguife war ihnen gefolgt,
Er hielt ſetzt im Hofe, mitten unter dem wunder
bar geſtalteten Kriegerhaufen. Frau von Robil⸗
lard ſtürzte ſich ſaſt aus dem Schlage, den guten
verwunderten Leuten entgegen. In ihrer unbe⸗
zwinglicheu Lebhaftigkeit lief fie mehr als fie ging,
faßte wen ſie erreichen konnte, und bat jeden
mit ehraͤnenden Augen Paris zu befreien, und
die Koͤnigin, die ihr ſtets, ohne ſie je geſehen zu
haben, vor Augen ſchwebte, zu retten. Obgleich
von allem, was ſie ſagte, nicht viel mehr als der
Name der Koͤnigin von ihren Zuhörern verſtan—
den ward, ſo reichte der doch vollkommen hin, |
allgemeine Bewegung unter ihnen zu erregen,
lauter Jubelruf antwortete der Marquiſe, und fie |
— 35 —
ging weinend und ee die Schloßtreppe
ene
Indeß war Eliſabeth i in ein Met getreten,
deſſen hohe, offen ſtehende Glasthuͤren nach
dem Garten hinaus gingen. Die Abendſonne
warf eben ihren vollen goldenen Strahlenkranz
auf die Schloßfenſter zuruͤck. Der ſchoͤne friſche
Hafen zu Eliſabeths Füßen und die Blumen waͤnde 8
zunaͤchſt den Terraſſen, waren wie von wogenden e
Goldnetzen umzogen. Mein Gott! rief Eliſabeth,
uͤberraſcht beide Arme ſinken laſſend, mein Gott,
wie ſchoͤn! — Alles leuchtete und glaͤnzte rund
um ſie her, da unten ging der Prinz ganz von
Purpurlichtern umfloſſen. Er redete mit ſeiner
ſchoͤnen, ſtolzen Miene zu dem Kaſtellan. Er
ſchien ihm etwas in Bezug auf die Zuruͤckbleiben—
den zu ſagen. Sein Blick flog zu Eliſabeth hin⸗
auf, und als er fie ſahe, lächelte er, und ſenkte
winkend die Augenlieder, als wolle er ſagen: ich
gruͤße Dich, mein ſchoͤner, holder Gaſt.
Wunderbar ſtreifen im Menſchen die Graͤn—
zen der Gefühle aneinander! Mitten in den voll⸗
C 2
ſten Athemzuͤgen des Lebens zuckte Eliſa beth der
Gedanke an den Tod durch alle Nerven. Es
dunkelte ihr vor den Augen. Alles Blut trat ihr
zum Herzen, und als ſie ſo bang und beklemmt
um ſich ſehen und aufathmen wollte, war die
Sonne hinunter geſunken, und weiße Nebelſtrei⸗
fen zogen über die Stelle, wo der Prinz geſtan⸗
den hatte. Abſchied! Abſchied! ſaͤuſelten Blu⸗
men und Straͤucher. Abſchied! rief es ſchneidend
in Eliſabeths Seele. Sie druckte beide Hände
vor die Augen, und ließ die heißen Thraͤnen un⸗
gehindert ſtroͤmen.
Es war ganz dunkel geworden, als der
Prinz, ſie überall ſuchend, ſorglich ihren Na⸗
men rief. Sie erſchrak, ihre Thraͤnen ſtock⸗
ten, doch war ſie außer Stand, ihm zu antwor⸗
ten. Jetzt rief er noch einmal und dringender als
zuvor. Gott weiß, weshalb der Ton fo überaus
ſchmerzlich an ihr Ohr ſchlug. Die uͤberreizten
Sinne jagten wuͤſte Bilder an ihr voruͤber. So
wird er vielleicht einft vergeblich — ſagte fie leiſe —
ihr ſtarben die Worte auf der Lippe, und wie man
ſich oft im Traume umſonſt anſtrengt, einen Laut
— 37 —
hervorzubringen, ſo klemmte ſich auch jetzt jeder
Ton feſt in der Bruſt zuſammen.
Eliſabeth ’ fagte der Prinz ihr endlich im
Vorſaale begegnend, kannten Sie die Stimme
Ihres Freundes nicht? Mein Gott! rief er, in
ihr verweintes Auge ſehend, was iſt geſchehen?
Was fehlt Ihnen? Vittend flehete fie, wieder
ganz in ihre volle Kindlichkeit zuruͤcktretend, fra⸗
gen Sie nicht danach. Ich will mich auch bemuͤ⸗
hen, es zu vergeſſen. a
Ihr liebes Auge ſahe ſo innig zu ihm auf,
daß er nicht den Muth hatte, weiter in ſie zu
dringen. Ueberall ſcheuete er mit Recht noch
mehr an den Stuͤrmen ſeiner Seele zu ruͤhren.
Er blieb einige Minuten, die Stirn gegen die
flache Hand gedrückt, finſter und ſchweigend vor
ihr ſteh'n. Dann aber, plotzlich auffahrend, griff
er raſch nach ihrer Hand. Leben Sie wohl, Elis
ſabeth! rief er mit all feiner brauſenden Heftig⸗
keit, die Minuten ſind gezaͤhlt, wir haben Eile,
dieſe Nacht fuͤhrt uns noch weit von hier, in kur⸗
zem hoͤren Sie von uns, die Armee bricht auf
nach Nantes, es muß unſer werden, vergeſſen
— 88 —
Sie mich nicht, denken Sie an — er wollte noch
etwas ſagen, doch fie hörten des Herzogs Stim⸗
me, und unwillkuͤhrlich traten ſie auseinander.
Meine kleine Nichte, ſagte dieſer im Hinein⸗
treten, ich laſſe Ihnen den ſchlanken Iſabellen
zuruͤck, der doch nun wohl zu ſtolz ſeyn möchte,
einen Andern zu tragen, ihn verlangt fortan nur
nach goldenem Zügel und einer zarten, weißen
Hand. Er kuͤßte hier mit angenehmer Galan⸗
terie die ihrige, und ſetzte laͤchelnd hinzu, wer
weiß, iſt es Ihnen, meine ſchoͤne Freundin, nicht
aufgehoben, uns wie eine zweite Johanne d' Are
in den Streit zu fuͤhren, und dann traͤgt ſie mein
Iſabell leicht zu uns heruͤber. —
Eliſabeth konnte ſeine ſcherzende Anrede nicht
eben ſo beantworten. Es war ihr zu ernſt, zu
feierlich zu Muthe. Dankend verneigte ſie ſich,
und eben weil ihr das Geſchenk des Pferdes übers
aus theuer war, konnte ſie um keinen Preis ſpie⸗
lend darüber, hinfahren. Mit geſenktem Auge
lispelte ſie: Immer verſtanden Sie es, mein
Oheim, Troſt und Hoffnung in meine Wunden
zu gießen. —
— 39 —
Des Prinzen Augen brannten noch einmal
auf den ihrigen, dann brach alles unruhig auf.
Im Hofe draͤngten ſich Pferde und Leute anein—
ander. Die Lichter vom Perron herunter flak
kerten ungleich, man erkannte niemand deutlich,
nur die ſchwarzen Kreuze auf den linnenen We—
ſten und die weißen Reliquien ſtachen ſchauerlich
gegeneinander ab. |
Still ſetzte ſich der Zug in M ER Er bog
langſam in die dunkle Kaſtanien⸗Allce jenſeit der
Schloßmauer hinein, von wo man ihn wie einen
langen, ſchattigen Streif in die Weite verſchwin⸗
den ſah. Noch oft wehete der Prinz mit einem
weißen Tuche gruͤßend zuruͤck, dann verſchwand
auch das letzte, liebe Lebenszeichen. Eliſabeth ſah
feſt und thraͤnenlos den Abwaͤrtsziehenden nach,
doch als die Marquiſe nun laut weinend in das
Schloß zuruͤckging, und der Kaſteltan die großen
Eichenthuͤren zuſchlug, den ſchweren Metallriegel
davorſchob, da rief etwas in ihr: Er kehrt nie⸗
mals wieder! und als habe fie Blei an den Fuͤ—
ßen, ſchleppte fie ſich bleich und mn auf 10
einſames Zimmer.
Drittes Kapitel. *
Die piöstiche Stile auf Schloß Aepermont bes
klemmte alle Herzen. Eliſabeth wußte am wer
nigſten, wo ſie mit der innern Angſt hin ſollte.
Unwillkuͤhrlich trugen ſie ihre Schritte immer
wieder auf die Stelle, von wo fie die Scheiden⸗
den ziehen ſahe, und weit, weit hin, folgten die⸗
fen Blick und Gedanken. Doch gerade dann bes
fel ſie eine Unruhe, die weder Thraͤnen noch Ges
bet beſchwichtigen konnten. Sie mußte hinaus
aus dem engen Schloßbezirk, die hohen Kaſtanien
entlaͤnge, vielleicht daß fie dem Boten des Here
zogs begegnete, vielleicht daß dort eine Seele ath⸗
mete, die Troſt in dieſer Ungewiß heit zu geben
wußte. W nere
Der treue Iſabell trug ſie dann willig durch
Feld und Wald, und ſchweigend folgte ein alter
— 41 ä —
Diener des Hauſes, der es nicht recht begriff,
warum man die Kronraͤuber nicht ſchon laͤngſt zu
Paaren getrieben, und die alte Ordnung wieder
hergeſtellt habe. Er zweifelte keinen Augenblick,
daß die leichte Arbeit bald vollbracht und der
Herr Herzog in kurzem wieder hier ſeyn wuͤrde.
So beſchraͤnkt der treue Glaube des armen Alten
auch war, ſo thaten ſeine Aeußerungen Eliſabeth
doch heimlich wohl, und gern ließ ſie ihm das
täglich Geſagte immer wiederholen.
So unter den Trugbildern geſchmeichelter
Phantaſie gemaͤchlich forttrabend, uͤberraſchte fie
einſt die hereinbrechende Dunkelheit. Die Sonne
war laͤngſt untergegangen, dichte Dampfſaͤulen
ſtiegen aus moorigem Wieſengrunde vor Eliſabeths
Pferde auf, es zog wie eine weißliche Wolke um
ſie her, man ſahe kaum die naͤchſten Schritte vor
ſich. Jetzt zeigte ſich ein ſchmaler naͤher fuͤhren⸗
drr Fußpfad rechts uͤber eine kleine, mit Planken
belegte Bruͤcke. Eliſabeth, durch die zunehmende
Finſterniß doch etwas geaͤngſtet, wollte raſch dar—
uͤber ſprengen; ſchon klangen die Bretter dumpf
9
— 42 —
unter den ſtampfenden Pferdehufen zurück, als
plotzlich unterhalb aus dem trocknen Graben ein
Mann mit verwildertem Bart und Haaren, hei⸗
fer ſchreiend: rettet mich, rettet mich, ich ſterbe
vor Hunger! in die Zuͤgel ihres Pferdes ſiel.
Der Schreck hielt Eliſabeth wie gebannt, ſprach⸗
los auf einer Stelle. Erbarmen Sie ſich, rief
der Ungluͤckliche aufs neue, wer Sie auch ſind,
ich flehe zu der ſanften Seele einer Frau, retten
Sie einen Külflofen, den das Mißlingen aller Les
benshoffnungen in dieſe Suͤmpfe trieb. Er war
bei dieſen Worten unwillkuͤhrlich in die Knie sc:
ſunken. Krampfhaft faßten feine Haͤnde ihr
Kleid. Ich kann nicht weiter, ſtammelte er, mei⸗
ne Füße bluten, die Kräfte verſagen mir, nur
eine Nacht Obdach! nur um eine Mahlzeit flehe
ich. Die Todesangſt verzerrte ſeine Zuͤge bis zum
Ausdruck des Wahnſinns. — An allen Gliedern
zitternd ſprang Eliſabeth vom Pferde. Ihre erſte
Bewegung war, dem Fremden aufzuhelfen, dann
winkte ſie den Reitknecht herbei, jenen auf den
Iſabellen zu heben, und des Pferdes Zügel faß⸗
ſend, fuͤhrte ſie den ungekannten Gaſt ſchweigend
— 3 —
unter heimlich beklemmender Augſt aun en
zum Schloſſe hinan.
Tragen Sie Sorge fuͤr einen Kranken, ſagte
fie dem Kaſtellan, indeß fie unter dem Thore ſtill
hielt und ihren Pflegbefohlnen in ein unteres Zim⸗
mer führen ließ. Forſchen Sie nicht viel, wer er
ſey, ſetzte fie eilig hinzu, es mag uns wenig from—
men und thut zur Hauptſache nichts. Vor al⸗
lem bedarf er Speiſe und Ruhe, und beides ſchaf⸗
fen Sie ihm wohl. |
Dieſes beſorgt, ging fie, die Marquiſe von
dem Vorfalle zu unterrichten, da fie uͤber alle weis
ter zu nehmenden Maaßregeln unſicher war, und
ſichtlich zwiſchen Mitleid und mehr dunkel geahn—
ten, als empfundenen Ruͤckſichten kaͤmpfte. Sie
fand Frau von Nobillard ſehr erhitzt, ſehr bekuͤm—
mert, alle Zeichen fehlgeſchlagener Erwartung in
den unruhig arbeitenden Zügen. Neu angekom⸗
mene Briefe und öffentliche Blätter lagen zer⸗
ſtreut um fie her. Sie ſchob dieſe eilig zuſam—
men, und erſchoͤpft in ihren Seſſel zuruͤcklehnend
ſagte fies Arme Kleine, was ſuchſt Du bei mir?
— 44 — x
elisabeth fnhe zuaſtlich nuf die Papiere. Haben
Sie Nachrichten? fragte fie leiſe. Wie ſollte ich
nicht! erwiederte jene, meine Verbindungen laſſen
mich nie arm daran. Doch was helfen ſie uns!
Wir haben es nur mit Treuloſen und Unglück
lichen zu thun! Eliſabeth ward todtenbleich, ſie
mußte ſich ſetzen, und den Arm auf den Tiſch der
Marquiſe geftügt, wiederholte 0 ie langſam: wur
ſoſe? — *
Frau von Robillard griff haſtig nach den eben
erhaltenen Tages blaͤttern, breitete ſie vor Eliſa⸗
beth aus, und indem fie während des Redens hef—
tig mit dem Zeigefinger auf die angefuͤhrten Stel⸗
len tippte, ſogte fie: Publiciſt und Moniteur zei⸗
gen genugſam, welch ein Anſehen alles gewinnt.
Dieſer Pariſer Konvent laͤhmt wie das Meduſen⸗
haupt jeden aufgehobenen Arm! Zitternd und
verſtoͤrt fallen gutgeſinnte Staͤdte wieder unter
das Joch der Anarchie zuruͤck, ihre Obern ſind
Memmen oder Inſtrumente der Gegenparthei,
und das Volk — nun mein Gott! das iſt allent⸗
halben eine brech Maſſe, die man in jede Form
knetet. Alles iſt von dieſer Seite verloren! und
— 45 —
was eine Diverfion gemacht, was die Zagenden
electriſirt haben wuͤrde, die Einnahme von Nan⸗
tes, das iſt mißgluͤckt, wir ſind geſchlagen, und
haben keine andere Hoffnungen, als mit dem letz⸗
ten Blutstropfen Frankreichs erlöjchender Ehre ein
armes truͤbes Opfer zu bringen.
Eliſabeth konnte nicht cis einziges Wort far
gen. Die Heftig keit der Marquiſe mehr noch als
die truͤben Nachrichten machten ſie ſtumm. Me⸗
chaniſch ſtreckte ſie ihre Hand nach einem Briefe |
aus, den ihr jene hinhielt. Er war vom Her⸗
zoge, der Inhalt folgender: 2
„Es befremde die edlen Damen auf Aſpermont
„nicht, wenn Sie erfahren, daß ihre Vertheidi⸗
„ger den Plan auf Nantes aufgegeben und die
„ufer der Loire fuͤr jetzt verlaſſen haben. Ein
„erſter Unfall iſt eine Mahnung des Himmels zur
„Vorſicht. Vielleicht, daß das ſtolze Blut des
„Prinzen ihn zu allzukuͤhnem Flug verleitend den
„Feind uͤberreizt und zur Ausdauer gezwungen
„hat. Wenn indeß einerſeits der jugendlichen
„Unerſchrockenheit das richtigere Maaß fehlte, fo
— 46 —
„habe ich doch auf andere Weiſe die Glorle mei⸗
„nes Hauſes in ihrem vollen Glanze aufflammen
„ſehen. Der Prinz war herrlich im Gefecht! Er
„fuͤhrte die Kavallerie und deckte unſern Rückzug.
„Mehr als ein Pferd ward ihm erſchoſſen. Haͤr⸗
„ter traf es den edlen Cathélinnau, er iſt toͤdt⸗
„lich verwundet. Die ganze Armee trauert mit
„Recht deswegen, doch bleiben uns noch andere,
„nicht minder geachtete Fuͤhrer. Ueberall duͤrfen
„wir bei keinem Mißgeſchick verweilen. Im
„Sturme heben ſich die Schwingen nur um ſo
„gewaltiger. Vergeſſen Sie das nicht. Gewoͤh⸗
„nen Sie ſich auſſerdem den Gang dieſes Krieges
„nicht nach gewohnten Grundſaͤtzen der Taktik zu
„ſchaͤtzen. Wir wollen nichts, als uns
„behaupten. Können wit das, gi SORT 2
„alles Andere finden.“
„Jetzt wenden wir uns nach Lugon im Ver⸗
„ein mit Charette. Sie werden bald von uns
„hoͤren.“ % eee
Nun, ſagte Eliſabeth, die leuchtenden Augen
von dem Blatte aufhebend, was iſt denn auch
ſo Großes geſchehen? was Heute verloren ward,
*
kann Morgen wieder genommen werden. Die
Marquiſe ſtarrte ſie verwundert an, drauf die
Schultern zuckend, warf fie ſich mit den Worz
ten: Mein Gott! wie kurzſichtig! unwillig in die
Sophakiſſen zuruͤck. Seh'n Sie denn nicht, rief
ſie nach kurzem Beſinnen, ploͤtzlich wieder auffah—
rend, ſeh'n Sie nicht, daß dieſe ehrgeitzigen, un⸗
ruhigen Gemuͤther, dieſe Paladine des Ruhmes,
ſich aus dem ſchlichten Gange der Ereigniſſe hers
ausheben, und fo das perfönliche Ritterthum vor
der Welt behaupten, den Geiſt der Gemeinſchaft
gleichwohl durchaus verwirren werden. Man
muß den Einzelnen vergeſſen koͤnnen, wenn man
ſich zu dem Gedanken des Vaterlandes erhebt.
Ich weiß nicht, meine Tante, entgegnete Eliſa—
beth ſchuͤchtern, wie das irgend jemand gelingen
moͤchte. Ein jeder hat zuerſt ein geliebtes Haupt,
an das ſchließen ſich ihm die übrigen Glieder an.
Ohne ſolch ein Band der Liebe, wo wäre denn
unſ re Heimath? und was den Ruhm betrift? —
er iſt das goldene Ehrenkleid, was der himmli—
ſche Vater ſeinen Kindern zeigt, wenn er ſie zu
ſich rufen will. Goͤnnen wir es denen, die ſich
hier in Blut und Wunden hüllen! — Ou ich
weiß, tief die Marquiſe ſichtlich durch dies Bild
erſchuͤttert, ich weiß, fie werden ſich alle, alle von
den republikaniſchen Henkern ſchlachten laſſen! fie
ſchwelgen ordentlich in der Vorſtellung ſolchen
Opfertedes, ſie geitzen danach, und wenn jedes
Andere darüber zu Grunde ginge! Sie hatte
das letztere ſchluchzend, unter einem Strom von
Thranen defiig herausgeſtoſſen. Elisabeth faßte
ihre Hand, und fie ſanſt an ihre Lippen dr
kend, ſagte ſie: es ſind ja Chriſten, meine Tan⸗
te, ſie werden nicht mehr thun, als ſie dürfen.
Dier trat der Kaſtellan in das Zimmer, und
fagte leiſe, zu Eliſabeth gebeugt: „Mein Fräulein
der Kranke wuͤnſcht Sie zu ſprechen.“ Gott! ja,
rief dieſe ſich beſinnend, meine Tante, es iſt ein
Ungluͤcklicher hier im Schloſſe, den ich hilflos
am Wege fand, und ihn ſo in dieſe Mauern
führte. Wie? ſagte Frau von Robillard, indem
fie von ihrem Sts aufſprang, ein Fremder? hier
bei uns? Mein Gott wie unbeſonnen! Sie ſoll⸗
ten die Gallichteit in des Prinzen Namen nicht
allzuweit ausdehnen, Sie werden dieſen wenig
K |
dadurch verbinden. Eliſabeth erzählte wie alles
gekommen war, und die Marquiſe immer voraus
eilend, ohne ſonderlich darauf zu achten, wieder⸗
holte mehreremale : ich muß ihn feldft ſehen und
pruͤfen, ob wir ihn hier behalten duͤrfen. nis
So kamen ſie an des Kranken ⸗Zimmer. Als
der Kaſtellan die Thuͤren oͤffnete, richtete ſich ein
jugendlich uͤberaus ſchoͤner Mann vom Lager in
die Höher: Mit einer Hand das wilde Haar
aus der Stirn ſtreichend, mit der andern den
dürftig braunen Mantel uͤber halb entblößte
Schultern ziehend, richtete er die dunkeln melan⸗
koliſchen Augen tiefſiunig auf die beiden eintre⸗
tenden Frauen. Buͤrgerinnen, ſagte er mit vol⸗
ler etwas ſpröder Stimme, ich will Ihr Ver⸗
trauen weder durch Verrath noch Heuchelei miß⸗
brauchen. Ich weiß, daß ich mich in Mitten ei⸗
ner aufruͤhreriſchen Provinz, unter dem Schutz
gluͤhender Verfechter alter Irrthuͤmer befinde,
ich weiß, daß augenblickliches Waffengluck Sie zu
großen Erwartungen berechtigt, daß Sie ſtolz und
kuͤhn Rache an dem Einzelnen nehmen koͤnnen,
der ſich Ihnen freiwillig auslieferte; doch, welches
Ir Theil, D
—
auch mein Loos ſey, ich verachten es die innere
Wahrheit vor der Gewalt des Schickſals zu ver⸗
leugnen. Bürgerinnen, Sie bergen unter Ihe
rem Dache ein ehemaliges Mitglied des Convent 's
einen jener geflüchteten Girondiſten, welche der
raſenden Anarchie in die Zuͤgel ſielen, und von
ihr niedergerannt unter die Trümmer des Vater
landes geſchleudert wurden. Mein Name iſt Bar⸗
barour, thun Sies mit mir wie Sie wollen, ſrit
ich gegeſſen und geſchlafen habe, ſetzte er; finſter
hinzu, mag ich nicht mehr leben, nau iſt der letzte
Reiz des Daſeins hin. Er legte ſich mit dieſen
Wortenrauf die Kiſſen zuruck, und den Blick am
Buden geheftet, ſchien er es vergeſſen zu haben,
daß noch guſſert ihm jemand im Zimmer ſe.
Eliſabeth betrachtete die ſchoͤne, ſchauerliche
Geſtalt mit entſetzlicher Bangigkeit. Widerwillig
ſtel ihr Auge auf ſie, wie auf ein Geſpenſt zuruͤck,
und tief aus ihrem Herzen ſchrie es herauf: der
hat das Todesurtheil feines Koͤnigs umer zeichnet!
ganz Frankreichs Blut klebt an dieſer Hand!
Die Marquise etwas geſpannt, mehr gereitzt
als entfremdet, konnte ſich nicht enthalten, auf
Km * 4
— BT se,
dieſe lange Anrede, kurz und bitter zu erwiedern:
Sie ſuchen nicht bei Frauen den Tod, Sie wiſſen
ihn ohne Zweifel anders wo zu finden, deßhalb
waren Sie des Schutzes ohne weitere Zuſage hier
gewiß. Und gleich darauf durch ein linderes Ge;
fuͤhl der Theilnahme beſchwichtigt, ſetzte ſie ſanft
hinzu: möchte ſich jeder andere Zweifel eben ſo
ſchnell in Ihnen loͤſen, und Sie ruhig ſeyn koͤn⸗
nen. Der Juͤngling ſahe ſie ſehr truͤbe an. Ich
waͤre gluͤcklich, ſeufzte er, koͤnnte ſich noch ein
Zweifel in mir regen, dann e Hoffnung
ip auch noch Raum. 1. ı aun
Die Marquiſe hatte ſich ihm va ummoiße,
kuͤhrlich genähert. Die ſchwere Schickſalshand
die auf dieſem Haupt zu laſten ſchien, zog ſie
magneriſch an. Wie, ſagte fie, zwiſchen Stolz und
Mitleid ſchwankend, duͤrfen Sie den Erfolgen
miß trauen, die Sie ſelbſt vorbereiteten? — Was
hat das Wohl der Republik mit der Schmach,
dem Schmerz und Elend des Einzelnen zu thun?
Seit wann zähle man Menſchenopfer für etwas?
Jener richtete ſich duͤſter in die Hoͤhe. Die
breite nervige Bruſt vorgebeugt, beide Arme auf
D 2
— 52 —
eine vor ihm ſtehende Stuhllehne geſtemmt, ſagte
er: Durfte es Brutus bereuen den Caͤſar erſchla⸗
gen zu haben, weil Octavian dennoch die Krone
ſtahl? Soll die Ernte auf die Saat zuruͤckſchlie⸗
ßen laſſen, weil ein Geier die ausgeſtreueten Koͤr⸗
ner fraß? Doch trauern durfte Brutus uͤber den
Geier und mit edlem Roͤmerzorn die kaum wieder⸗
gebornen Menſchenrechte welken ſehen. Muͤſſen
Forum, Triumphbogen, verfallene Porticus und
Bäder uns allein erinnern, wer unſere Stammvaͤr
ter waren? ich für mein Theil habe noch nicht
anders empfinden gelernt, wie jene Römer, und
bin ſtolz darauf, ſchon vor der Revolution ein
Republikaner geweſen zu ſey n.
Eliſabeth war ſcheu bis zur Thuͤr zuruͤck ger
treten, und ſuchte durch Blicke und Minen die
Marquiſe zum Hinausgehen zu bewegen. Doch
dieſe hatte bereits an des Kranken Lager Platz
genommen, und indem ſie ihrer Nichte Aufforde⸗
rung kopfſchuͤttelnd ablehnte, ſagte fie zu dem
jungen Barbarour gewendet: Was aber denken |
Sie in dieſer troſtloſen Stimmung fuͤr ſich und
das beaͤngſtete Vaterland zu thun? Unmoͤglich
— 53 —
können Sie den Gedanken an Rettung aufgeben.
„Der gegenwartige Augenblick, erwiederte jener,
erſtickt alles Gegenwirken. Das neue Licht iſt
zur wilden Flamme aufgeſchoſſen, wir ſehen ſie
in raſender Wuth fortlaufen, niemand kann ſie
hemmen. Doch ſeyn Sie gewiß, ſie verzehrt ſich
ſelbſt, und ſpaͤt oder fruͤh wird der gemaͤßigte
Hauch der Wahrheit die zuſammengeſtuͤrzte Gluth
wiederanfachen. Die Fackel der Aufklaͤrung hat
nicht umſonſt gezuͤndet. Die Binde iſt von den
Augen der Voͤlker herabgefallen 11 ſie leſen die
Geſetztafeln der Natur, jedweder fuͤhlt, wie ſchwer
> fein eigenes Recht in der allgemeinen Wagſchaale
fällt, und wird dies Gewicht geltend machen. Jetzt
freilich haben Tyrannen aus zerbrochenen Feſſeln
neue Ketten geſchmiedet, das Entſetzen haͤlt die
Kraͤftigſten gelaͤhmt, in den Städten, dem eigent⸗
lichen Heerde buͤrgerlicher Freiheit, hat die Anar⸗
chie ihre feilen Waͤchter aufgeſtellt, die Weisheit
tritt ſcheu zuruͤck. Im Oſten ſehen wir Lyon
noch kaͤmpfend unter den Waffen, doch es muß
unterliegen. Und was von Caen, Breſt und Bour⸗
deaux zu erwarten iſt, das haben wir erfahren.
— 54 —
Wie, fragte die Marquiſe, find Sie 3
wohl bis hieher gelangt? — tt”
„Die Gefahren welche wir beſtanden Biber,
erwiederte Barbaroux, find fo unzählige, daß die
eine den Eindruck der andern verdraͤngt hat.
Ich weiß in meiner Erinnerung nur Hauptmo⸗
mente aufzufinden. Als der Streit im Convente,
fuhr er erzaͤhlend fort, der gemaͤßigten Parthei
furchtbar wurde, trat ein Mitglied derſelben nach
dem andern aus den beengten Kreiſen. Ein und
zwanzig Deputirte fluͤchteten nach dem Departe⸗
ment Calvados. In Caen verſammelten ſich die Der
partementaltruppen. General Wimpfen verhieß,
ſie nach Paris zu fuͤhren. Wir ſtießen zu ihnen.
Niedertraͤchtig unterhandelten die Adminiſtrato⸗
ren der Stadt mit dem Pariſer Convent. Heim⸗
lich waren ihre Traktate abgeſchloſſen, und wir
verrathen. Wir geſellten uns zu den auseinan⸗
dergehenden Truppen. Zu Finijtere ſtieſſen uns
auch dieſe aus. Wir fluͤchteten nach Breſt.
Schuͤchtern und heimlich empfingen uns hier die
Gutgeſinnten. Man verbarg uns in einer leer
ſtehenden Scheune, bald mußten wir uns einzeln
— 55 —
am Strande verbergen uͤberall folgten uns
Steckbriefe, wir waren keinen Augenblick unſers
Lebens ſicher, ein Geiſtlicher hatte ſich der Schwie⸗
rigkeit unterzogen, uns ein Fahrzeug zu beſor⸗
gen, das uns insgeſammt nach Baurdeaur brin⸗
gen ſollte. Endlich war dieſes in Bereitſchaft, es
lief aus dem Hafen von Breſt und nach wenig
Tagen landeten wir in Bee d' Ambos. Doch
was wir hier erfuhren, ſchlug uns tiefere Wun⸗
den, als alles bisher Erlittene. Das Departe⸗
ment der Gironde, auf deſſen Geſinnungen wir
unſre Hoffnungen gebau't hatten, war ebenfalls
freiwillig unter das Joch des Convent's zuruͤck
getreten. Die dortigen Adminiſtratoren von un⸗
ſerer Flucht benachrichtigt, ſpuͤrten uns uberall
nach, es war von der hoͤchſten Gefahr uns in
Bourdeaur ſehen zu laſſen. Einige Streifzüge
gaben uns nur niederſchlagende Beweiſe gaͤnzlich
erſchlaften Muthes. Jeder Gedanke an Gegen—
wehr war erſtorben, auf allen Seiten droheten
die Donner des Conventes. Für uns gab es
aufs neue nur Rettung in der Flucht. Wir trenn⸗
ten uns. Einige gingen dem Meere entlängft,
— 56“
andere wandten fich tiefer in das Land, ich ge⸗
hoͤrte zu den Letzteren. Laſſen Sie mich von
dem Ungemache ſchweigen, das ich erlitt, der Zu⸗
ſtand in welchem Sie Rn rend ſagt Ihnen
genug davon.“ ar tos Sram
Ein bitteres Laͤcheln flog N e halb⸗
geſchloſſenen Lippen. Der Juͤngling ſchwieg ei⸗
nen Augenblick, drauf, wie ſich beſinnend, ſagte
er: wenn die freie That des Menſchen der Noth⸗
wendigkeit erliegt, wenn unertraͤgliche Feſſeln
den Geiſt gefangen halten, und der eigentliche
Tod ihn umſchattet, dann ſiegt jener Natur⸗In⸗
ſtinet noch auf Augenblicke, der nach ewigen Ge⸗
ſetzen die Creatur zum Leben zwingt. Er iſt es,
der mich hieher brachte. Jetzt da er geſtillt iſt,
begreife ich kaum wie es zugin g!
0 Zweifeln Sie nicht, unterbrach ihn die Mar⸗
quiſe, eine hoͤhere Hand hat ſie geleitet. Es iſt
nicht umſonſt, daß Sie ſich in der Gewalt der
Königlichen befinden. ı Dieſer einzige Weg der
Rettung ſollte Ihnen allein uͤbrig bleiben. Ueber⸗
ſehen Sie das nicht. Geben Sie nichts verlo⸗
sen, nehmen er e Faden einen FEN
gen wieder auf, nur eher Sie ſich da an, we
Sie Nuͤckhalt finden. Laſſen Sie keine Kraft
unbenutzt, Ruhe iſt fuͤr uns der Tod, alle Pulſe
des Lebens muͤſſen in Thaͤtigkeit bleiben, kein
einziger darf ſtocken. Laſſen Sie uns gemein ſchaft⸗ |
lich in das Innere der aufruͤhreriſchen Städte
dringen, von hier aus allein iſt ein ann
der Dinge moͤglich. |
Der Unwille preßte Eliſabeth 99 1 einen tie⸗
Pi Seufzer aus. Der Fremde ſah aufmerkſam
zu ihr hin. Die Marquiſe ſtand von ihrem
Sitze auf, und jetzt noch eine Antwort vorbeu⸗
gend, wuͤnſchte fie dem Ermuͤdeten wohl zu ru—
hen, mit der Zuſicherung morgen aufs neue von
fich hoͤren zu laſſen. RE
Im Hinausgehen fluͤſterte Sie leite, 4 zu Eli⸗
ſabeth gebeugt: Solche, mein Kind, ſind zwei
ſchneidige Werkzeuge, ſie wurden in unſre Hand
gelegt, uns bleibt es uͤberlaſſen, wie wir fie ber
nutzen wollen, Eliſabeth ſchuͤttelte den Kopf, Got⸗
tes Wege, meine Tante, ſagte ſie, dünkt mich,
‚find. viel einfacher, er legt uns keine Schlingen
und giebt uns keine Raͤthſel. Vergiß nicht, ent⸗
er
gegnete jene, was die Schrift uns zuruft: ſeid klug
wie die Schlangen! — und ohne Falſch wie die
Tauben, fiel Eliſabeth raſch ein. Doch Frau v.
Robillarb hatte das Letztere nicht mehr gehoͤrt. Sie
war ſchon mit einem Fuß in ihrem Zimmer, und ließ
die Thuͤr zwiſchen ſich und ihrer Nichte zufallen.
Dieſer lag, was ſie heute gehoͤrt und geſehen,
wie ein Stein auf der Bruſt, und weinend fluch,
tete ſie zu Gott, vor dem ſie die beaͤngſtete Seele
im heißen Gebete ausſchuͤttete.
Viertes Kapitel.
E, war ſeitdem eine Weile alles in dumpfer Un⸗
gewißheit auf dem Schloſſe geblieben. Nur von
weitem hoͤrte man von den Gefechten in der Ven⸗
dee. Undeutliche Gerüchte ſagten, daß während
der Belagerung von Nantes, Veſtermann auf
Parthenay marſchirt ſey, und Lescure und Laroche
Yaquelin bei Chatillon geſchlagen habe. Man
erzählte von der Feuersbrunſt von Cliſſon, Herrn
von Lescure gehoͤrig, und gefiel ſich die Schreckens⸗
— 59 —
bilder der Verheerung im graͤßlichſten Fichte hin⸗
zuſtellen. Bald darauf erfuhr man, Chatillon
ſey wiedergenommen. Veſtermann habe ſich in
der Nacht unbekleidet retten muͤſſen, die koͤnigli⸗
che Armee draͤnge ſiegreich vor. Weder vom
Herzoge noch dem Prinzen waren gleichwohl
Nachrichten eingelaufen, weshalb niemand ſeinen
Gedanken eine ſichere Richtung zu geben wußte.
Die Stimmungen der Marquiſe ganz beſonders
wogten auf das Ungeſtuͤmſte hin und wieder.
Bald ſahe ſie alle Himmel offen, Muth und
Stolz ſchwollen übermaͤßig an, ihre Erwartun⸗
gen ſchienen alle erfüllt; bald wieder lag fie wei⸗
nend und betend am Boden, die Welt brach uͤber
ihr zuſammen, nirgend ein Hoffnungsſtrahl, die
nahe Todesangſt faßte ſie ſchon. Doch hoben
ſolche Erſchuͤtterungen die Springfedern ihres bes
weglichen Geiſtes nur um ſo elaſtiſcher. Ihre
Blicke richteten ſich ſogleich wieder ſuchend umher,
irgendwo mußte ein Ausweg ſeyn, geheime Bo—
ten wurden ausgeſandt, Briefe, Bitten und Vers
wuͤnſchungen nicht geſpaart, halbe Naͤchte auf
den Knien erwartend am offenen Fenſter durch⸗
a
8 60 — *
wacht, kurz das Aeußerſte der Leidenſchaftlich⸗
keit erſchoͤpft, um dem rollenden Weltrade in die |
Speichen zu greifen.
| er RD ens
Und mitten unter dieſen Stuͤrmen, fuchte
und fand der düſtre Fremde noch immer Schutz
bei den geaͤngſteten Frauen. Unſchluͤſſig und er⸗
ſchoͤpft, blieb er ziemlich gleichguͤltig an dem Orte
wo er einmal war, ſo lange ihn nichts von da ver⸗
drängte. Seine Gegenwart drückte gerade Elir
ſabeth in dieſer Zeit unbeſchreiblich. Sie ging
dem verſtoͤrten, ſchroffen Manne gern aus dem
Wege, der ſo entſchieden und doch ſo befangen
mit Frauen redete. Fuͤr Frau von Robillard
ward er indeß bald ein Gegenſtand leiſen Hohnes,
bald ein Troſt und Hoffnungsanker in der Noth,
je nachdem Muth oder Verzweiflung ihr arbei⸗
tendes Gemuͤth bewegten. Er ſelbſt aber verlor
ſich in jeinen Abgrund tiefſinniger Betrachtun⸗
gen, die ihm alleſammt die Frage unbeantwortet
ließen, warum die Sonne der Freiheit dem
Menſchengeſchlechte immer nur vor Ye)
feuchte? 1
— 61 Er
Schlaflos ging er die Naͤchte in feinem cyni⸗
ſchen Mantel gewickelt, mit offenem Halſe und
verſtoͤrtem Haare die Schloßgallerie auf und nie⸗
der. Seine Seele ſchmachtete unter den Ban⸗
den des ſterblichen Leibes, und dem brennenden
Durſte, den Lauf der Dinge aus jenen abſchwei⸗
fenden Bahnen wieder unter das Geſetz der Na⸗
turvernunft zuruͤck zu draͤngen.
| Einf, in dunkler Gewitternacht, von Sturm
und Donner majeſtaͤtiſch angeredet, regte der ges
knickte Muth, wie in fruͤherer Zeit, ſeine Schwin⸗
gen. Der freiheitsgluͤhende Juͤngling dachte an
ſeine fluͤchtenden Gefaͤhrten, an die verhafteten
Deputirten in Paris und mehr noch an ein We⸗
fen, deſſen erſte Glorie wie ein Sternbild an
dem dunkeln Himmels ſaume voruͤber zu ſchweben
ſchien. Auch Du! Auch Du! riefſer, beide Haͤn⸗
de vor die Augen druͤ cken
Sehr erſchuͤttert trat er zum Fenſter. Flam⸗
mend riß der Blitz das tiefblaue Gewoͤlk ausein⸗
ander, und gleich darauf, wie Metall auf Me
tall, ſiel der Donner in kurzen, gellenden Saͤtzen
nieder, ſernhin auf einer Anhöhe ſahe man es
* ws
Kopf in beide Arme geſtemmt vor feinem Schreib-
—
uͤber dem Wipfel einer hohen Buche in kleinen
Flaͤmmchen tanzen, und dann ploͤtzlich ſtand der
ganze majeſtaͤtiſche Baum in Feuer. Langſam
ſenkte ſich ein Zweig nach dem andern, bis der
glühende Stamm zur ſchwarzen man ver⸗
ſchweelte. 20
Tiefſinnig wandte dc Barbarour eg "ech
ſinken! ſagte er in ſich hinein, verſinken! ift das
Geſetz des Weltbaues. Das Herrlichſte beugt
das Haupt zur Erde, und Jahrhunderte vers
ſchließt dieſe das anvertrauete Pfand, bis neue
Erſchuͤtterungen es verjuͤngt heraufrufen! Ha.
Menſch, wer biſt Du, daß Du Dich mit unter
den Truͤmmern begraͤbſt? — Lange ſaß er den
tiſch. Endlich ergriff er eine Feder. Einer von
Euch Leidensgefaͤhrten, ſagte er, iſt denn doch
wohl noch am Leben, und die geſchaͤftige Buͤr⸗
gerin Robillard, wird dieſen Zeilen wohl einen
Weg nach Paris zu bahnen wiſſen. Er tauchte
ein, und ſchrieb zum erſtenmale nach langer Zeit.
„Der Bürger Barbarour an Vrifßt, den Uns
erſchrockenen! Wenn Dein hoher Muth den
* *
*
.
— 63 —
„Ketten der Eiferer trotzte, und Du ausharrteſt
„bis Deine Stimme im Kerker verhallen mußte,
„ſo denke nicht minder rein von Deinen Anhaͤn⸗
„gern, die Dich kaͤmpfend zu befreien gedachten.
„O! weine, mein Cato, weine über Dein Vaters
„land! Keine Hand regt ſich die zertretenen Men⸗
„ſchenrechte zu erheben!“ 5 {
„Iſt es in der moraliſchen wie in der phiz
„ſiſchen Welt? — Wendet ſich der Erdball dem.
„Lichte gleich wie der Finſterniß zu? Muß es
„Tag ſeyn um Nacht zu werden? Sollten Spar-
„ta und Rom nur wie Blitze in der Dunkelheit
„leuchten? — Und darf die Welt jetzt den Bru—
„tus bewundern, und morgen dem Caͤſar huldi⸗
„gen? So giebt es nichts als Auf- und Ab,
„waͤrtsſteigen, und Ein Nachtſchatten jagt den
„Andern!“ — 11
„Wenn die Freiheit nur ein Traum iſt,
„warum mußte das Haupt jenes harmloſen Koͤ—
„nigs fallen? Ich ſchaudere jetzt oft vor dem
„Gedanken!“
8 „Aber nein! nein! die Vernunft ſchreyt laut
„in meiner Bruſt dagegen. Rom ſteigt aus ver⸗
ah
*
vw
— 4 —ͤ—
„fuͤngter Erde herauf. Wir alle ſceungenö die
„Fackel der Freiheit, es wird dennoch Tag! Wenn
„die Natur nach ewigen Geſetzen gezwungen ih⸗
„ren Gang gehet, ſo zeichnet der moraliſche
„Wille nach jenem Vorbilde die Bahnen hoͤhe⸗
„rer Lebensordnung, und ſchafft aus eigener
„Kraft ein ewiges Seyn!!“h!!
„Was hat auch die Freiheit mit den a
„gern gemein, die ihren Namen mißbrauchen !
„Schimpf und Schande uͤber uns, daß dieſe Ty⸗
„ger herrſchen. Schweigt denn der neue Cicero, |
„Victorin Vergniaur ganz? a iſt Condorcet
„tod?“ N .
„VBriſſot! noch eine W war uͤrge⸗
„tin Corday bei Ihnen? Hatten Sie her ein
„Bild der roͤmiſchen Portia? O! ſchrumpft zu⸗
„ſammen ihr kleinlichen Ideale weiblicher Groͤße,
„dieſe eine hat eine Seele, weit genug eine Welt
„der Freiheit zu denken!“ — n kerne
„Nach mir fragen Sie nicht. Ich bin nichts,
„nichts mehr! Briſſot, darf das Thier im Men⸗
„ſchen fo grauſam den Herrn ſpielen! — Der
„Dunger trieb mich unter den Schutz ariſtokra⸗
*
— 65 —
ytiſcher Weiber, in einen Zwinghof ehemaliger
„Tirannei; die Mauern welche foͤderaliſtiſcher
„Wahnſinn zwiſchen die freie Gemeinſchaft der
„Menſchen zog, muͤſſen jetzt den Republikaner
„bergen! Spalteten mir doch von je dieſe klein⸗
„lich folgen Schloßthuͤrme das kuͤhnanſtrebende
„Buͤrgerherz! Und jetzt! Aerger wie Dein Ges
‚„föngniß, Briſſot, zwaͤngen mich dieſe Wände
„ein! Wo waren denn die ewigen Blitze, daß
„bie Barbarei der Natur in ſoſchem Rieſenbaue
„trotzen durfte? Wie gebieteriſch dieſe Felſen⸗
„maſſen auf den Haͤuptern der Menſchen laſten 1
„Wider willig muß ich ihre finſtere Kuͤhnheit
„anſtaunen! |
„Und dieſelbe Finſterniß deckt noch mit
„ſchwarzen Fluͤgeln die ganze umliegende Ge⸗
„gend. In fanatiſcher Dumpfheit ſchlingt ſich
„das alte Vand der Herrſchaft und Knechtſchaft
„unter dieſen Menſchen fort. So wie ihre
„geaͤngſteten Seelen zu einem hoͤchſten
„einigen Gotte flüchten, ſo verlangt
„ihnen auch nach einem weltlichen
„Herrſcher, wie na ch Träger und Ver⸗
Ir Theil. E
*
— 66 —
„fechter der Geſetze. Die Schwankenden
„brauchen überall einen Ruͤckhalt! Nicht ein
„Funken eigner Selbſtſtaͤndigkeit regt ſich in ih⸗
„nen. Wie anders in den Staͤdten, wo das Licht
„der Aufklärung ſchon den Schulknaben über.
„feine Rechte belehrt, und die früh geweckte
„Kraft ſich gegen ſclaviſche Diseiplin auflehnt!
„Die Frauen hier ſind von ſeltſamer Farbe des
„Characters! Die Eine, jung, ſchoͤn, bloͤde und
„ſtolz, von unzugaͤnglichem Gemuͤthe und ſchwaͤr⸗
„meriſcher Begeiſterung, die Andere zu klug fuͤr
„ihren Kreis, zu beſchraͤnkt fuͤr große Gedanken,
„zwiſchen Gewohnheit und den Anregungen der
„Zeit ſchwankend, unermuͤdlich im Wollen, und
„brauchbar für Andere. Ich werde dieſe bahn—
„machende Beweglichkeit benutzen, ſobald es Zeit
„iſt, eingedenk der großen Vorſchrift der Vers
„nunft, daß jedes Werkzeug da ſey bis
„herem Zwecke zu dienen!“ —
Zufrieden mit den entwickelten Vorſtellun⸗
gen, ruhiger durch ihre Mittheilung, und gleich⸗
ſam in dem aufs neue ausgeſpannten Syſteme,
wie in einem Beſitzthum zu Hauſe, legte ſich
*
1
— 67 —
Barbarour ſtolzer wie ein König auf feine Kiffen
nieder, und genoß die Herrſchaft ſeiner Ge—
danken. |
Indeß wachte in derſelben Nacht, in einem
andern Flügel des Schloſſes, Eliſabeth von ban⸗
gen Schauern vor der Gewalt des Himmels
durchzittert. Sie konnte niemals den Wetter⸗
ſtuͤrmen gleichgültig zuſehen. Donner und Blitz
erfüllten fie ſtets mit Furcht und Vertrauen. Es
ſchien ihr jede herannahende Gefahr ein Er—
wecken der ſchlafenden Seele zu ſein. Und heute
beſonders brauſten die Wolken mit ihren gluͤhen⸗
den Flammenzungen ſo drohend und wild herz
auf. Wollten ſie dem zagenden Maͤdchen etwas
ſagen? Sie horchte betrachtend auf! Im zuͤchti⸗
gen Nachtkleide, die blonden Locken unter einem
leichten Haͤubchen verſteckt, knieete ſie vor einem
Cruciſir, und bat den Himmel ihr Beſonnenheit
und Ruhe zu geben, wenn ſeine Donner irgend
ein nahendes Ungluͤck weiſſagten. Sie hatte die
laͤnglich feinen Haͤnde zuſammengefalten gegen
ein Tiſchchen geſtuͤtzt, auf welchem vor dem Ser
ſusbilde ein Gefäß mit friſchen weißen Roſen
E 2
— — 63 —
feinem fanften Balſam-Duft aushauchte. Die
zarten Blattchen bewegten ſich von der Zugluft
angeregt, es ging liſpelnd durch ſie hin, waͤhrend
drauſſen Blitz und Schlag ſchmetternd niederſie⸗
len und der Sturm heulend an den zitternden
Fenſtern voruͤberfuhr. Eliſabeth richtete ſich feſt
in die Hoͤhe. Da druͤben brannte der herrliche
Baum mit ſeinen weitausſtrebenden Zweigen,
dumpf hallten die Schoklaͤnge des Donners zu⸗
ruck, in den Wipfeln der Kaſtanien rauſchte es
wie Regenſtroͤme, und gleichwohl fiel kein Tro⸗
pfen nieder, der Wind peitſchte das Gewoͤlk pfeils
ſchnell voruͤber. Eliſabeths Augen lagen auf dem
brennenden Baum. Jetzt ſtuͤrzte ſeine flammende
Krone in den ausgehoͤhlten Stamm, ein blutro⸗
ther Strahl ſtieg noch einmal aufwärts, dann
praſſelten die Funken in Millionen Sternchen auss
einander. Es iſt vorbei! ſagte Eliſabeth. Sie
oͤffnete leiſe das Fenſter. In der Luft ſauſte und
rollte es noch immer, der ganze Himmel ſchien
eine Feuerdecke, ihr war das Herz unbefchreibs
lich eng und voll! Sie ſahe wieder auf den
Baum, Qualm und Rauch hüllten ihn in dichte
88 —
Wolken. Er iſt fo koͤniglich gefallen! fagte jie,
und ſtroͤmend brachen bei dieſen Worten die Thraͤ⸗
nen aus ihren Augen. Laut ſchluchßend barg ſie
das Geſicht in ihr Taſchentuch, ſie wußte nicht
wie ihr war, noch was ſie dachte und empfand.
Aber wie die langen Windſtoͤße fo voll und be⸗
bend an ihr Ohr ſchlugen, und ſie nicht unter⸗
ſchied, waren es Trompetenklaͤnge, oder jener nie
vergeſſene Glockenton ſeiner Stimme, da druͤckte
fie die Hand auf das geaͤngſtete Herz, und fle—
hete laut, Gott! nimm die bange Taͤuſchung weg
von mir!
In dem Augenblick kniſterte es wie Glas⸗
ſpitzen gegen die Scheiben. Sie fuhr erſchrocken
auf. Jetzt noch einmal! Es waren wohl Staub⸗
wirbel die gegen das Glas ſtreiften. Sie lauſchte
mit zuruͤckgehaltenem Athem, da flog es zum
drittenmal und ſtaͤrker, wie ein abſichtlich geſcheh⸗
ner Wurf zum offenen Fenſter hinein. Iſt es
moͤglich! rief Eliſabeth beide Haͤnde zuſammen
ſchlagend. Da unten wicherte und ſtampfte der
Schimmel, das weiße Tuch des Prinzen wehete
gruͤßend herauf; er ſelbſt lachte tief und ange⸗
— 70 —
nehm über des erſchrockenen Maͤdchens Verwun⸗
derung. Guten Abend! meine liebe, ſchoͤne Freun
dinn, ſagte er, fo leiſe wie es ihm möglich war. —
Ich komme Sie im Fluge zu gruͤſſen, und mir
fuͤr die nahen heißen Tage einen lebenden Blick
aus Ihren hellen, begeiſterten Augen zu holen.
Sie ſind nicht verwundet? lispelte Eliſabeth,
während ihre weißen Arme den dunkeln Ephen
vor dem Fenſter zuruͤckbogen. Verwundet? lachte
der Prinz, weshalb auch! Ich habe einen guten
Engel, Eliſabeth, der wacht uͤber mich. Und
denn, fo meinen es die Kugeln der Republika⸗
ner nicht halb fo ſchlimm als fie ſelbſt, das Ger
ſchuͤtz fällt meiſt alles in unſere Hände. Im übri⸗
gen verſteh'n wir andere auch unſer Handwerk!
Die Klingen der Ad'lichen wiſſen ſich Platz zu
machen. Eliſabeth hatte ſich weit zum Fenſter
hinaus gebeugt. Der Wind fuhr oft ſchneidend
zwiſchen ſie und dem Prinzen voruͤber, und trug
viele von den lieben Worten mit ſich weg; ſie
wollte ſo gern die fliehenden Silben erhaſchen,
und bog das Köpfchen zu dem ſchoͤnen Redner
hinunter. Oft leuchtete ihnen der Himmel mit
— 71 —
ſeinen glühenden Fackeln, beide ſahen dann ein⸗
ander ganz vom Licht umfloſſen, wie Einer des
Andern Auge ſuchte und fand. Der Prinz den
einen Arm auf den Sattel geſtuͤtzt, die Zuͤgel
auf ſeines Pferdes Hals gelegt, ſaß etwas in
den Buͤgeln gehoben, die andere Hand wie einen
Blendſchiem vor die Augen haltend, und athmete
die Engelstoͤne des ſchlanken ſchneeweißen Maͤd—
chens ein, die jo leiſe und ſauft beweglich hinter
ihrem Laubgitter herunter ſprach.
Wie ließen Sie uns denn, ſagte ſie faſt ſchel⸗
tend, fo lange über ſich und den Lauf der Bege⸗
benheiten in Ungewißheit! Wir haben recht ban⸗
ge, bange Stunden verlebt. Und wie kommt es,
daß ich Sie hier allein ſehe? Stoͤrt Sie mein
Anblick, fragte er, der Stimme im raſchen Eifer
ihren gewohnten vollen Klang laſſend, wuͤnſchten
Sie es anders? Eliſabeth hob winkend die Hand
in die Höhe, und den Finger auf die ſchoͤnen
Lippen gedruckt, wandte ſie den Kopf nach den
Fenſtern der Marquiſe, die etwas ſeitwaͤrts von
den ihrigen, vom Schein der Nachtlampe ange—
#
— 72 —
ſtrahlt, dem Prinzen die Nähe eines unberufenen
Zeugen verriethen. Er war der Wendung ihres
Kopfes gefolgt, und ebenfalls die Finger auf den
Mund druͤckend, winkte er freundlich, daß er ſie
verſtehe. Ich komme, ſagte er, immer mehr zu
ihr hinauf gehoben, jetzt feſt in den Bügeln fies
hend, ich komme aus dem Lager von Die, Der
fruͤhere mißlungene Verſuch auf Lucon ſoll mit
verſtaͤrkter Kraft wiederholt werden. Die Armee
iſt verſammelt, morgen wird die Vereinigung mit
Charette ſtatt finden. Ich habe mich auf wenige
Stunden entfernt, um Ihnen das alles ſelbſt zu
ſagen, und Sie zugleich vorzubereiten, Eliſabeth,
daß Sie im Fall eines Ruͤckzuges hier nicht mehr
laͤnger ſicher ſind. Der Angriff wird ſehr heftig
ſeyn, der Widerſtand nicht minder, werden wir
geſchlagen und verfolgt, bleiben die Republikaner
Herr dieſer Gegend, fo fällt auch Schloß Asper⸗
mont in ihre Haͤnde, und Sie haben alles von
den Barbaren zu fuͤrchten. Halten Sie ſich des
halb jeden Augenblick zur Flucht bereit, und wen⸗
den Sie ſich alsdann getroſt nach der Inſel Noir⸗
moutier, die Charette beſetzt hält.
*
; — 73 —
Die Worte Flucht, Ruͤckzug, Trennung von
der heimathlich gewordenen Gegend fuhren ſte—
chend in Eliſabeths Bruſt. Doch druͤckte ſie den
Schmerz nieder, und allein bemuͤhet die befons
nene Ruhe ihres Freundes durch keine ſchwaͤch⸗
liche Beziehung zu ſtoͤren, ſagte ſte mit einiger
Anſtrengung: wohin aber, mein Prinz, denkt ſich
die Armee zu wenden, wenn ihrem Muthe hier
kein guͤnſtiger Erfolg begegnet? Der Prinz vers
ſtand ihre großmuͤthige Abſicht. Geruͤhrt ſagte
er: Eliſabeth, vergeſſen Sie ſich ſelbſt ſo ganz?
und die lange Trennung die uns beiden drohet?
O Gott! rief das erſchuͤtterte Mädchen, warum
berühren Sie die wunde Stelle! Doch, ſich plößr
lich faſſend, ſetzte ſie ernſt hinzu, denken wir an
das geängſtete Vaterland und fein beſchimpftes
Koͤnigshaus! wir ſtehen und fallen mit beiden!
Der Prinz breitete heftig beide Arme nach ihr
aus, dieſe dann feſt auf der Bruſt zuſammenpreſ—⸗
ſend, rief er, mit gedaͤmpfter Stimme: Lebe wohl,
lebe tauſendmal wohl! wir ſehen — — — die
Luft verwehte ſeine Worte, raſch hatte er das
Pferd gewandt, und ſtuͤrmend ſprengte er einem
nahegelegenen Waͤldchen zu.
+ Sanft war das Gewitter verhallt. Linde
troͤpfelte der Regen herab, die Luft ſaͤuſelte kaum
hörbar zwiſchen den Kaſtanienblaͤttern, es war fo
ſtill umher, daß Eliſabeth die lauten Herzſchlaͤge
in ihrer Bruſt erſchreckten. Sie mochte wohl
ſchon lange ſtill geweint haben, ohne es ſelbſt zu
wiſſen. Wie ein Schleier lag es vor ihren Auz
gen, ſie druͤckte ſie gegen die kuͤhlen Epheublaͤtter.
Lieber Gott! ſeufzte ſie, wo iſt der kurze Traum
geblieben! Es ward ihr ſchwer ſich alles deutlich
zuruͤckzurufen, bis der entſetzliche Gedanke, viel—
leicht in Kurzem von hier fort, die letzten gelieb⸗
ten Spuren verlaſſen zu muͤſſen, fie durch und
durch wach ſchuͤttelte. Fremden Schutz ſollte ſie
alsdann anflehen, fern von dem ſchirmenden Geiſt
dieſer Mauern, ohne Anhang, ohne Nachricht,
ohne Gemeinſchaft, allein mit der Marquiſe auf
jener Inſel, ſchon halb vom Vaterlande ausgeſto⸗
ßen! Sie konnte das nur dunkel denken!
Sie ſaß, und ſann und ſann! Der Morgen
daͤmmerte ſchon, er war grau und truͤbe. Da
unten ging der tiefſinnige Barbaroux achtlos über
die feuchten Graͤſer, dieſe ſchlugen gegen ſeine
herabhaͤngenden Strümpfe und zeichneten einen
langen ſchwarzen Saum auf den nachlaͤſſig ſchlep⸗
penden Mantel. Und der — ſagte Eliſabeth, der
duͤrfte uns begleiten wollen? mit ihm? Tepee
lich, ganz unmoͤglich.
Sie hatte es bis dahin noch nicht einmal
bedacht, was ſie der Marquiſe uͤber die Mitthei⸗
lungen des Prinzen ſagen durfte. Der heftigen
Frau allzuviel wiſſen zu laſſen, war nicht rath—⸗
m, ihr die moͤgliche Gefahr verſchweigen, ge⸗
wiſſenlos. In dieſer Unſicherheit ſagte ſich Elifas
beth troͤſtend, es ſey uͤberall noch nicht ſo weit,
wer wiſſe wie alles komme; ganz ohne Nachricht
laſſe ſie uͤberdem der Herzog auf keinen Fall.
Bloßen Muthmaßungen werde die Marquiſe oh⸗
nehin nicht trauen und, mit des Prinzen Worte
ihre Warnung zu unterſtuͤtzen, hielt fie ſchon al:
lein die Scheu ab, von ihm und ſeiner kurzen,
verborgenen Anweſenheit zu reden. Wer weiß,
wiederholte ſie ſich immer wieder, wie alles
kommt! Sie wollte eben ſo einen Vorhang vor
die eigene Angſt ziehen, aber das ahndende Herz
ſah dahinter und fand doch keine Ruhe.
— 76 —
Jetzt war es ſchon laͤngſt Tag geworden. Im
Schloſſe ſchlief niemand mehr. Der Fremde ging
noch immer zwiſchen den Hecken hin und wieder.
Die herabtroͤpfelnden Blätter hatten ihn wollends
durchnaͤßt, das Haar lag ſchlicht an den Schlaͤfen
und um den entbloͤßten Hals und Nacken, er ſa⸗
he ganz ſeltſam aus. Eliſabeth ward an alte
Goͤtzenbilder erinnert, die ſie wohl hin und wien
der geſehen hatte. Un willkuͤhrlich, wie in bes
wegten Augenblicken unſere Gefuͤhle ungleich an
einander fliegen, fiel ihr bei feinem fremdartigen
Anblick der Gedanke an jenes ungekannte Eiland
wieder aufs Herz, wohin ſie ja des Prinzen
Wunſch verwies. Die Erinnerung daran vers
wirrte ſich in vielen andern truͤben und aͤngſtigen⸗
den Vorſtellungen. Da ritt von ohngefaͤhr der
alte Reitknecht mit dem Iſabellen die Wieſe ent⸗
lang dem Bache zu, das ſchoͤne Thier im klaren
Waſſer zu baden. Es ſchnaubte und ſchüͤttelte
ſich und blies die Nüſtern fo ſchwellend auf, und
drehete und wandte den ſchlanken Hals ſo keck
und ſtolz, als ſolle es irgend wen in den Kampf
tragen. Eliſabeth betrachtete das Pferd aufmerk⸗
*
ſam. Scharf und geſpannt ſahe ſie dann lange
Zeit vor ſich hin. Jetzt ſank fie vor das Crucifir
nieder, ſie betete heiß und innig. Drauf ſtand
ſie ſehr ernſt und ruhig auf. In ihrem Innern
war ein Entſchluß gereift, der unverſtanden
laͤngſt darinn auf und nieder wogte. ;
Fuͤnftes Kapitel.
Haben Sie es gehoͤrt? rief Frau von Robillard,
athemlos in Eliſabeths Zimmer ſtuͤrzend, haben
Sie es gehoͤrt? Was? meine Tante, was? fragte
dieſe mit kaum gewonnener Faſſung! Den Kano⸗
nendonner von Lucon heruͤber, erwiederte die
Marauiſe, der Schall traͤgt immer mehr hieher.
Die Unſrigen weichen, werden verfolgt, das iſt
fo gewiß als ich lebe. Und in der undurchſchnit—
tenen Ebene um Lucon giebt es nirgend Ruͤckhalt,
nirgend einen Sammlungspunct, nichts als Flucht,
unaufhaltſame Flucht! Jedes ihrer Worte ſchnitt
Eliſabeth durch's Herz. Todtenbleich ſahe dieſe
ſchweigend vor ſich hin, waͤhrend ſie im Innern
— 783 —
mit aller Anſtrengung nach Beſonnenheit und
Muth rang. Ihre Tante lief im Zimmer auf
und nieder, trat zu jedem Fenſter, öffnete jedes,
legte ſich weit hinaus, und glaubte immer, hier
oder dort etwas Beſtimmteres zu hören. Jetzt
trug die Luft den Schall des ſchweren Geſchuͤtzes
ganz deutlich heruͤber, die Scheiben zitterten.
Voll Entſetzen ſchlug die Marquiſe das Fenſter,
in welchem ſie lehnte, zu. Wir ſind verloren!
rief fie erſchoͤpft auf einem nahen Stuhle nieder-
ſitzend. Mein Gott! mein Gott! verlaͤßt Du
uns denn ganz! ſetzte ſie leiſe vor ſich hinredend
hinzu.
Eliſabeth faßte ihre Hand. Gewiß, meine
arme, liebe Tante, ſagte ſie, wir muͤſſen uns in
jedem Augenblick auf einen Ueberfall bereit hal⸗
ten, doch was iſt dabei auch ſo Unerhoͤrtes geſche⸗
hen? Wir duͤrfen darum noch nicht verzweifeln,
und muͤſſen wir auch das Schloß für jetzt verlaf
ſen und irgend zu einem entlegenen Orte fluͤchten.
Frau von Robillard ſtand ploͤtzlich ganz gefaßt von
ihrem Sitze auf. Sie ſahe Eliſabeth ruhig an,
und ſagte mit einigem Stolze: Denken Sie, daß
— 79 —
ich den Rebellen das Schloß ſo gutwillig uͤberlaſſen
werde? Sollten ſie ſo ganz muͤhelos als Herren
hier einziehen? es iſt feſt genug, um ſich eine
Weile zu halten, die Männer hier find zu lange |
im Dienſte unſers Hauſes, um Memmen zu feyn.
Die Wuͤtheriche moͤgen es erobern, und wenn es
denn wahr iſt, daß franzoͤſiſche Krieger die Ehre
fo ganz vergeſſen haben, und die eingeborne Ach—
tung gegen Frauen ſo ganz verleugnen koͤnnen,
fo will ich mich unter den Trümmern dieſer Mau-
ern begraben. Was ſoll auch aus dem Hin- und
Herzerren des armen betrogenen Lebens heraus-
kommen? Wohin ſollen wir denn fluͤchten? iſt
ein Ort ſicherer als der andere? Wenn dieſer
Krieg nichts als ein planloſes Herumſchwaͤrmen
iſt, ſo gilt es gleich, wo uns die blutigen Horden
einfangen!
Eliſabeth fand beinahe, daß ſie Recht habe.
Sie zoͤgerte, ihr etwas zu erwiedern. Doch ge—
dachte fie der ausdruͤcklichen Warnung des Prin-
zen, und wie er ſelbſt in dem Gedanken der ©is
cherheit ſeiner Familie ſeine Ruhe ſetzte. Auch
fuͤrchtete ſie, die ungewoͤhnliche Spannung den
— 80 —
Marquiſe werde nachlaſſen und dann ein entſchei⸗
dender Entſchluß zu ſpaͤt kommen. Sie wagte
einige Gegenvorſtellungen, doch Frau von Kos
billard wies jeden Vorſchlag hitzig und mit einigen
bittern Ausfällen gegen fie ſelbſt ab, ſie ſchloß das
mit, ihrer Nichte die Freiheit zu laſſen, ſich zu
retten, wie fie koͤnne, fie aber wolle es erwar⸗
ten. 1 u
Es iſt klar, dachte Eliſabeth bei ſich ſelbſt, fie
trotzt unter ganz falſchen Vorauſetzungen auf ih⸗
ren Muth, und wenn nun die Gefahr in ihrer
vollen Scheußlichkeit hereinbricht, wird ſie im
Todesſchreck alle Faſſung verlieren. Ihr war alles
darum zu thun, ihre Tante und die Leute des
Prinzen in Sicherheit zu wiſſen, ſie ſelbſt hatte
laͤngſt unwiderruflich uͤber ſich beſchloſſen.
Indeß ward es immer unruhiger im Hofe
und außerhalb auf der Heerſtraße. Die Leute
traten zuſammen, riefen einander zu, und, ſpra⸗
chen alle zugleich, ohne daß man recht wußte,
wovon die Rede ſey. Alle hoͤrten es ſchießen, und
glaubten Rauch und Dampf am Horizonte zu fer
hen, nur blieb es unentſchieden, ob der Schall
1
— 81 —
naͤher komme? Einige meinten, der Wind habe
ſich gedrehet und ſtaͤnde nun mehr abwaͤrts; an⸗
dere verſicherten, das kleine Gewehrfeuer ganz
deutlich zu hoͤren, wie es ſich in der Ebene ver—
theile und immer hitziger hierher draͤnge.
N Barbarour war eine Weile unruhig hin und
hergelaufen, jetzt trat er in feiner gepreßten mürz
riſchen Laune zu den Frauen herein, und ſagte
mit rauhem, verdrüßlichem Ton: das kommt von
dem unerwogenen Beginnen, dem vornehm, ſtol—
zen Ueberſchaͤtzen unzulaͤnglicher Kraͤfte; nun iſt
das Garn überall ausgeſpannt, wohin ſollen wir
uns nun retten?
Ein rothes Zornesflaͤmmchen ſpielte auf Elis
ſabeths Stirn. Sie maß den baumſtarken, kern
geſunden Mann mit leuchtenden Augen; mich
duͤnkt, ſagte ſie, jetzt eben ſey die rechte Zeit fuͤr
jeden, Ueberzeugung und Gedanken mit ſeinem
Blute zu beſiegeln. Was zoͤgern Sie? Die ſieg⸗
reichen Republikaner brauchen vielleicht nur einen
weiſern Fuͤhrer, um ihre Waffen ein zweitesmal
gegen ihre wahren Tyrannen zu richten. Sams
meln Sie ihre Gefaͤhrten, werfen Sie ſich an
Ir Tyen. 53
— 82 — 0
die Spitze der Schaaren, uns aber uͤberlaſſen Sie
es, nur getroſt uns ſelbſt zu behaupten. Das
Herz ſchlug ihr bei den erſten Worten, die ſie die⸗
ſem Manne ſagen mußte, als ſolle ſie mitten in
den Streit hineintreten, doch wuchs ihr der Muth
unter dem Reden, und als ihr die Tante trium⸗
phirend laͤchelnd die Backen ſtrich, drückte fie dies
fer die Hand, indem fie ihr zufluͤſterte: getroſt,
meine Tante, unſere Feinde ſind nicht ſo furcht⸗
bar, als wir denken.
Barbarour ſahe ſie finſter an, er wechſelte
mehrmals die Farbe, doch die perſoͤnliche Empfind⸗
lichkeit hinter ein geringſchaͤtziges Lächeln verber⸗
gend, ſagte er, mit ſcharfer Heftigkeit ihre Hand
faſſend: Bethoͤrtes Weſen, meinſt Du, das Ver⸗
ſchiedenartige knete ſich wie ein Teig nach der Laune
des Augenblicks zuſammen? Was ſoll ich mit den
Knechten des Conventes? unſere Richtungen ſind
auf ewig getrennt. Niemals werde ich meine
Grundſaͤtze verleugnen, und da ich keiner der ſtrei—
tenden Partheien beitreten darf, ohne mir ſelbſt
untreu zu werden, ſo bleibt mir nichts, als den
Tod mit Wuͤrde zu erwarten. Dies zu koͤnnen,
— 3 —
ſetzte er, ſich von Eliſabeth abwendend, hinzu,
haben mich große Vorbilder gelehrt.
Er ließ ſich bei dieſen Worten auf einen Gef;
ſel im Nebenzimmer nieder, und ſchien hier das
Aeußerſte mit Feſtigkeit erwarten zu wollen.
In Wahrheit, ſagte Eliſabeth, in tiefſter
Seele verletzt, dieſe Helden großer Syſteme moͤ—
gen beſſer zu ſterben verſtehen, als ſie zu leben
wiffen. Ihre rohe Erhabenheit preßt alles warme
Herzblut aus dem Leben, und macht die menſchliche
Größe ſehr zweideutig. Die Marquiſe hingegen
fand bei allem dem viel heroiſche Kraft in dieſer
Art und Weiſe, und hielt den kuͤhnen Juͤngling
aufs neue ihrer ganzen Theilnahme werth.
Ein Geraͤuſch im Hofe zog jetzt alle an's
Fenſter. Einzelne Verſprengte waren die Kaſta—⸗
nien⸗ Allee heraufgekommen; man hatte fie ans
gehalten und hieher gefuͤhrt. Sie erzaͤhlten viel
und mancherlei durcheinander, woraus man min—
deſtens fo viel ſchließen mußte, daß die Nepublis
kaner große Vortheile hatten, und die armen, er—
ſchrockenen Landleute die Schlacht verloren gaben.
Der Eine ſagte ſehr treuherzig; die freie Ebene
F 2
* a
— 84 —
und die ungewohnte Art, ſie in abgeſetzten Reihen
heranzufuͤhren, habe ſie ganz irre gemacht, die
Vordern ſeyen zwar immer friſch vorgedrungen,
und haben das feindliche Feuer ausgehalten, in
der Zuverſicht, daß die Andern ihnen folgten,
doch, als dieſe, unbekannt mit der neuen Fuͤhrung,
verlegen zoͤgerten, habe fie der Feind durchbro⸗
chen, und Alles ſey in Unordnung gerathen. Eli⸗
ſabeth fragte nach den Fuͤhrern, und nannte zu⸗
letzt mit widerſtrebender Zunge den Herzog und
den Prinzen. Sie wußten nur unbeſtimmte, oft
widerſprechende Auskunft zu geben. Im Uebrigen
geſtanden ſie, daß fie in unglaublicher Schnellig⸗
keit bis hieher gekommen waͤren, und ſetzten hin⸗
zu, alle Straßen ſeyen voll Fluͤchtlinge. Als ſie
aber die Aengſtlichkeit der Fragenden bemerkten,
da lachten fie. Die koͤnigliche Armee, verfichers‘
ten fie heiter, ſey ja noch da, fie werde ſich mor-
gen ſchon wieder ſammeln, allzudreiſt wagten die
Blauen auch nicht, ſie zu verfolgen. Warum
aber, rief die Marquiſe auf's Aeußerſte entruͤſtet,
wenn Ihr geſunde Arme und Beine habt und
Euer Vaterland retten wollt, goͤnnt Ihr dem
— 85 — :
Feinde fo viel Raum? Warum thut Ihr nicht
heute, was morgen vielleicht zu ſpaͤt iſt? Das
iſt nun einmal ſo, erwiederten ſie beſchaͤmt, die
Sinne gehen ſo leicht mit einem durch, Kopf
und Herz wiſſen nichts davon. Nun tröfteten fie
gutmuͤthig, ein andermal traͤnken wir es den
Blauen wohl wieder ein. Fuͤr heute wird es ſchon
dunkel, und die Sache endet wohl von ſelbſt.
Es endet wohl von ſelbſt! wiederholte Eliſa⸗
beth leiſe, aber wie? das Gott erbarm! Ban—
ges Entſetzen ging ihr durch alle Glieder. Einer
von den Geflüchteten, ein junger Burſche, faſt
noch Knabe, ſtand ihr zur Seite, ſie maß ihn mit
raſchem, pruͤfendem Blick, d'rauf, ihn winkend,
trat ſie, abwaͤrts von den Andern, dicht zu ihm
hin. Sie hatte eine kleine Goldkette vom Halſe
geloͤſt; mein Freund, ſagte fie mit aͤngſtlich raſcher
Stimme, nimm, was ich Dir hier geben kann,
und überlaß mir die Kleidung, die Du traͤgſt, und
das rothe Tuch um Deinen Kopf. Leicht erhan:
delſt Du fuͤr dies Gold ein anderes Wamms.
Willſt Du? fragte ſie dringend, ſo lege nur alles
in die Hoͤhlung jenes ausgebrannten Baumes,
und verrathe durch keinen Laut mein Geheimniß.
Das junge Blut klopfte ihr auf die Schulter, und
ſagte unſchuldig, was ſoll ich mit dem Geſchmeide?
die heilige Jungfrau beſchuͤtze Sie, das arme Lin⸗
nenkleid gebe ich ſo wohl weg, ich habe daheim
noch ein anderes, und borge mir unter dem Vor⸗
wande, nicht an den Abzeichen erkannt zu wer⸗
den, hier ſo lange eins von einer chriſtlich gutwil⸗
ligen Seele. Du gutes Herz! rief Eliſabeth vol⸗
ler Freude, aber nimm nur, nimm, ſetzte ſie, ihm
das Kettchen in die Hand druͤckend, hinzu, und
mit freundlichem Kopfnicken und den Worten:
Auf Wiederſehen! im naͤchſten Geſecht, war ſie
pfeilſchnell die Stiegen zum Schloſſe hinan in ne
Zimmer geeilt.
„Gott! mein Gott! rief fie hier vor dem
Jeſusbilde knieend, vergieb, wenn des Herzens
Unruhe mich voreilig auf unnatürlich fremde Wege
treibt! Gehe nicht ins Gericht mit Deinem ge⸗
ängfteren Kinde! laͤutere was in mir tobt, hem⸗
me oder beflügele meine Schritte, nur wende
Dein Angeſicht nicht von mir!“ Sie neigte die
Stirn auf beide gefaltete Haͤnde, und blieb ſtumm
— 87 —
und hingegeben, das ſanfte Wehen des Ewigen
uͤber ſich fuͤhlend. —
Jetzt, ſagte ſie, iſt es nn Sie tand
auf, ihr ſchwindelte doch etwas, einen Augenblick
mußte ſie ſich beſinnen, was ſie denn eigentlich
vorhabe? mit der flachen Hand die Stirn reibend,
athmete fie tief auf. Unwillkuͤhrlich feste fie ſich,
die Kniee ſchwankten, wie von ungewohnter An⸗
ſtrengung. Das Feuern von der Ebene heruͤber
hörte indeß immer noch nicht auf; Elifaberh fuhr
raſch in die Hoͤhe. Es iſt Zeit, wiederholte ſie
ſich mehreremale. Es iſt die hoͤchſte Zeit! Dann
wehmuͤthig im Zimmer umherblickend, brach ſie
eine von den weißen Roſen, welche das Krucifir
beſchatteten, ſie legte ſie auf ihr Herz, nachdem
ſie die Ringeshaͤlfte des Prinzen daran befeſtiget
hatte. Stille Bundeszeichen, ſagte ſie mit einer
Thraͤne im Auge, bleibt unzertrennlich!
Ihre Pulſe flogen jetzt mit jedem Schritt,
den fie that, raſcher. Flüͤchtig ſchrieb ſie auf ei⸗
nen Zettel, den ſie offen zuruͤckließ: „Meine
Tante, forgen Sie meinetwegen nicht, ich bin ger -
rettet.“ en
-
— 88 —
Dirauf nahm ſie aus einer geheimen Schub—
lade zwei Piſtolen, die ſie in des Prinzen Ge⸗
wehrkammer gefunden und laͤngſt hier verborgen
hatte. Sie wickelte ſie in ein Tuch, und ſchlich
ſich dann leiſe eine Hintertreppe hinunter, durch
den Garten in den Stall. Furcht und Neugier
hatten die Leute alle umhergetrieben, Eliſabeth
begegnete keiner Seele. Sie trat zu dem Iſabell,
ſtrich ihm das ſchoͤne Haar mit der kleinen, zar
ten Hand, und behend' Sattel und Zeug auf⸗
legend, ſchwang ſie ſich ſchnell hinauf, wand ſich
durch Hecken und Geſtraͤuch uͤber einen ſchmalen
Steg durch Krümmungen und Umwege ungefes
hen bis zu dem bezeichneten Baum hin. Sie ſtieg
ab, behielt das Pferd am Zuͤgel, trat dann ſchuͤch⸗
tern in die ſchwarze Hoͤhlung, wo ſie ihren neuen
ſchauerlichen Schmuck, ſorgſam zuſammengewik⸗
kelt, am Boden liegen fand.
Sie ſchlang des Pferdes Zügel um einen nie
dern, halb verkohlten Zweig, und begann nun mit
zitternden Fingern, unter lauten, faſt erſtickenden
Herzſchlaͤgen, die ungewohnte, fie oft widrig zus
ruͤckſtoßende Umkleidung. Jetzt endlich war ſie
— 89 —
fertig. Der Abend war indeß immer tiefer her⸗
eingebrochen. Ein ganz anderes Weſen, ſich ſelbſt
fremd geworden, trat Eliſabeth aus der dunklen
Baumesſpalte in das unſichre Daͤmmerlicht. Sie
wagte kaum einen Schritt zu gehen, bei jeder Be;
wegung ſchlugen die Reliquien an ihrer Weſte
klappernd aneinander. Zaudernd ſtand ſie noch,
als ſie Menſchenſtimmen ganz in der Naͤhe hoͤrte,
wie ein Vogel war ſie auf dem Pferde, und flog
ohne umzuſehen, immer dem Schalle des Geſchuͤt—
zes nach. Die raſche Bewegung, des Pferdes
kuͤhnes Wiehern und Schnauben, der kuͤhle
Abendwind, die friſchen, duftenden Wieſen, alles
hatte Eliſabeths Seele gehoben, ſie ſprengte ganz
leicht über den Raſen hin. Der Gedanke den
Prinzen zu ſehen, mit ihm in aller Gluth ihrer
jungen, ſtarken Liebe fuͤr die gemeinſame Ehre zu
leben und zu ſterben, ſtroͤmte ihr entzuͤckend durch
alle Adern, fie dachte ſich ihm im Gefecht wie fein
guter Geiſt zur Seite, durch Gebet und das Opfer
eigener, liebſter Wuͤnſche, die feindlichen Klingen⸗
hiebe abwehrend, oder wie ſie in Augenblicken
der Noth und des ſchwankenden Mißmuthes,
— 90 —
freundlich den FO des Himmels in feine Bruſt
hauchte, und er an einem Weſen hing, das ſeine
kuͤhne Seele ahndend empfand, und die Verach⸗
tung eines entweiheten Lebens in ihrem ganzen
Umfange mit ihm theilte. — Die ſchwerſte Pruͤ⸗
fung ſchien ihr leicht; das Herbeſte zu erdulden
unausſprechlich reitzend! 2 1
So trugen ſie Liebe und S uͤber
die erſten Schauer der einſamen Nachtwan⸗
derung hinweg. Doch als es jetzt fo unruhig
auf der Heerſtraße ward, Verwundete ſich muͤh⸗
ſam ſchleppend, oder auf Wagen unter Geſchrei
und Gewimmer aufeinander geſchichtet voruͤber
kamen, Truppenabtheilungen dem Wege entlaͤngs
zogen, und ihr truͤbes Schweigen nur mit be⸗
ſchimpfenden Anreden an ſie, als den einzeln
Verſprengten oder Gefluͤchteten unterbrachen, das
Geſchuͤtz fo hohl und langſam durch die Reihen
fuhr, da preßten nie gekannte Gefuͤhle ihre Bruſt
zuſammen. Die zarte, nicht zu verleugnende
Weiblichkeit fuhr ſchaudernd zuruͤck, ihr war, als
thue ſich ein Abgrund vor ihr auf, und ſie ſaͤhe
in die blutige Werkſtatt des Todes hinein. Zoͤ⸗
— 91 —
gernd hielt fie. ihr Pferd an. Durch die Voruͤber⸗
ziehenden gedraͤngt, war ſie im Begriff ſich die⸗
fen anzuſchließen, und mit ihnen den Ruͤckweg
anzutreten, als ein Officier dem mehrere folg—
ten, dicht an fie voruͤberritt. Der Mond war
nicht laͤngſt aufgegangen, er ſahe bleich über war:
me Erddaͤmpfe, die ihre Schleier vor den Him-
mel zogen, hinweg. Der Gelbe ſtampfte tiefe
Löcher mit den Vorderfuͤßen in die Erde. Der
Officier durch die Schoͤnheit des Thieres aufmerk⸗
ſam gemacht, betrachtete deſſen Reuter genauer,
| Eliſabeth ſenkte verlegen die Augen. Wer find
Sie? fragte jener, den zarten Knaben halb mit⸗
leidig, halb unwillig anredend. Ich gehoͤre zum
Prinzen Talmont, erwiederte Eliſabeth kaum hoͤr⸗
bar. Wie kommen Sie denn hieher? fiel ihr
der Officier etwas barſch in's Wort. Eliſabeths
Stolz regte ſich, gefaßt und hoͤchſt vornehm ſagte
fie: Ich ward verſchickt, es iſt nicht meine Schuld,
daß ich erſt nach der Schlacht komme, doch hoffent⸗
lich wird dieſe nicht die letzte geweſen ſeyn, und
man wird mich denn nicht zum zweitenmale fra;
gen, ob ich auf rechtem Wege ſey. — Laͤchelnd Elopf:
j — 92 —
te ihr jener auf die Schulter, nun ſagte er: ich
ſehe wohl des Prinzen hohes Weſen verleugnet
ſich auch nicht in ſeinen Umgebungen. Gruͤſſen
Sie ihn, mein junger Freund, ich bin Charette,
Sie werden wohl von mir gehört haben. Er
ritt eilig ſeines Weges ohne Eliſabeth 080 zu
laſſen ihm etwas zu erwiedern.
Wie mit neuer Lebenskraft hatte ſie die Naͤhe
des kuͤhnen, ehrenfeſten Mannes angeweh't. Sd
muß ein tuͤchtiger Krieger ausſehen, dachte ſie,
kein Misgeſchick darf ſeine Haltung und Ruhe
ſtoͤren, es it doch etwas Schönes um ein feſtes
Gemuͤth! Das ihßrige hatte ſich ſchnell aufgerich⸗
tet. Sie druckte dem Iſabell die Sporen in die
Seiten, und keck zu einem der Adjudanten von
Charette heranſprengend, fragte ſie dieſen: ob er
den Prinzen geſehen, und wohin die große Armee
ihre Richtung genommen habe? — Wir alle, ent—
gegnete jener, haben Gelegenheit gehabt die Tas
pferkeit des Prinzen zu bewundern, fein uners
ſchrockener Eifer hielt auf verſchiedenen Puneten
die Fliehenden an, ſammelte und ordnete die Rei⸗
hen, und rettete einen großen Theil der Armee.
Eliſabeth war als ſehe das Geſicht ihres Freun⸗
des aus einer Glorie des Ruhmes auf ſie hin.
Was nun, fuhr der Offieier fort, die weitern Be⸗
ſchluͤſſe der Obern anbetrifft, fo weiß ich darüber
keine Auskunft zu geben. Das Ungluͤck dieſes
Tages zwingt zu ſchnellen Maaßregeln, man wird
eilen muͤſſen, dem allzukuͤhnen Vordringen des
Feindes Einhalt zu thun. Fuͤr jetzt find die Trups
pen auf ungefaͤhrdetem Ruͤckzuge begriffen, den
die hohe Geiſtesgegenwart des jungen Laroche Ja⸗
quelin zu ſichern wußte. Es wird Ihnen leicht
werden den Prinzen zu finden, den kennt ein je⸗
der. Er gruͤßte hier ſehr verbindlich, und eilte
ſeinem Chef zu folgen.
Eliſabeth war noch nicht weit geritten, als
ſie Wachtfeuer zwiſchen den Suͤmpfen und Waͤl⸗
dern umher durchſchimmern ſahe. Bald ſchlug
der Wind die Flamme abwärts, bald flackerte
dieſe hell und luſtig unter den gruͤnen Baͤumen
herauf, der Himmel glaͤnzte, und ſahe ſtill und
mild auf die ernſte Feierſtunde der blutigen Arbeit
nieder. Ganz von weitem verhallten einzelne
Donner des Geſchuͤtzes, erſchoͤpft ruhete Alles um
die Feuer. Die Mannſchaſten hatten ſich gela⸗
gert, ihre Gewehre ſtanden um Baumſtaͤmme ges
ſtellt, die Pferde waren an eingeſchlagene Pfaͤhle
gekoppelt, viele hatten ſich auch niedergeworfen,
ihr ſtarker Athem war hoͤrbar in der tiefen Stille.
Eliſabeth näherte ſich dem erſten Renterhaufen,
hat niemand, ſagte ſie, den Herzog de la Tremouille
und ſeinen Sohn den Prinzen Talmont geſehen?
Ein junger, etwas abwaͤrts liegender Mann, den
Kopf in beide verſchlungene Arme gedrückt, rich⸗
tete ſich in die Hoͤhe, ſein ſchoͤnes Geſicht glaͤnzte
vom jugendlichen Roth eines kurzen Schlafes, er
ſahe mit hellen Augen umher, dann den einen
Arm ausgeſtreckt, wieß er mit dem Finger nach
einem Trupp hoher zuſammenſtehender Linden.
Dorthin: entgegnete er, muß der Prinz ſich ges
lagert haben. Eliſabeth dankte verbindlich, une
gewiß hielt fie gleichwohl ihr Pferd an, fie bes
trachtete noch den gütigen Unbekannten, deſſen
volle Stimme ihr einen Namen in die Seele rief,
den ſie ſchon lange unter ſo anmuthig ernſtem
Bilde zu kennen glaubte. Herr Heinrich Laroche
Jaquelin! flog es unwillkuͤhrlich Über ihre Lippen.
Dieſer hatte ſich ſchon wieder auf den Raſen zus
ruͤckgelegt, der kurzen Ruhe zu genießen, als
Eliſabeths Ausruf ihn auf's neue zu ihr hin⸗
wandte. Freundlich fragte er, wuͤnſchen Sie et⸗
was, mein junger Freund? Mehr als ich hoffen
durfte, iſt ſchon erfuͤllt, erwiederte das begeiſterte
Mädchen, zwei Helden ſollte ich am Eingang mei⸗
ner neuen Laufbahn treffen, gewiß ſolche Pfoͤrt⸗
ner eroͤffnen nur die Hallen des Ruhmes und der
Ehre. Ein angenehmes Laͤcheln theilte die Lippen
des jungen Heinrich. Recht ſo, mein Kammerad,
rief er, nur immer friſch vorwaͤrts, kein Unfall
raubt uns die Zuverſicht, denn Gott und die Ehre
ſind mit uns! Er ſchuͤttelte treuherzig Eliſabeths
Hand. Dieſe aber trank wie aus goldenen Kel⸗
chen, den milden Feuergeiſt der hier auf und nie;
der wogte. Im Herzen feſter und ſtaͤrker ritt
ſie ſtill uͤberlegend zu der grünen Halle unter
deren Dach der Prinz ſchlaflos, den Mantel uͤber
ſich geſpreitet, den Kopf in den aufgeſtemmten
Arm geſtuͤtzt, nachſinnend lag. Sein Auge ru⸗
hete auf der Gegend umher, er ſchien erzuͤrnt,
denn oft flammten die Blicke ſo brennend auf,
— 9 —
heftig richtete er ſich in die Höhe, 2 * ſich
dann unruhig von einer Seite zur andern. Der |
Herzog ſaß auf einem großen weißen Steine ihm
zur Seite. Er lehnte mit dem Oberleibe gegen
einen Baumſtamm, huſtete viel, und litt ſichtlich
von der Nachtluft, doch ſahe er heiter um ſich,
und ſpielte wie zu anderer Zeit mit dem Zeige⸗
und Mittelfinger in einer gewiſſen Art von Takt
gegen die große viereckte Golddoſf e.. A.
Eliſabeth war abgeſtiegen, fie hielt das Pferd
am Zuͤgel, und ſtand von den herabhaͤngenden
Lindenzweigen verdeckt, den beiden verehrten
Maͤnnern ganz nahe, ohne von enn e
zu werden.
Der Herzog, ſeines Sohnes ee belaͤ⸗
chelnd, ſagte: in Wahrheit dieſer General en Chef
iſt eben fo ſehr Chef unſrer Gedanken, als unſrer
Unternehmungen. Wir koͤnnen ihn weder von
der einen, noch von der andern Stelle verdraͤn⸗
gen. Der Prinz wandte ſich raſch zu ihm hin.
Geſteh'n Sie mir, mein Vater, rief er, auch Sie
empfinden mit Unwillen daß es fo iſt! Ja, ja, ents
gegnete der Herzog, es iſt die ſonderbare Ruͤck⸗
wirkung ber Beſchraͤnktheit, daß ſie uns Andere
auch im Innern beſchraͤnkt macht. Ich ſehe nicht,
warum wir immer klagend auf dem alten Fleck
ſteh'n bleiben, da wir alle Sinne auf die Zukunft
zu richten haben! Was hilft es denn, fiel fein
Sohn mißmüthig ein. Seit dieſer Elbee gewählt
iſt, haͤngt Blei an unſern Unternehmungen! War
denn nicht alles uͤberlegt, erwogen, angeordnet?
Hatten Charette und Lescure nicht ihre Schul—
digkeit gethan? war der Sieg nicht ſchon unſer,
als die ſchwerfaͤlligen, ungleichen, weder durch
vorbereitende Inſtruction der Officiere geleiteten,
noch durch Kuͤhnheit unterſtuͤtzten Bewegungen des
Centrums, Alles, Plan und Ausfuͤhrung, Muth
und Beharrlichkeit uͤber den Haufen warfen, und
wir Meilenweit zuruͤckgeſchlagen ſind! In Wahr⸗
heit, wem allzuviel Kuͤhnheit gefaͤhrlich ſchien,
der wird keinen Troſt in dieſem zoͤgernden Schwan⸗
ken finden. Bei Gott im Himmel! die zaͤrtlichen
Phraſen, meine gute, meine fromme Kinder!
im Namen der Vorſehung, zu mir her! ſchmecken
eher wie ein niederſchlagend Pulver , als ein
Trunk aus der Schaale der Begeiſterung. Was
Ir Theil. &
— 98 —
will dieſer Prediger mit den Waffen? Ohne
große Ehrſucht, darf man es bedauern, nicht an
feiner Stelle zu fein. Nun, laͤchelte der Herzeg,
das thun wir denn auch, aber was wird daraus? —
Die Mißgunſt iſt ein Widerhaken des Ruhmes,
der ſich dadurch ſelbſt ſein Grab graͤbt. Verjagen
wir von unß rer reinen Dahn ſolche a
Geiſter! i . 18K
Hier raſchelten die Zweige welche Einberh
verdeckten. Der Iſabell, ſeine Stallgefaͤhrten von
Tonnayboutonne in der Naͤhe witternd, machte
plotzlich einige ungeſtuͤme Bewegungen zu dieſen
hin. Der Prinz in der Meinung behorcht zu
ſeyn, fuhr wild in die Höhe, Eliſabeth trat ſcheu
zuruͤck, und er, von des Knaben Zartheit beſaͤnf⸗
tigend angeweht, fragte guͤtig, was willſt Du,
Kind? haft Du mir etwas zu ſagen? Der Herz.
zog war auch hinzugekommen, ſein erſter Blick
fiel auf das Pferd. Ach! rief er, ein Bote von
Schloß Aspermont! Aspermont wiederholte der
Prinz, geſchwind, geſchwind mein junger Freund,
was bringſt Du? Mich ſelbſt! entgegnete Eliſa⸗
beth, die ſtraͤubenden Worte gewaltſam beflüz
9
gelnd. Ich ſelbſt, ſetzte ſie gefaßt hinzu, bin ge;
kommen um hier mit den letzten Franzoſen zu
leben und zu ſterben. Und ehe die halb verſtein⸗
ten Maͤnner ihr etwas erwiedern konnten, fuhr
fie eilig fort: verjagen Sie mich nicht, mein
Oheim, es hilft zu nichts, mein Entſchluß iſt ger
faßt, ich verlaffe dieſe Kleider nicht mehr, die
Zeit iſt gekommen, wo die Todesſchrecken allein
noch mit der Ehre Hand in Hand gehen. Ver—
treiben Sie mich von hier, fo gehe ich zu Char
rette. Sie Beide kennen ja die Stimme dieſes
Blutes, das auch in Ihnen Herr Herzog die
Warnungen des Alters uͤberſchrie. Deshalb, fle⸗
hete ſie, ploͤtzlich aufs innigſte erweicht, beide
Haͤnde zu ihnen aufgehoben, dulden Sie mich
doch ja in Ihrer Naͤhe, Sie allein koͤnnen mich
ja nur verſtehen. 1
Es geht ja nicht! es geht ja nicht! ER
holte der Herzog, indem er een vor ihr auf
und niederging.
Der Prinz aber hatte ihre Haͤnde in die
ſeinigen gelegt, und ſie entzuͤckt betrachtend, ſagte
er: nur die boͤſen Geiſter wollten ſie verjagt wiſ⸗
G 2
— 100 —
ſen, mein Vater! bewahren wir denn den guten
Engel unſers Hauſes mit Liebe und Ehrfurcht,
denn in Wahrheit, vor dieſem allein ſchweigen
jene unruhigen Wuͤnſche. Der Herzog laͤchelte,
gab Eliſabeth die Hand und ſagte: nun wohl!
junges Kind, bleib unter uns, und due. D, ente
v guter Engel.
eiästee Kapitel,
Au das Aeußerſte durch Elifabeths Verſchwin⸗
den gereitzt und entzuͤndet, von wachſender Ge—
fahr bedroht, ohne eigentlichen Entſchluß, er⸗
ſchoͤpfte Frau von Robillard die letzten Kräfte in
ruhe - und planloſen Umherlaufen, Fragen, Ber
ſtreiten, Glauben und Verwerfen. Nicht Hoff⸗
nung, nicht Ergebung, hielten vor den Wallun⸗
gen des armen toͤdtlich geaͤngſteten Herzens aus.
Jeden Augenblick vermehrten unſtaͤte Ger
ruͤchte die entſetzliche Pein. Vertriebene, aus
ihren brennenden Huͤtten und Haͤuſern Verjagte,
verbreiteten uͤberall Schreck und Verzweiflung.
— 101 —
Nacht und Tag ſahe man die fürchterlichen
Rauchſaͤulen den Horizont verfinſtern. Mit der
Fackel in der Hand zogen die Republikaner um⸗
her. Vertilgen wollten ſie, wo ſie zu bekehren
nicht die Macht hatten. n
Vier und zwanzig Stunden waren ſo unter
ſteigender Bedraͤngniß hingegangen. Chantonnay
war aufs neue vom Feinde befeßt , die Gegend,
das Schloß, in jeder Minute bedroht, und im⸗
mer noch zoͤgerte die Marquiſe, mehr die unſichere
Flucht, als den Tod ſcheuend, der der Lebendi—
gen nicht anſchaulich genug war, um ihn vollkom⸗
men zu fürchten. Matt und abgeſpannt lag ſie
auf einem Ruhebett, die kranken Nerven zitter⸗
ten, der Kopf war ihr ſchwer und dumpf, das
Herz weich. Sie hielt Eliſabeths zuruͤckgelaſſe⸗
nen Zettel in der Hand. Warme Thraͤnen fielen
darauf nieder. Wo ſie nur ſein mag? fragte ſie
traurig. So unbarmherzig konnte ſie mich ver⸗
laſſen. Iſt das Muth oder Feigheit, was ſie von
hier wegtrieb! Hat ſo ein Weſen denn einen Wil⸗
len, oder geht es blind dem Inſtincte nach? Ich
hatte ſie lieb, ſie iſt ſo ſchoͤn und ſo vornehm in
Haltung und Weſen, wenn das alles’ untergin,
ge! — Sie weinte aufs neue, das Geſicht ge⸗
waltſam von den Zeilen abwendend.
Es war einige Stunden alles ruhig geweı
fen, man fchöpfte Troſt aus der kurzen Stille.
Schon wünſchte ſich Frau von Robillard Gluck
ihrem Vorſatze getreu, dem drohenden Ungewit⸗
ter zum Trotz auf dem Schloſſe ausgehalten zu
haben, und auf gewiſſe Weiſe behaglich, gab ſie
ſich der Ermattung wie jenen linden ſie RR
den Regungen hin. 9
Ohngefaͤhr zehn Abe Abends trat der Kar
ſtellan von einer der Thurmzinnen herabkommend
in das Zimmer der Marquiſe. Der alte Mann
zitterte, er hatte eine Blendlaterne in der Hand,
feine Lippen waren bleich, er ſah Fran von Ro
billard ſtarr an, ohne ein Wort hervor zu brin⸗
gen; dieſe ſchrie bei ſeinem verſtoͤrten Anblick laut
auf, der Greis ſchwankte auf den bebenden Fuͤſe
ren. Sie find da! ſtotterte er muͤhſam, und *
vom Schlage getroffen am Boden.
Jeſus! Hülfe! Huͤlfe! er ſtirbt, rief die
Marquiſe gewaltfam, die Klingeln ziehend. Sie
— 103 —
riß die Thuͤren auf und ſtuͤrzte den Herbeieilen⸗
den entgegen. Sie kommen! Sie kommen! ſchall⸗
te es aus dem Corridor zuruͤck. Blaue Huſaren
find an der Zugbruͤcke, und hinter ihnen wim⸗
melt es auf der Straße nach Chantonnay von
Feinden. Das Gott erbarme, ſchrie ein Anderer
vom Fenſter zuruͤckprallend, da unten brennen
die Staͤlle ſchon und die Scheunen der Meierei.
Die Marquiſe lag auf den Knicen, Hände
und Augen gewaltſam flehend gen Himmel ge:
richtet. Drauſſen fielen Piſtolenſchuͤſſe, zwiſchen
durch ſchmetterten wilde Fluͤche. Barbaroux war
wie ein Geiſt zu der Leiche des Kaſtellans getre⸗
ten. Was wimmert Ihr, ſagte er, der Tod iſt
ſchon unter uns, ſeht ihn nur getroſt an. Die
Marquiſe wandte den Blick ſcheu auf das. vers
zerrte ſtarre Auge des Geſtorbenen. Schaudernd
fuhr ſie zuſammen, der Tod! ſagte ſie, das Ge⸗
ſicht verhüllend. Wir ſind verloren, rief in dem⸗
ſelben Augenblick ein hereinſtuͤrzender Bediente.
Die eine Kette der Zugbruͤcke iſt ſchon zerhauen,
mit der andern wird es eben ſo gehen, retten
Sie ſich, gnaͤdige Frau, ehe die Ausgaͤnge be—
— 104 —
ſetzt ſind. Frau von Robillard ſprang auf, ſie
ſahe wild umher, wohin denn, wohin ſollen wir
fliehen? fluͤſterte ſie in der Angſt ganz leiſe. Durch
das Souterain, erwiederte jener, in den Garten,
zu der Steingrotte am See. Heute Morgen lag
dort der kleine Kahn noch in der Bucht angebun⸗
den. Wir rudern leicht an das jenſeitige Ufer,
und haben wir nur erſt das Schloß hinter uns,
ſo finden wir wohl einen Ausweg. |
Die Marquiſe erwiederte nichts, fie ließ ſich
von ihren Leuten fuͤhren. Barbarour zoͤgerte ei⸗
nen Augenblick, dann folgte er laͤchelnd, weshalb
ſo viel Umſtaͤnde, ſagte er, um einen kurzen Aufs
ſchub zu gewinnen?
Sie legten gluͤcklich den bedrohten Weg zu⸗
ruͤck. Jetzt traten fie in die dunkle Grotte. Die
Marquiſe mußte einen Augenblick niederſetzen,
der Athem verſagte ihr. Der Bediente wollte ins
deß den Kahn losmachen und ein paar Bretter
zu Sitzen im Gebuͤſch ſuchen. Doch vergebens
war fein Bemühen, der Kahn war nicht zu fin⸗
den, vielleicht hatte er Andern ſchon zur Flucht
gedient. Haͤnderingend ſtand der arme getaͤuſchte
— 105 —
Menſch auf dem Brettchen, das ſonſt zu dem
Fahrzeuge fuͤhrte, und ſahe troſtlos auf die vor⸗
uͤbereilenden Wellen, die ſeiner zu ſpotten ſchie⸗
Be neee
Er wußte kaum, wie er es den Andern ſagen
ſollte, die noch immer wartend zuruͤckblieben. Die
Schreckensnachricht ſchlug Alle auf gleiche Weiſe
nieder. Nur Barbarour lachte, es ſchien, er
ſchoͤpfe alle feine Kraft aus bitterer, hoͤhnender
Weltverachtung. a b
Schon wie in einem Kerker faßen die Ge:
aͤngſteten hier dicht zuſammengepreßt, ohne Hoff—
nung zur Flucht oder Ruͤckkehr. Das Getoͤſe
nach dem Schloſſe zu ward indeß immer lauter.
Die feindlichen Truppen waren wohl ſchon einge—
drungen. Man konnte ſingen hoͤren. Graͤßlich
ſtachen die Freudenklaͤnge gegen das Angſtgeſchrei
einzelner Ungluͤcklichen ab, welche die Tyger aus
ihrem Verſteck heraustreibend zu Gefangenen
machten. Jetzt pfiff jemand, im Garten umher⸗
ſuchend, die Marſeiller Hymne. Unſere Henker
kommen, fagte Barbarour. Unwillkuͤhrlich ſtuͤrz⸗
ten alle aus der Grotte dem ſchmalen Pfad nach
— 106 —
dem See zu. Die Marquiſe lag halb ohnmaͤch⸗
tig in den Armen ihrer Leute. Man ſchleppte ſie
und ſich ſelbſt lautlos mit ſchwankend unſichern
Tritten dem ſumpfigen Ufer entlaͤngs. Die Nacht
war dunkel, der moorige Wieſengrund von wei⸗
denden Viehheerden ungleich aufgewuͤhlt. Die
Ungluͤcklichen ſtuͤrzten mal auf mal nieder, oder
ſanken tief in den Moraſt hinein. Doch die To⸗
desangſt gab ihnen uͤbermenſchliche Kräfte, fie al-
lein riß ſie wieder auf, und trieb ſie in ein dicht⸗
verwachſenes Elsbruch. . |
Hier auf kleinen Erhöhungen unter n
ſtehenden Fichten ſanken ſie ermattet nieder. Ue⸗
ber eine Stunde vom Schloſſe entfernt, in wil⸗
der, unwegſamer Gegend waren ſie fuͤr jetzt ſicher,
nicht gefunden zu werden. Frau von Robillard
erholte ſich nach wenigen Augenblicken, aber ſie
hatte noch nicht das Herz, irgend etwas zudem
ken! Nicht Vergangenheit, nicht Zukunft mochte
ſie anruͤhren. Dumpf ſahe ſie in das wuͤſte Dik⸗
kicht um ſich her. Da fluͤſterte etwas an ihrer
Seite; ſie wandte ſich nach dem Geraͤuſch. Eine
ihrer Frauen, ein aͤltlich frommes Weſen, kniete
— 107 —
neben ihr, und die Hände ſtill auf der Bruſt der
falten, dan! te ſie Gott leiſe und inbruͤnſtig fuͤr den
gewährten Schutz. Die Marquiſe ſtuͤrzte in ihre
Arme, laut weinend fuͤhlte ſie an dem treuen
Herzen Troſt und Zuverſicht. Sie konnte jetzt
auch beten, denken und hoffen. 5 |
Der Tag daͤmmerte kaum, als man mehrere
ſchmale Damme auffand, welche das Bruch durch—
ſchneidend noͤrdlich nach bekannten Dörfern fuͤhr—⸗
ten. Es ward beſchloſſen, ſich in die Wege zu
theilen, da es leichter war, einzeln Unterkommen
zu finden. Frau von Robillard wollte ſich gleich:
wohl nicht fo huͤlflos ausſetzen, jene eee
und Barbarour mußten fie begleiten.
Ein jeder von den Gefluͤchteten hatte das
Schloß wie er ging und ſtand, verlaſſen. Nies
mand hatte bis jetzt an die Naͤſſe und Unfauberz
keit der eigenen Kleidung gedacht. Nun es Tag
ward und man ſchon mit ſichererm Blick umher—
ſahe, entdeckte man, Einer an dem Andern, das
Mangelhafte und Stoͤrende. Auch ließen die fri⸗
ſchen Luftzuͤge bei aufgehender Sonne bald genug
Kälte und Naͤſſe ſchnierzlich empfinden. Unwill⸗
— 108 —
kuͤhrlich verdoppelte deshalb ein jeder ſeine Schritte,
um nur die laͤſtig feuchten Kleider abwerfen und
an einem Feuer trocknen zu koͤnnen. Tauſendmal
bereuete die Marquiſe jetzt ihr ſtoͤrriges Zoͤgern
auf dem Schloſſe. Frierend, die zarten, des Ge⸗
hens ungewohnten Füße nur unter quaalvoller
Anſtrengung fortſchleppend, rief ſie mit bittern
Zornes⸗ und Schmerzes-Thraͤnen: wer mir das
geſagt haͤtte, tauſend Meilen weit waͤre . ge⸗
fluͤchtet! 105
AUnverfolgt auf Rettung hoffend, 150 gutes,
reines Wetter beguͤnſtigt, kamen ſie nach vielen
und harten Kaͤmpfen, mit gaͤnzlicher Erſchoͤpfung
und Verzweiflung von Seiten der armen, ſchel⸗
tenden und leidenden Frau von Robillard, an
einzeln liegende Huͤtten **
Kaum gewannen ſie die troͤſtliche Ausſicht,
als die Marquiſe, von neuer Angſt befallen, kei⸗
nen Schritt von der Stelle zu gehen beſchloß,
ehe man nicht Erkundigungen eingezogen und ge⸗
pruͤft habe, ob ſich hier auch keine Republikaner
verſteckt halten? So wenig Wahrſcheinlichkeit
hierzu war, ſo beſtand ſie durchaus auf ihrer
— 109 —
Forderung, und als ihre Begleiter ſich entfernen
wollten, ſchrie ſie laut, man ſolle ſie doch nicht ſo
unbarmherzig, jedem Angriff ausgeſetzt, zuruͤck⸗
laſſen. Die treue Anna machte ſich daher allein
auf den Weg. |
In ihrer Abweſenheit lag die arme Frau von
Robillard auf den Foltern ungewiſſen Harrens.
Laut ſprach fie ſich jeden Zweifel, jede Möglichkeit
neuer Gefahr aus, ſchalt ſich heftig, in dieſen
Zuftand gerathen zu ſeyn, und endete damit, auf
Barbaroux's Haupt alle Graͤuel des Buͤrgerkrie⸗
ges auszuſchuͤtten. Nach heftigen, ungezuͤgelten
Ausbruͤchen ſagte ſie vor ſich hinredend, jedoch
ziemlich laut: und warum ich an das Ungeheuer
gekettet, es hinter mir drein ſchleppe? ich weiß es
nicht! . ö
Dieſer erwiederte, die dunkeln Augenbraunen
finſter zuſammenziehend, den Blick am Boden
geheftet: liefern Sie mich aus, wenn Sie wol⸗
len, doch Sie muͤſſen mit aufs Schaffot, Ihr
Ruͤckhalt iſt auch zuſammengebrochen. Die Mar:
quiſe winkte ihm ſchaudernd, zu ſchweigen. Sie
hatte das Geſicht abgewendet, und ſahe aͤngſtlich
—— 110 —
nach Ann g. Dieſe kam jetzt. Die Hutten wa⸗
ren leer, der Schreck hatte auch wohl hier die
Einwohner vertrieben, das wenige Geraͤth ſtand
noch, vom letzten Gebrauch zerſtreut umher, Le⸗
bensmittel waren nicht zu finden, das Vieh, bis
auf ein paar kranke in einer kleinen Umzaͤu⸗
nung eingepferchten Schaafe, war weggetrieben.
Es war geringer Troſt hier zu ſuchen. Doch
trieb ſie die Sehnſucht nach Ruhe e
nig einladende Dach. n
Sie ſetzten ſich um den kalten Pe Anne
ſchob die Kahlen zuſammen, kein Fuͤnkchen glimm⸗
te mehr. Doch in einer Mauerhoͤhlung ſtand
ein Feuerzeug. Holz und Spaͤne waren bald
zuſammengeſucht, jetzt kniſterten die trockenen
Zweige ſchon lebendig und warm, im Augenblick
ſtrahlte ihnen die helle Flamme an. Barbarour
ſah ſtarr in das Feuer, die Marquiſe hatte beide
Arme auf den ſanft erwaͤrmten Heerd gelegt, und
den Kopf dagegen geſtuͤtzt, ſchlief ſie feſt ein.
Anna hingegen durchſuchte Alles, brachte dann
einige Brodrinden, die ſie in der Schublade ei⸗
nes Tiſches gefunden hatte, weichte ſie in Waſſer
— 111 —
auf, und bereitete eine Suppe die Barbarour
ſchon mit luͤſternen Blicken verſchlang. Auch ein
paar alte Roͤcke und Waͤmſer der Baͤuerinn hatte
ſie ausgemittelt, ſie ſchleppte alles herbei, und die
Kleidungsſtücke ſorgſam ausſtaͤubend, bot ſie ſie
der hoͤchſterfreuten Marquiſe bei ihrem Erwachen
zur Auswahl an. Beide traten nun in ein Kaͤm—
merchen ſich umzuziehen, und mußten doch las
chen, als ſie ſo verwandelt einander gegenuͤber
ſtanden. |
Gewiſſenhaft ward nun die Suppe getheilt.
Mit Entzuͤcken ſtrich Frau von Robillard auch
die letzten, am Rande zuruͤckgeſchobenen, Brocken
zuſammen, auch nicht ein Tropfen blieb im Ges
ſchirr.
Geſtaͤrkt, erwaͤrmt, zu neuer Wanderung
tüchtig, überlegte man, daß der Aufenthalt hier
noch eigentlich gar keine Sicherheit gewaͤhre.
Wahrſcheinlich waren doch die Einwohner durch
einen gefuͤrchteten Ueberfall vertrieben. Es ſchien
rathſam ſich noch mehr nordwaͤrts zu wenden.
Es ward lange hin- und her erwogen, bis wie
weit der Feind Herr der Gegend ſeyn koͤnne?
— * —
Bei der Unzuverläßigkeit früher eingezogener
Nachrichten war das nicht zu ermeſſen. Des⸗
halb lag alles daran, irgendwo Menſchen aus der
Gegend zu treffen, welche Auskunft zu geben
wußten. Der Richtung nach waren ſie uͤber
Chantonnay hinaus, doch wußten ſie auch das
nicht beſtimmt, und der ungleiche, durchſchnittene
Landſtrich bot keinen Punct zu weiter Umſicht
dar. ie
Sie ſetzten ſich daher getroſt aufs neue wie⸗
der in Gang. Anfangs verfolgten ſie einen feſten,
hoͤchſt angenehmen Wieſenpfad. Einzelne Kaſta⸗
nien und Linden beſchatteten den blumigen bun⸗
ten Raſen. Vergiß mein nicht und rothe Nelken
wanden ſich zu ihren Fuͤſſen, große gelbe Lilien
ſahen mit offenen Kelchen uͤber den Grabenrand,
Bienen und kleine glaͤnzende Libellen ſchwirrten
mit den durchſichtigen Fluͤgeln druͤber hin. Fran
von Robillard war niemals fo recht eigentlich in.
der freien Natur geweſen. Sie ſahe verwundert
und gerührt umher. Sonderbar! dachte ſie,
jetzt, da alles Andere von mir ſcheidet, kommen
die heimlich ſtillen Gruͤße des Lebens. Sagt ihr
— 113 —
mir Lebewohl? Und iſt es beim Scheiden aus der
Welt, wie beim Eintritt in dieſelbe? Eine tiefe
Wehmuth goß ſich mit den warmen, duftigen
Athemzuͤgen der Blumenkinder in ihre Seele..
Bald indeß reiheten ſich die Baume immer
dichter zuſammen. Ihr dunkles Laubdach woͤlbte
die ineinander gerankten Zweige höher und maje⸗
ſtaͤtiſcher uͤber die Wanderer. Dieſe waren in eis
nem großen unbekannten Walde. *
Fußſteige, ſo wie ſchmal geleiſte een
durchkreutzten ſich ohne irgend eine beſtimmte
Richtung. Keine Spur einer eige ntlichen Heer⸗
ſtraße war aufzufinden. Ungewiß waͤhlten die
Armen den erſten beſten Pfad, immer nur dar⸗
auf bedacht, weiter fortzukommen. Doch zeigte
es ſich bald genung, daß ſie nicht gut gewaͤhlt
hatten. Der Wald verlor fein erhaben klares
Anſehen. Die hohen Staͤmme zwiſchen denen
man wie in Saͤulenhallen ruhig und ſicher hin—
ging, verkuͤrzten ſich zu krauſem unor dentlichem
Gebuͤſch. Wuchernd rankten ſich Brombeer und
Vinke dazwiſchen, man hatte Mühe durchzukom—
men. Der Boden zeigte ſich auch wieder tiefer
Ir Theil. 9
4
— 114 —
und moraſtiger, von allen Seiten ſtieß man auf
Suͤmpfe und Bruͤc hne.
Die Maranuiſe ſetzte ſich auf einen abgehaue⸗
nen Balimſtamm. Sie ſchwur nicht von der
Stelle zu gehen, lieber wolle ſie ſterben, als dies
geaͤngſtete erbaͤrmlich ungewiſſe Leben laͤnger er⸗
tragen. Wirklich bluteten ihre Fuͤße, die Bruſt
war beklemmt, ſie konnte weine
e in? sag mat
Indeß hatte fü 0 der auen umwölet, ein
eee Wind rauſchte in dem Dickicht,
es fing an zu regnen, Frau; von Robillard zit⸗
terte vor Ermattung und Froſt. Anna konnte
das nicht laͤnger mit anſehen, ſie lief aͤngſtlich
umher, irgendwo Schutz und Obdach zu ſuchen.
Nicht weit, zu Ende eines ſchmalen Wieſen⸗
ſtreifes, der den Wald durchſchnitt, ſtand ein al⸗
ter, halb zerfallener Bretterſchuppen. Er moch⸗
te wohl zum Verſchluß des hier gewonnenen Heues
von dem Eigenthuͤmer des Waldrevier's erbauet
worden ſeyn. Jetzt ſtand er leer und unbenutzt.
Anna ſchrie freudig auf, als fie. des kleinen Ges
baͤudes anſichtig ward. Sie eilte zurück. zu ihrer
— m 115 —
Gebieterin und fuͤhrte dieſe im wahren Triumph
hier ein. Auf dem Boden lagen noch einige
Haufen verwittertes Heu, die Marquiſe ſank er:
ſchoͤpft darauf nieder „dem treuen freundlichen
Weſen dankbar die Hand drückend, ſchlief ſie
augenblicklich ein. Auch Anna und Barbarour
lagerten ſich ihr zur Seite, alle hofften einige
Stunden ungeſtoͤrt zu ruhen. Doch kaum hatte
Frau von Robillard die Augen geſchloſſen, ſo
war ihr im Traum, als rege ſich etwas unter
ihr. Vom Schlafe bezwungen kam und ging
dies Gefuͤhl ganz dumpf hin und wieder. Zu—
weilen wollte es deutlich werden, doch bleierne
Bande zogen das Bewußtſeyn zurück. Eine wun⸗
derbare Erſchuͤtterung riß indeß plotzlich das
wirre Schwanken und Bangen aus einander.
Die Erſchrockene fuhr auf, rieb ſich beſinnend
die Augen, und ſahe, daß ſie von der Erhoͤhung
ihres Lagers heruntergeſchoben, flach am Boden
ſaß. Was iſt das? ſagte ſie. Unangenehm
ſchnuͤffelnde Athemzuͤge pfüfen ihr im Nacken,
fie wandte den Kopf, ein ſchauerlich langes, vers
ſchnitztes Geſicht, ſah fir mit kleinen blitzenden
ö 9 2
=
— 116 — 0
Augen, halb ſpoͤttiſch, halb fragend an. Ohne
ein Wort zu ſagen, den erſchrockenen, ſcheuen
Blick auf die fremde Erſcheinung gerichtet, griff
Frau von Robillard mechaniſch nach Anna's
Hand, und zupfte und zerrte dieſe ſo lange bis
die d halben Traume murmelte, ſe⸗
hen Sie wohl, habe ich es nicht geſagt, hier
kommen ſie nicht her. Ach Anna! Anna! rief
die Marquiſe, wie ſprichſt du denn, ſieh⸗ doch
nur! der Fremde lachte widrig. Barbaroux rich
tete ſich auf dies Geraͤuſch in die Hoͤhe, doch
kaum hatten ſich beide Maͤnner erblickt, als ſie
freudig aufeinander zu eilten. Du hier, Corne⸗
lius? ſagte Barbarour, lebt Briſſot nicht mehr,
daß Du ihn verlaͤßt? Er lebt! erwiederte jener,
doch nur fir Stunden. Wie? erſchrickt Dich
das? fuhr er fort. Glaube mir, er und ſeine
Mitgefangenen muͤſſen fallen, ihr dampfendes
Blut allein kann die zoͤgernden Gemuͤther leh⸗
haft genug entzuͤnden, um die gefeffelte Wahr—
heit aus dem vulkaniſchen Schlunde heranfjureife
fen. Solche Opfer erlöfen Frankreich. Schwächs
liche Ver ſuche anderer Art führen zu nichts. Was
.
hat es geholfen, daß Marat fiel? Er iſt nicht
mehr? unterbrachen ihn alle Anweſende in freus
diger Ueberraſchung. Ein Weib erſtach ihn, ſagte
Cornelius. Charlotte Corday? rief Barbarour.
Ja, erwiederte jener, doch die raſche That fuͤhrte
ſie auf das Blutgeruͤſt, ihn in das Pantheon,
die Bergparthey ſteht nur um ſo feſter, je lau⸗
ter die Tyrannen Rache ſchreien! Wann ſtarb die
Corday, fragte Barbarour, die gewaltſam arbeiten⸗
de Bruſt muͤhſam bezwingend. Den ſiebzehnten
Julius, war die Antwort. Er ſchauderte, an
dem Tage flüchtete er von Hunger und Todess
angſt getrieben, auf eines Ariſtokraten Schloß.
Cornelius nahm aus dem zuſammengehefteten
Futter ſeines Kleides mehrere Papiere heraus:
Hier, ſagte er, fie Barbarour reichend, ein Brief
von der Cor day an ihren Freund Barbarour und
was bie Öffentlichen Blätter über das Verhoͤr ders
ſelben mittheilen. Sie bewahrte bis auf den
letzten Augenblick die einfache Ruhe ſicherer
Ueberzeugung. Ihr ſchoͤner Kopf fiel, vom Poͤbel
verhoͤhnt, und gierig ſog franzoͤſiſcher Boden das
Blut ſeiner Befreierin ein.
— 118 —
Barbarour las zu Anfang immer bleicher
und bleicher werdend, doch ploͤtzlich flammte freu⸗
diger Enthuſiasmus auf Stirn und Wangen.
Laut wiederholte er mehrere Stellen des ruhig
beſonnenen Bri ſes, und mit wahrem Entzuͤcken
ſagte er das Ende deſſelben her. „Morgen um
„s Uhr wird man mein Todesurtheil faͤllen, um
„Mittag werde ich gelebt haben! Sagen Sie
„Wimpfen, daß ich mehr als eine Schlacht ges
„wann, da ich ihm den Frieden erleichtere. Buͤr⸗
„ger! ich empfehle mich dem Andenken der Freun⸗
„de des Friedens! Die, welche mich bedauern,
„werden ſich freuen, mich in den eliſaiſchen Fel⸗
„dern mit Brutus und einigen andern Alten zu
„ſehen!“ Barbarourx hob das Blatt mit leuchten⸗
den Augen gen Himmel. Und weiter oben las
er: „Von denen die mich verhoͤrten, ſahe der
„Eine aus wie ein Narr, der Andere wollte mich
„in ſeinem Hauſe geſehen haben, da ich doch nicht
„an ihn gedacht habe. Ich weiß nicht, daß er
„Talente genug beſitzt um der Tyrann ſeines Va⸗
„terlandes zu ſeyn, und dann, ſo wollte ich ja
„auch nicht die ganze Welt ſtrafen. Ich geſtehe,
— 119 —
„ich habe mich einiger Liſt bedient, dem Grund
„ſatz meines theuren Raynal zufolge, daß man
„ſeinen Tyrannen die Wahrheit nicht ſchuldig
„ey: — In wenig Tagen wollte Euch Marat
„alle zu Paris guillotiniren laſſen. — Mir durf⸗
‚te er das ſagen? Dieſe Worte ein über
„ſein Schickſal!“ —. i
Was leben wir denn noch, rief Barbaroux
und verkriechen uns wie Elende in Waͤldern und
Hoͤhlen, wenn die Welt keine Seele run hat
wie dieſe! a Wb
Leſen Sie, erwiederte Cornelius, was Ihnen
Briſſot hieruͤber an Barbarour las fols
gendes 1 Nee
„Ich ſende Euch, PET meinen Secretair
„Cornelius. Die Getreuen müſſen zuſammen⸗
„halten, und ſich retten, wie ſie koͤnnen. Es iſt
„Kuͤhnheit der Gewalt trotzen, doch Weisheit
„ihren Streichen begegnen. Soll die Arbeit ſo
„vieler Tage und Nächte umſonſt fein? und haͤt⸗
„ten wir nur gelebt, um die Zuͤgel machtlos fal⸗
„len zu laſſen? Lebt! Damit das Reich der Aſtraͤa
„wiederkehre. — Ich kenne dieſe Welt! darum
*
— 120 —
„verlaſſe ich ſie gern. Doch würde ich den Tod
„von mir ſtoßen, wenn nicht Opfer fallen müß⸗
„ten! Wie Curtius ſtuͤrzte ich mich dem Hoͤllen⸗
yſchlunde dieſes Conventes entgegen. Möge die
„ beleidigte Freiheit ſich verföhnen, und der Welt
„den Frieden geben.“
„Wir Alle, die wir ſeit eee ee
„im Kerker ſchmachten, ſehen dem letzten Puls
„ſchlage des Daſeyns ungeduldig entgegen; Euch
„die große Arbeit der Zeit uͤberlaſſend.“
„Ein Weib hat es unternommen Frankreich,
„zu retten. Mit der Mine eines ngels und
„einer Heldin, ſanft und unerſch rlich, den
„feuchten Blick gegen ihr Opfer gekehrt, traf
„Charlotte Corday Marats Herz, aber leider
„war fie zu fanatiſch um ſcharffinnig zu ſeyn.
„Die Liebe zur Freiheit ward ihr unwilltührlich
„zur Religion und ſie ſelbſt deshalb ein blindes
„Inſtrument. Ein Dolchſtoß erſchuͤttert nicht die
„Welt; und Meinungen werden nicht durch ein
„Baar ſtroͤmende Pulsadern weggeſchwemmt.
„Wer der Kugel einen Umſchwung geben will,
„muß fie eine Weile auf feinen Schultern getra⸗
— 121 en
„gen haben, und erwägen, wie ſchwer ſie iſt.
„Charlotte Corday liebte die Menſchen zu ſehr,
„deshalb mußte ſie den Einzelnen haſſen. Es
„verdient aber kein Individuum weder Haß noch
„Liebe. Die Menſchheit jedoch fodert Sporn
„oder Zuͤgel, je nachdem die Freiheit ſtockt, oder
„ſich uͤberfliegt, beides iſt den herrſchenden Geis
„ſtern in die Hand gegeben. Seiner hoͤhern Ab⸗
„ſicht Gemuͤther zu gewinnen, muß man der
„eig'nen Natur widerſtreben. So ward ich,
„die Lebenscanaͤle zu verfolgen, Speculant, Ges
ſchaͤftstraͤger, Adlicher ſogar, und trat vom
„Staatsrath in den Jacobinerclubb! Erwaͤgt das
„und handelt!“
Wer, ſagte Barbarour das Blatt laͤßig bei
Seite ſchiebend, hat noch Luſt die muͤden Glieder
zu ruͤhren? Wer die Tyrannei haßt, entgegnete
raſch Cornelius. Ich komme von Caen Euch
und Eure Gefaͤhrten zu ſuchen. Lange ſtreife ich
vergeblich umher”, Eure Spur verfolgend. Die
blutigen Tage, welche kuͤrzlich auf einander folg⸗
ten, trieben mich in dieſen Wald. Noch geſtern
durchzogen ihn Truppen, uͤberall iſt Gaͤhrung.
— 122 —
Nirgend ein Stäspuner, In den Provinzen paart
ſich Teufelei und Abgoͤtterei um die Wette mit
einander. Paris iſt und bleibt der einzige Heerd
großer Ideen. In kurzem fällt dort Marie An⸗
toinette, — die Marquiſe ſank hier ſchaudernd an
Anna's Bruſt, Cornelius fuhr ohne es zu beach⸗
ten fort, ihr ſchuldloſes Haupt ſchreit zu den Her—
zen der Pariſer. Ihr nach folgen die Convents⸗
deputirten, alleſammt vom Volke heiß beweint,
der Augenblick entſcheidet. Dürfen wir ihn un
genutzt laſſen? und iſt es nicht die hoͤchſte Feig⸗
heit hier unthaͤtig zu bleiben? Barbarour ſann
nachdenklich vor ſich hin. Alles koͤmmt darauf
an, ſagte Cornelius mit leidenſchaftlichem Eifer,
einen Entſchluß zu faſſen. Vertrauet mir. Ich
weiß Mittel Euch unentdeckt nach Paris zu fuͤh—
ren und dort zu verbergen. Vor Allem aber laßt
uns in Verbindung mit den Vendéeern ihre Waf—
fen zur Unterſtuͤtzung gewagter Unternehmungen
benutzen. Irre ich nicht, fo iſt hier die Buͤrgerin
ganz geeignet als Vermittlerin zu dienen.
Die Marquiſe, ſchon von allem Vorhergehen—
den lebhaft angeſprochen, voll Durſt die Koͤni—
Ä SE 15
gin zu rächen, geſchmeichelt, geftachelt, gehoben,
im Gebiet der Intrigue ſich bequem und ſicher
fuͤhlend, blies ſchnell den aufblitzenden Funken,
in und auſſer ſich zur ſpruͤhenden Flamme auf.
Ueberall hatte der geſchmeidige Cornelius bald
die Scheu verwiſcht, welche fein erſter Eindruck
in ihr erregte. Die Vorſtellung in Paris ſelbſt,
wohin ſie von je Wunſch und Gedanken verge—
bens trugen, eine Triebfeder großer Ereigniſſe zu
ſeyn, ja vielleicht die Schwingungen des Staates
zu leiten, hob fie über alle augenblickliche Gefahr
hinaus. Sie ſahe ſich ſchon im Geiſte ſchaffend
und wirkend, nach allen Seiten ausgreifen, durch
ihre Vermittelung die Kriegsoperationen leiten,
und auf ſolche Weiſe die ſtolzen Maͤnner regieren,
die ihre Einſicht ſo oft verſpotteten.
Mit der neu angefachten Hoffnung belebten
ſich auch die ſchwindenden Kraͤfte. Sie war au—
genblicklich mit Cornelius in eine Art Verbindung
getreten. Ihr leidenſchaftlich, umherfliegender,
leicht erfaſſender und erfaßter Verſtand ging auf
jeden Vorſchlag des intriguanten Neuerers ein.
Es ward vor der Hand beſchloſſen, zuerſt in Be⸗
— 124 —
ziehung mit der ruͤckgekehrten den Juſurgenten
entgegenſtehenden Beſatzung, von Mainz und
Eondee zu treten, und fo einen Faden nach der
Vendée und Paris heruͤber zu ſpinnen. Cornes
lius hatte hier nur fruͤhere Verbindungen aufzu⸗
nehmen und Frau von Robillard fein und ge:
wandt ihr Intereſſe an das der Vendoefuͤhrer zu
Saüpfen. j
So beraufchten die Schwindelnden einander
wechſelſeitig. Vergebens zupfte die treue Anna
ihre Gebieterin am Kleide, ihr zuflüſternd: der
Rebell umſtricke ſie nur mit Luͤgen, vergebens
ſtraͤubte ſich der ſtrenge ungelenke Varbarour,
mehr dem Catoniſchen Stoicismus als der Lift.
eines Antonius und Menenius Agrippa huldigend;
die unruhig Treibenden verſandten ihre Welter
ſchuͤtternden Pfeile aus der verfallenen Umda⸗
chung, vom dumpfigen Heulager, mit einer Zu
verſicht, welche dem menſchlichen Scharfſinne
uͤberall Altaͤre zu bauen und ſich auf die Spitze
zu ſtellen weiß. 4
— 125 —
r
Siebentes Kapitel.
Wiederum geſammelt, ſtark durch Zahl und
Wille, Gott im feſten Herzen, ruͤſteten ſich die
unerſchrockenen Vendéeer zu neuen Unternehmun⸗
gen. Ihnen lag alles daran den Feind aus je;
nen Bezirken zu treiben, welche die Natur zu
Verſchanzungen der Freiheit, tugendhafter Ent—
ſchluß zum letzten Zufluchtsort der Ehre, Treue
und Religion geſchaffen hatten. Daruͤber waren
alle einig, daß hiezu jede Kraft geweckt, dahin
eine jede gerichtet werden muͤſſe. Zuvoͤrderſt blieb
die Wiedereroberung von Chantonnay, als der
Anlehnungspunct jener verheerenden Schaaren,
welche in dem Innern von Poitou wuͤtheten, das
Nothwendigſte. Der gemeinſame Wille lenkte
ſich darauf. Behutſam war die große Armee
bis zu Pontcharron gelangt, wo man auf die
— 126 —
Arrieregarde des Feindes ſtieß. Naͤher von der
Nordſeite über Les quatre chemins drang die Di:
viſion Royrand vor, und beſchaͤftigte die Beſaz⸗
zung durch einen falſchen Angriff, waͤhrend die
Hauptmaſſen vom Suͤden hereinbrachen.
Purpurflammend ſtieg die Morgenfonne hin;
ter dem dunkeln Saum der Wälder herauf. Fri⸗
ſche Luftzuͤge ſpielten in den Gluthen, der Hime
mel wogte wie ein Feuermeer. Feierlich rückten
die Schaaren vorwaͤrts, gruͤne Zweige an Huͤten
und Muͤtzen und dem Hauptgeſtell der Pferde;
die weiße Fahne rauſchte wie ein Schwanen—⸗
fittig über, ihnen. Der Prinz ritt heute ein
kohlſchwarzes Normaͤnniſches Pferd mit Purpur
und goldgeſtickter Satteldecke. Er ſelbſt trug ein
kurzes, ſchwarzes Collet mit filbernen, Epaulets
und als koͤnigliches Feldzeichen die altfranzoͤſiſche
Scherpe, ein hoher weißer Federbuſch wogte auf
ſeinem Hute. Die ſchoͤn gezeichneten Augenbrau⸗
nen etwas ſtolz heraufgezogen, den Kopf zum Um⸗
herſchauen gehoben, flogen die Wirte wie
raͤchende Todespfeile nach Chantonnay heruͤber.
Der Herzog, vor der Morgenluft in einem dich⸗
— 127 —
ten Mantel gewickelt, ein geſtepptes ſchwarzes
Sammtkaͤppchen tief in die Augen gedrückt, die
weiße Taube des heiligen Geiſt-Ordens auf ſil⸗
bernem Felde auf die Bruſt geheftet, ritt einen
ſilbergrauen Andalufier. Er hielt die Hand, mit
welcher er die Zuͤgel fuͤhrte, nachlaͤſſig auf des
Pferdes Hals, und zeigte mit der andern auf die
feindlichen Poſten, die ſein ungeſchwaͤchtes Auge
leicht entdeckte. Der ſanfte Ernſt ſeiner beſonnee
nen Worte ſchien unwillkuͤhrlich ein Damm fuͤr
des Prinzen Ungeduld zu werden. Zwiſchen Bei⸗
den, wie damals auf jener erſten, bedeutungsvol—
len Reiſe, ritt Eliſabeth. In ihren klaren blauen
Augen ſpiegelte ſich Erwartung, Glaube und Dez
muth. Das Wehen ihrer ſtill gehobenen Seele
traf von Zeit zu Zeit des Prinzen Bruſt. Er ſahe
von ihr zum Himmel, und beugte das allzuunge⸗
ſtuͤme Herz in uͤberlegenden Gedanken.
Durch die Schaaren ging ſchweigſamer Ernſt,
man hoͤrte nur geiſtliche Lieder ſingen. Der
Gott allein, der von je ſo groß geweſen, konnte
ſich maͤchtig in den Schwachen zeigen. Die füllen |
— 123 —
Geſichter, vom Morgenlichte angeſtrahlt, leuch⸗
teten dennoch voll innerer Zuverſicht. Eliſabeth
hatte ſchon längſt einen Juͤngling in geiſtlicher
Tracht bemerkt, der an der Spitze eines Bauern⸗
trupps, das Kruciſir in der Hand, fo ſchlicht und
innerlich beſchaͤftigt, ohne viel Worte oder beredte
Gebehrden herging. Sein ſanftes, etwas blei⸗
ches Johannesgeſicht, das gerad anliegende, gelb⸗
lich branne Haar, die reinen durchleuchteten Aus
gen, ja, der zum Wandern eingeuͤbte Schritt, al⸗
les an ihm rief ihr das Bild der Apoſtel zuruck.
Der Herzog gruͤßte ihn mehrmals ſehr freundlich,
er war der Fuͤhrer einer ſeiner Gemeinden, und
ihm ſehr wohl unter dem Namen des jungen Pries
ſter St. Silvanus bekannt. Der Juͤngling hatte
ein überaus weiches Lächeln, wenn fein Auge ſich
redend zu den Menſchen wandte, obgleich der
Blick ſonſt wohl ernſt, ja etwas ſtreng genannt
werden konnte. Er ſchien kraͤnklich, wenn gleich
von feſtem Baue, vielleicht auch, daß das Licht
innerer Offenbarung zu maͤchtig und zu blendend
das junge aufgehende Daſeyn erfaßte. Es braucht
immer eine Weile, ehe dieſe Strahlen, Seele und
*
— 129 —
Leib zugleich durchdringend, ein foͤrderndes Le⸗
benslicht werden. |
Jetzt endlich ward das Zeichen zum Angriff
gegeben. Im ſelben Augenblick waren Muͤtzen
und Hüte in den Händen der Vendseer, fie faßten
nach dem Roſenkranz, den Kopf gebeugt, das
Gewehr im Riemen auf den Ruͤcken haͤngend,
ihre Gebete und Pſalmen dumpf vor ſich hin
murmelnd, ſetzte ſich alles in Marſch. Und mit
einemmale die Muͤtzen auf den Kopf geworfen,
nach den Gewehren faſſend, riefen viele tauſend
Stimmen: Es lebe der König! Tod den Repu⸗
blikanern! und d'rauf und hinein in den Kampf.
Im Augenblick ſind ſie handgemein mit dem
Feinde, fuͤrchterlich fallen ihre Hiebe rechts und
links, die Kriegskunſt hilft den geordneten Truppen
wenig, die Begeiſterten durchbrechen ihre Reihen,
unaufhaltſam wie ein Strom ſtuͤrzt und wogt die
Menge vorwaͤrts, die Verſchanzungen ſind er⸗
ſtuͤrmt, das Gefhüß genommen, Unzählige zu
Gefangenen gemacht. Immer fechtend und ims
mer vordringend kommen die Sieger unter die
Mauern von Chantonnay. Ploͤtzlich wirft fi 0
Ir Then J
— 130 —
ihnen hier die wildefte aller Republikanerhorden
entgegen. Lange ſchwarze Roßſchweife auf den
Helmen, rothe Jacken und Pantalons, Dolche
und Piſtolen im Gürtel, ſtuͤrmen jene Bataillone,
welche ſich die Raͤcher nannten, mit vorgelegten
Bajonetten auf ſt ſie ein. Mir nach! mir nach!
ruft der Prinz, im Namen des allerchriſtlichen
Königs. Seine Wangen glühen wie Purpur,
der ſchoͤne normanniſche Rappe unter ihm ſteigt
ker zengerade in die Höhe, wild hau't dieſer mit
den Vorderfüßen in die Luft, die geſchwollenen
Naſtern aufblaſend, ſchnaubt und dampft er in
ſchaͤumender Ungeduld; noch einmal wendet der
Prinz den ſchlanken, koͤniglichen Hals, mehr als
ſeine Worte rufen die gebietenden Blicke, er hebt
den Arm, winkt feine Schwadronen, und ſtuͤrmt
mit vorgebeugtem Oberleibe in den Feind.
Sich ſelber nicht bewußt, weder denkend noch
wollend, hatte Eliſabeth einem neben ihr Halten⸗
den die weiße Fahne aus der Hand | geriſſen.
Wie ein Blitz theilte ſie die Reihen. Dorthin,
wo der Federbuſch des Prinzen im Gedraͤnge hin
und wieder wankte, zog es ſie magnetiſch. Ihre
a
\ — 131 —
Hand zitterte nicht, ſie konnte den Schaft, an
welchem das Panier hefeſtigt war, hoch in die
Luft ſchwingen. Verlaßt Eure Fahne nicht, Ven⸗
deer, rief ſie mit klarer Engelsſtimme, pflanzt fie
auf die Mauern von Chantonnay. Rettet die
Ehre Frankreichs! Vertilgt die Gottes- und Koͤ⸗
nigsleugner! Vorwaͤrts, Vendéeer! Vorwaͤrts!
Gott und der Heiland find unter uns! — Tief
athmete ſie jetzt zum erſtenmal aus freier Bruſt
an des Prinzen Seite. Der Kampf war beendet,
Bruͤcken und Thore frei, die Stadt in ihren
Haͤnden. Wie von der Todesſichel gemaͤhet, la⸗
gen die rothen Raͤcher umher. Verſtuͤmmelt,
oder ſtarr und bleich, von dem wilden, oft in
Blut getraͤnkten Roßhaar ihrer Helme beſchattet,
ſahen die verſtoͤrten Geſichter aus brechenden,
krampfhaft rollenden Augen zu ihren Siegern
auf. Der Prinz, ſo wie ſein brauſendes Pferd,
gluͤheten und dampften noch vom heißen Kampfe.
Das Blut jagte wild zum Herzen, angeſchwollen
lagen die Adern wie Baͤnder um die Bruſt, die
Pulſe ſchlugen und haͤmmerten in Kopf und Herr
zen. Verſchnauffend hielten jetzt Pferd und Deus
J 2
2 —
a
ter neben der erſtrittenen Bruͤcke, die zur Stadt
fuͤhrte. Mannſchaft und Pferde, Gepaͤck und
Wagen zogen vorüber. Eliſabeth hielt die Fahne
noch immer zwiſchen Schenkel und Pferd ge
klemmt, mit dem linken Arm umſchlungen. Das
rothe Tuch war ihr ſeitwaͤrts von der Stirn ges
gleitet, wallend floſſen die blonden Locken uͤber
Schlaͤfe und Wangen, Roſenlichter der Begeiſte?
rung ſpielten um das zarte Geſicht, und feucht
von Freude und Wehmuth, ſchwamm das liebe,
dankerfuͤllte Auge.
Das Gedraͤnge hier auf der Bruͤcke war groß.
Eilfertig ſtroͤmten die Truppen heran. Alle wolls
ten wenigſtens die Stadt hindurch ziehen. Es
ſtopfte ſich zwiſchen den Leichen der Gefallenen,
dem verfahrenen Geſchuͤtz und Wagen. Auch der
Geiſtliche Silvanus fand ſich hier mit feiner klei⸗
nen Schaar angehalten. Freundlich ernſt trat er
an die Seite, und ermunterte die Ungeduldigen,
in den einfachſten Worten, ſich den kleinen Ver⸗
ſchub gefallen zu laſſen. Seine Stimme hatte
etwas unbeſchreiblich Beſchwichtigendes, der Prinz,
der zufällig neben ihm hielt, ward angenehm dar
—
— 133 —
von getroffen. Die tanzenden und ſlimmernden
Fuͤnkchen, welche die Kampfeswuth noch hin und
wieder an ſeinen Augen voruͤberjagte, verdunſtete
allmaͤhlig, er ſah, uͤberraſcht und gleichſam geweckt,
von dem ſtillen Juͤngling auf Eliſabeth, die wie
ein Friedensengel die verſoͤhnenden Blicke uͤber die
blutige Staͤtte ſchwimmen ließ. Mein Gott!
Eliſabeth! fluͤſterte der Prinz, was waͤre ohne
Ruhm und Liebe das Leben! — Sie laͤchelte,
eine fanfte Thraͤne thauete von den langen ſeid' nen
Wimpern nieder. Wie nach Gewitterſtuͤrmen lin;
de Regentropfen die Erde kuͤhlen, fo fiel dieſe
Thraͤne in des Prinzen duͤrſtende Seele. Schwei⸗
gend reichte er dem geliebten Weſen die Hand.
Ein Strahl hoͤheren Lebens durchzuckte Beide,
ſie gehoͤrten fuͤr alle Ewigkeiten einander.
In dieſem Augenblick ſtimmte Silvanus einen
Pſalm an, er ſetzte ſich, das Krucifir vor ſich her⸗
tragend, mit feiner Kriegergemeine in Marſch.
Eliſabeth rollte ihre Fahne wallend auf, und ſie
aufs neue hoch in die Luft ſchwingend, begleitete
ſie an ihres Helden Seite den Zug zur Stadt
»
—
hinein. Beide von Gluͤck * Liebe und 2
ſtrahlend. * A
Auf dem Markte Sielten fe an. Der won
zog kam auf fie zu geſprengt. Ein Fremder be⸗
gleitete ihn. Der Prinz begrüßte Beide ſehr ehr⸗
furchtsvoll. Alle waren uͤberaus heiter. Der
Unbekannte trug einen wunderbaren Zauber in
den Minen. Er ſagte eben nicht viel, doch lag
es wie ein Glanz auf ſeinem ſtill geruͤhrten Ant⸗
litz. Er ſchien die hellen Blicke der Gegenwart
an dem tiefen Ernſt der Zukunft zu erhoͤhen, wie
man die aufblitzende Sonne noch vor dem Unter⸗
gehen mit leiſe begeiſtertem Ach! wehmuͤthig nnd
froh zugleich begruͤßt. Eliſabeth bemerkte, daß er
ſie ſehr aufmerkſam anſahe und, zu dem Herzog
gebeugt, nach ihr fragte; was dieſer jedoch erwies
derte, hoͤrte ſie nicht, gleichwohl faßte ſie der
Oheim bei der Hand, indem er ſagte: Junges
Kind! der jetzige Moment werde Dir unvergeß⸗
lich durch den Anblick des Marquis des Leseure.
Dieſer erroͤthete bei den Worten faſt ſchuͤchtern,
und in dem Ringen, dem Herzog etwas Verbind:
liches zu erwiedern, blieb er ihm die Antwort
A
ſchuldig. Er. neigte in ſichtlicher Verlegenheit
zwei Finger ſegnend gegen Eliſabeth. Der Him⸗
mel, ſagte er, beſchuͤtzt unſre Jugend, wenn ſie das
Himmelreich hier gewinnen ſoll. Ihre ſchoͤne
Erſcheinung möge uns noch lange tröſtlich ſeyn!
Es kamen jetzt mehrere Andere herzu. Man re⸗
dete viel, doch Eliſabeth konnte ihre Augen nicht
von dem Manne wenden, der ihr ſchon lange un;
ter dem Namen der Heilige von Poitou vor der
Seele ſtand. |
Nach wenigen Ruheſtunden begaben ſich faft
‚alle Chefs nach Les Herbiers, um dort gemeinſam
die nächſten Operationen zu beſprechen. Man
wußte den Feind fuͤr den Augenblick ſo geſchwacht,
ſo abgeſchnitten von aller unterſtuͤtzenden Ver⸗
bindung, man ſahe ihn ſo rettungslos von allen
Seiten in die Haͤnde der Sieger fallen, daß man
nur darauf zu denken hatte, die Provinz vor neuen
Einbruͤchen einer ſtaͤrkern Macht zu ſichern, deren
Annaͤherung leider nur zu wahrſcheinlich war,
nach Allem was das Geruͤcht von den Eilmaͤrſchen
der Mainzer, Luxemburger und Condseerbeſatzung
— 136 —
ſagte, welche die allzuzarte Großmuth aus waͤrti⸗
ger Mächte dem rebelliſchen Frankreich zurück gab.
Der Herzog, welcher durch die Anſtrengung
dieſes und des vorigen Tages ſehr angegriffen
feinen Marſch langſamer in Ellſabeths Begleitung
zuruͤcklegte, fagte, unter vielem, was ihm der
Hinblick auf die naͤchſte Zukunft abzwang: Ich
winfchte, wir vergaͤſſen es nicht, daß in Augen
blicken, in denen das unſtaͤte Gluͤck gleichſam die
Falten aus dem Vorhange ſtreicht der unſer
Schickſal verhuͤllte, fo daß wir ruhige Daͤmme⸗
rung dahinter ahnden, uns der Himmel eher
pruͤft als belohnt. Unſer Volk iſt wie ein hitziger
Juͤngling, der alles mit dem Schwerdte in der
Hand auszumachen meint, und dieſes gleichwohl
nachlaͤſſig in den Winkel wirft, wenn ihm die
Gefahr nicht gerade dicht auf den Leib ruͤckt.!
Er ward ſtill, als er das geſagt hatte. Eliſa⸗
beth mochte ſeine Gedanken nicht unterbrechen,
doch bemerkte ſie nicht ohne Aengſtlichkeit, daß er
bleicher, als gewoͤhnlich ausſahe, und die Athem⸗
zuͤge ſchwerfaͤllig und pfeifend aus der beengten
Bruſt heraufſtiegen. Fuͤhlen Sie ſich nicht wohl.
— 137 Ge *
mein Oheim 2 fragte fie bewegt. Der Herzog
raffte ſich augenblicks zuſammen, ſein Auge lachte
fie liebreich an, und faſt ſich ſcheltend, ſagte er:
Gott behuͤte, daß ich heute noch etwas anders als
die Glorie unſrer Waffen empfinde. Er war von
da an ſichtlich bemüher, Eliſabeth nur Erfreuli⸗
| ches zu ſagen. So pries er die Frauen in ihrer
reinen Selbſtverleugnung, und wie dies Himmels⸗
ſchild ſich ſo ſtark und ſchiemend auf ihre Bruſt
lege, daß ſie der ernſten Lebensgefahr ohne ſon⸗
derliche Anſtrengung trotzen. Gewiß, ſetzte er ge⸗
ruͤhrt hinzu, ihre Waffen ſind nicht von dieſer
Welt! Er fragte hierauf Eliſabeth, wie der Anz
blick des Todes ihr erſchienen und ob ſie nicht
doch Anfangs davor erſchrocken ſey? Gott weiß
es, entgegnete fie, wie es kam, daß ich zuerſt we
der denken noch ſehen konnte, was um mich und
in mir geſchahe; das Herz war mir ganz ſtarr in
der Bruſt, und wie in tiefer Nacht, warf ich mich
den Andern nach. Man hat es bewundert, und
meiner Jugend großes Lob gezollt, daß ich ſo
kuͤhn vordrang; allein, ich weiß wenig oder nichts
davon, und wirklich muß ich glauben eine hoͤhere
— 138 —
Macht habe mich liebend mit verbundenen Augen
an den erſten blutigen Schauern hingefuͤhrt. Doch
als der Sieg beinahe erfochten war, die Thuͤrme
von Chantonnay uns winkten, die Unſern jubelnd
ihre Muͤtzen ſchwenkten, und ſich jetzt mit einem;
male die rothen Legionen wie ein Blutſtrom über
die Bruͤcke uns entgegen waͤlzten, ihr wildes Ges
heul alle verſtoͤrte, und des Prinzen Stimme
wie ein Donner ſchmetternd rief, da ſprengte ein
Etwas, das ich nicht zu nennen weiß, die Ban⸗
de, die mir das Herz gefeſſelt hielten, es ſchlug
gewaltig, Thraͤnen ſtuͤrzten mir aus den Augen,
ich entriß meinem zoͤgernden Mebenmanne die Fah⸗
ne, die Worte kamen mir von ſelbſt, damals frei⸗
lich ſahe ich den Tod, aber er winkte mir vor⸗
waͤrts, denn er — — — ſie hielt erſchrocken ein.
Er ſchwebte, ergaͤnzte laͤchelnd der Herzog, uͤber
ein geliebtes Haupt, was zaudern Sie es zu ſa⸗
gen, liebes Kind? Die Liebe verklaͤrt uns erſt den
Muth, Gott zündet durch ſie den dunkeln Trieb
zur reinen Flamme an. Eliſabeth ſahe betroffen
zu ihm auf. Er hatte ſo ernſt und ohne allen
Umſchweif ihr tiefſtes Geheimniß ausgeſprochen,
—
als gehoͤre es dieſer Welt nicht mehr an, und ſey
hier nichts mehr zu beruͤckſichtigen. Und alle
ſeine Worte klangen ſo bedeutungsvoll und ſinnig
wie ſonſt nie im Leben. Faſt furchtſam ritt he
neben ihm. Doch er nahm gleich wieder mit leute
feliger Freundlichkeit das Wort. Auch ich, ſagte er, 5
habe heute dem Tode ſein Spiel verdorben. Faſt
neckend ging er zwiſchen mir und dem Prinzen
hin und wieder, ich jagte ihn dem Feinde zu,
und ſo ſind wir ihn fuͤr jetzt wohl los, doch, Kind,
er gedenkt es uns, er iſt erſt abe geworden,
zum fatt werden fehlt noch viel. |
Eliſabeth ſchauderte in ſich ent Mein
liebes junges Herz, ſagte er unbeſchreiblich mild,
wir haben das Ehrenkleid unbefleckt erhalten,
was uns fuͤr dieſe Erde umgehaͤngt ward, und
die Liebe gerettet, die im Himmel goldene Seuche
trägt, was wollen wir mehr? —
Eliſabeth faßte unwillkuͤhrlich nach ſeiner
Hand. Sie brannte gluͤhend in der ihrigen.
Mein lieber Oheim, rief ſie, die Thraͤnen kaum
noch bezwingend, wie reden Sie denn jetzt vom
Tode, als ginge er hier neben uns her und fer
— 140 —
hen Sie ihn zwiſchen uns? Fuͤrchteſt Du Dich,
mein ſtarkes Maͤdchen, fragte der Herzog, ihr
ſanft die Wangen ſtreichend. Laß ihn nur gehen,
fädjelte er, wir reiten ja, und unn wohl
a früher an Ort und Stelle! |
Eliſabeth konnte nicht mitlachen. Sie fühlte
wohl, der Herzog war anders als ſonſt. Mit
Bangigkeit ſahe fie ſich hier fo allein auf einſa⸗
mer Haide, fie wußte nicht, ſollte fie den ver
ehrten Greis zu Beſchleunigung des kurzen Rit⸗
tes anmahnen, oder war es dem Erſchoͤpften beſ⸗
ſer, abſteigend einige Augenblicke auf weichem Ra⸗
fen auszuruhen? Gegen das letztere ſprach gleich—
wohl alles, der hereinbrechende Abend, die thauig
feuchte Erde, und mehr noch ſicherlich des Herzogs
eigner Wille, der ſich dieſe Friſt nicht goͤnnen
mochte. Sie wußte nicht, was ſie in der Angſt
thun ſollte. Unwillkuͤhrlich ſprengte ſie ihr Pferd
an, ſo daß es einige Galoppſpruͤnge vor dem Her—
zog voraus war. Sie haben recht, ſagte dieſer,
es wird Zeit! Er eilte nun ebenfalls vorwärts, a
Doch verſagten ihm bald genug die Kräfte. Er
geſtand, es ſchwindle ihm vor den Augen, er koͤn⸗
— 141 —
ne den Weg nicht recht finden, und bat Eliſabeth
ſcherzend Geduld mit einem alten Thoren zu ha⸗
ben, den ohne Zweifel die Siegesfreude berauſchte.
Mein beſter, liebſter Oheim! rief Eliſabeth, wäre
es nicht rathſam wir hielten hier auf eine Stunde,
oder länger an, bis ſich das aufgeregte Blut ge⸗
kuͤhlt, und Sie wieder Kräfte geſammelt haͤtten.?
Bcehuͤte, behuͤte! erwiederte er, ich muß ja mit
dem Prinzen die Abendmahlzeit halten, was
würde der Prinz denken! Ach Gott! ſeufzte Eli⸗
ſabeth in ſich, mein armer Vetter! wie dunkel
wird ihm der Abend nach dem glanzvollen Tage
werden! r
Sehr langſam und beklommen legten fie die
letzte Strecke des Weges zuruͤck. Wie es wohl
jetzt auf Schloß Tonnayboutonne und Aspermont
ausſehen mag! ſagte der Herzog nach langem
Schweigen. Sonderbar, ſetzte er hinzu, daß der
Menſch das Umherſchauen nicht laſſen kann, wenn
er doch nur auf Eines ſehen ſollte! ſo unterbre⸗
chen wir immer den Strahl, der uns aufwaͤrts
ziehet. Wir haben zu vielem wohl nicht das
rechte Gefühl, ſonſt ſtoͤrte es uns nicht. Ich muß
— 149, —
ummer an die Marguife denken, ſeufzte er. Sie
iſt wie ein Licht, das unaufhoͤrlich im Winde 51
ckert, ihr unruhiger Schein thut den Augen wehe,
und leuchtet niemand. Mich duͤnkt, ich ſehe wie
fie den eig' nen Lebensdocht verzehrt, und nichts
davon hat, als ſchwarzen Unſchlitt. Sie liebt ei⸗
gentlich nichts als ſich ſelbſt. Das iſt recht 9&
faͤhrlich, liebes Kind, denn man weiß es nicht,
und zieht ſich durch ein ganzes Leben die Welt
wie ein Kleid an, das uns ſchmuͤcken ſoll, bis
der Tod das Kleid loͤſt. Nun, rief er, die gefal⸗
dene Haͤnde auf des Pferdes Hals gelegt, mit
gehobenem Blick und tief bewegter Stimme, Du
wirſt mir es ja ſagen, mein Gott, ob ich rein,
ohne ſchmeichelnden Selbſtbetrug zu lieben wußte!
Lieber Himmel! ſchluchßte Eliſabeth, ihrer Thraͤ—
nen nicht mehr maͤchtig, wenn Sie ſich ſo miß⸗
trauen duͤrfen, was bleibt denn noch wahr und
unbefleckt in der Welt. Wenig, mein armes Herz,
entgegnete er liebreich. Das beſte iſt, Gott iſt
der Richter, der weiß, die Menſchen wollen
wiſſen, und ſind weit . wenn's Andere
gilt. —
— 143 —
Sie ritten jetzt in den Hof vor des Prinzen
Wohnung. Seine Leute eilten ihnen entgegen.
Der Herzog konnte kaum vom Pferde herabſtei—
gen, die Beine zitterten ihm er mußte ſich auf
Eliſabeth ſtuͤtzen, die feinen Arm nicht wieder
fahren laſſen wollte.
Anfangs war der Prinz nicht ſogleich zu
finden, und als er kam, traf er den Vater ſchon
wieder etwas erholt, in einem Lehnſtuhl ſitzend,
und mit Cartouche, dem alten getreuen Pudel, ſpie—
Eliſabeth ſtand im Fenſter gelehnt gegen
e und begleitete Bewegung und Mine ihres
Oheims, der ſichtlich jede Kraft aufbot, an den
Sohn nicht zu beunruhigen.
Gottlob! rief dieſer beiden geliebten Weſen
die Haͤnde reichend, ſo koͤnnen wir uns endlich
mit einander freuen! Der Schatten, den augen;
blickliche Erſchoͤpfung zwiſchen Sie, mein Vater,
und die Sonne dieſes Tages warf, iſt ja wieder
verſchwunden! Wie koͤnnte es auch anders ſeyn!
Es iſt der erſte Sieg, den ich bei der Armee er:
lebe. Ich geſtehe es, ich habe jede Sorge, jeden
Zweifel uͤber die Zukunft in dies eine, unbeſchreib⸗
— 4 —
liche Gefuͤhl untergetaucht ede ſchoͤne groß⸗
muͤthige Freundin, ſagte er, das erſchuͤtterte, wein
nende Mädchen neben ſich auf einen Stuhl nier
derziehend, ſagen Sie es nur immer auch, daß
dieſe Thraͤnen der Begeiſterung, dem Danke, der
Freude flieſſen. Der Herzog winkte Eliſabeth.
Sie lächelte ſanft, doch zu ſprechen vermochte ſie
nicht. Der Prinz druͤckte ihre Hand feſt auf
ſeine Bruſt. Schon lange, fuhr er fort, habe ich
mich geſehnt, das alles fo ungehemmt laut wer⸗
den zu laſſen. Man mißtrau't meiner Heftigkeit,
ich zuͤgle ſie vor Andern, doch hier, von dieſen
beiden Herzen werde ich verſtanden. Laſſen Sie
uns einen Augenblick denken, wir ſeien am Ziel.
Die ſchwere Arbeit der Zukunft bleibe uns verz
deckt, wir wiſſen heute nichts von ihr. Was thut's,
wenn's morgen anders iſt. Wir leben dieſe eine
ſchoͤne Stunde! In Wahrheit! das Gluͤck duldet
nicht den Maaßſtab der Zeit, es n. Ewig⸗
keiten oder iſt ein Unding.
Der Herzog richtete ſich in die Höhe. Er
ſtuͤtzte den Arm auf die Seitenlehne des Stuhls,
und den Kopf vorbeugend, ſahe er in des Prinzen
— 145 —
flammende Augen. i Es war als trinke er Zus
gendfeuer aus ihren Blicken. Das Gluͤck duldet
nicht den Maaßſtab der Zeit, wiederholte er, nun
wohl! ſo ſind wir ja mitten in der Ewigkeit und
es giebt kein Hier oder Dort, ſondern uͤberhaupt
nur Seyn! Der Prinz, ganz ahndungslos was
ihm der naͤchſte Augenblick bereiten koͤnnte, ſo
recht gemuͤthlich wohl im Innern, faßte ſeines
Vaters Hand und ſagte nach kurzem nachdenkli—
chen Schweigen zuverſichtlich: nicht wahr mein
Vater, wir ſtellen das alte Frankreich wieder her?
Es iſt ja da, laͤchelte jener. Treue und Glau⸗
ben find feine Grundpfeiler, wer die auch unter⸗
graͤbt, hat ſie darum noch nicht aus dem Bau der
Weltgeſchichte verdraͤngt. Die Menſchen geben
ſich viel Mühe die Bande unter einander zu Ads,
ſen, aber es iſt mit den Staaten, wie mit der
Religion, der. e ſelbſt muß den Mittler
ſuchen.
Das alte Frankreich! tief PR ns dem
Her zog ein Glas ſchaͤumenden Burgunder hin⸗
haltend. Dieſer faßte das Glas, er ſah wie die
Perlen am Rande ſpielend in die Mitte zu einem
Ir Theil. K )
— 146 —
Stern zuſammenſchoſſen, und zu Eliſabeth ar}
wendet ſagte er, ſo liebes Kind, werden Erdenthräs
nen eine Saat kuͤnftiger Himmelslichter! Das
alte Frankreich! rief er d'rauf dem Prinzen Be⸗
ſcheid thuend. Er ſtieß an deſſen Glas, und leerte
das Seine. i
Sehr erſchoͤpft lehnte er jetzt in den Arm⸗
ſtuhl zuruͤck. Ich bin recht, recht müde, ſagte er,
Ihr Kinder, ich will ſchlafen. Seine Stimme war
ploͤtzlich ſo beengt, ſo bebend, daß der Prinz zu⸗
ſammenfuhr. Der erſte ahndende Blitz durchzuck⸗
te ihn. Mein Gott! Eliſabeth, fragte er leiſe,
was iſt das? ſie winkte ihm ſtill zu ſeyn, und
flüſterte dann, ich wußte es lange, geliebter Freund,
daher meine Thraͤnen. Er ſank zu ihren Fuͤßen
und den Kopf in ihre beiden Haͤnde gedruͤckt,
weinte er von dem unerwarteten Schlage uͤber—
waͤltigt, recht aus zerriſſener Seele. |
Der Herzog athmete ſchwer. Er ſchlief nicht
und wachte nicht, zuweilen laͤchelte er, doch hatte
er die Augen geſchloſſen. Der eine Arm lag auf
Bruſt und Herzen, der andere hing uͤber die
Stuhllehne. Cartouche wie ein Knaͤuel zuſam⸗
1 1
dee richtete Kopf nd Augen minfelnd
auf feinen Herrn.
Laß uns, lieber Freund, ſagte Eliſabeth, den
jungen Geiſtlichen St. Silvanus rufen. Der
Herzog will ihm wohl, und er iſt uns nahe.
So weit Eliſabeth, rief der Prinz heftig auffah⸗
rend, ſo weit iſt es ja noch nicht, kann es ja gar
nicht ſeyn, die Angſt in Dir iſt zu voreilig. Rufe
ihn nur, bat ſie dringend, was thut es, wenn
er kommt, fein frommes Geſicht leuchtet uns
nicht umſonſt. Er wankte zum Zimmer hinaus.
Sie ſchlich an des Herzogs Stuhl. Ihre Naͤhe
mußte ihn berühren, er griff mit der Hand nach
ihr hin, doch griff er falſch, denn ſeine Augen
wer nicht mehr. Sie knieete neben ihm nie⸗
Halb verſtaͤndlich ſagte er: (6 ſterbe, liebes
pe? doch fage es dem Prinzen nicht alzufruͤh,
fein banges Schluchßen ſchneidet mir in die See⸗
le. Verlaß ihn nicht, troͤſte ihn, wenn er auch
das alte Frankreich dieſſeits nicht wieder ſieht.
Seine Hand lag noch auf ihrer Stirn, als der
Jüngling Silvanus eintrat. Geraͤuſchlos wie ein
Seraph beugte er ſich uͤber den Sterbenden.
K 2
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Dieſer ſchlug die Augen noch einmal zu ihm auf,
9 5 ſich beſinnend ſagte er: nicht war, der
Sieg ward heute ſehr ſchoͤn erfochten. Er werde
es auch hier, betete der Geiſtliche leiſe! Er, iſt
es ſchon, ſetzte er nach kurzem Schweigen hinzu,
indem er ſich von dem Todten erhob. Sein Friede
iſt geſchloſſen, der unſrige gehe uns nicht verlo⸗
ren, bat er, die weinende Eliſabeth vom Boden
auf ebend. O Gott der Prinz! feufzte dieſe.
Doch der ſtand eruft und feſt an des Vaters Lei⸗
che. Er hatte draußen das volle Herz vor Gott
ausgeſchüͤttet, ſeine Bruſt war geſtaͤhlt. Der
Schmerz uͤbermannte ihn nicht, er konnte ihn
aushalten. Doch als er jetzt des Vaters Hand
faßte, und dieſe den Druck der Seinigen uner⸗
wiedert ließ, da ſank er bleich in Silvanus Arme,
der ihn mit ſtiller Gewalt in ein anderes Zimmer
führte, und ihn nicht eher verließ, bis auch in die⸗
fer Seele der Sieg erfochten war. 1
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u gekannt, und ate ungerufen, oͤffnen mil⸗
de Engel die. Thore des Himmels, wenn die
Erde unbarmher zig ein geliebtes Weſen verſchließt,
da un re Augen ſuchen. Linde und loͤſend wal⸗
let der Athem Gottes nieder, was in uns ſtockt,
was uns verfinſtert, es ſchmilzt im Thau der
Thraͤnen, und wenn das Herz nun ausgeblutet
hat, ſo ſchlaͤgt es hoͤher und freier, und ahnet
ſeine Heimath, die ohne ſein Wiſſen, es ſo warm
und heilend umfing.
Stille Tage waren dem Prinzen in dem
een bes 3 sroßeh ert vers
ſtere Gedanken daͤmmerten in ihm, er fa ru⸗
higer auf die Arbeit des Lebens, und waffnete
ſich mit Ergebung. Aber wenn Ehrgeitz und
— 10 —
Rache ſchuͤchtern vor der tiefſinnigen Weiſung
des Geſchickes zuruͤcktraten, ſo ſprudelten die
Quellen der Liebe nur um ſo lebendiger. Das
junge Lebenslicht in der Nacht des Schmerzes
geboren, rief ſie durſtend herauf. Von der einen
Seite vielem e ntſagend, umſchlang das Herz in
wehmuͤthiger Gluth, was der Himmel ſelbſt ihm
nahe legte. en 1 2052 7 4
Eliſabeths ſanfter Fr iedenshaud rührte! zue
an die verborgenen Saiten in des Prinzen Seele.
Einmal angeſchlagen BEN! der Klang zum wach;
tigen, gewaltigen Rufe an. Und wenn früher
Kriegsgewitter ihn augenblicklich aberſchriten, ſo
bebte doch jetzt in einſamen Stunden unter den
tieferen Ruͤhrungen des Kummers 1 gente
Weſen davor. ur
greg
Ohne Worte, ohne gachen, den einen un⸗
bewußt hatte ſich das Band beider Herzen am
Sterbelager des Vaters feſt zuſammengezogen,
und unwillkuͤhrlich ein Verhaͤltniß gebildet, deſſen
reiner Glanz nur der Wiederſchein laͤngſt beſtan⸗
dener unausgeſprochener Verbindung war.
1
1
Heilig, wie das tiefe unerforſchte Geheimniß
des Lebens, rein wie der Glaube an das Uner⸗
forſchliche ſelbſt, dem Kleinod eigener Ehre gleich,
hegte und huͤtete der Prinz das Bild der Gelieb⸗
ten in ſeiner Bruſt. Ein ſichtbares Pfand des
Himmels war fie ihm. Eine Bedingniß menſch⸗
lichen Vertrauens, ein zartes unantaſtliches Band
des Daſeyns. Beſchwichtigend ſtillte ihr Athem
die Stuͤrme feines Blutes. Wunſch und Verlanz
gen ſchienen auſſer dem Kreiſe ihrer ſanften Naͤhe
zu liegen. Doch wenn die Liebe unbewußt ſo die
brauſenden Wirbel zu ebnen verſtand, ſo ward ſie
zugleich auch ein Quell flammender Begeiſterung
fuͤr zwei Weſen, die weder Ruhe noch Gluͤck, ohne
die Würde und Ehre des Vaterlandes kannten.
Sehr ernſt ſahen ſie auf die kommenden Tage.
Voll unbegraͤnztem Vertrauen durfte der Prinz
jeden Gedanken, jede Beſorgniß, in die klare und
ſtarke Seele ſeiner Freundin ausſchuͤtten. Von
Natur beachtend und ſinnig, durch Erbſchaft des
Blutes kuͤhner Heldengroͤße vertraut, von dem
Ernſt und der Erhabenheit der Zeit gedrängt, um—
faßte Eliſabeths Blick die Verhaͤltniſſe der Ge—
— 152 —
genwart ſehr raſch. Sie lernte bald in das in⸗
nere Weſen deſſelben hineinſehen, Pläne und Er⸗
wartungen beſcheiden an den Bedingungen aͤuße/
rer Mittel pruͤfen, und nicht ſelten durch ein auf⸗
munterndes Wort die ſtockende Zuverſicht bes
leben. Re”
Mehr als je war gerade das Letztere an der
Zeit. Bedrohlicher ſahe es noch nie um die kuͤh⸗
nen Vertheidiger des Glaubens und der Ehre aus!
Armeen, furchtbar an Zahl und Tapferkeit, um
ſchloſſen die enge Freiſtatt alter Treue. Das kuͤhn⸗
ſte Herz durfte gepreßter ſchlagen. Nur feſte Aus: |
dauer konnte auf eine oder andere Weiſe retten.
Die Nothwendigkeit, die Provinz von allen
Puncten gegen das Herandringen großer Maſſen
zu ſchuͤtzen, hatte die Armee in vier Haupt; Corps
zertheilt, welche getrennt oder vereint, je nach⸗
dem großer Widerſtand erheiſcht ward, die Gränz
zen des inſurgirten Landes bewahren ſollten; der
Prinz fuͤhrte nach wie vor die Kavallerie, und
war das bewegliche, mittelbar oder unmittelbar
theilhabende Element aller Unternehmungen. Ins
deß waͤlzten ſich von Nantes, Angers, Saumuͤr
— 15] —
und Poitiers die feindlichen Colonnen unaufhaltt
fan heran. Schon hatte Leſeure einen ver
geblichen Angriff auf Tours, Laroche Jaquelin
und Bonchamp auf Doué gemacht. Alles, was
ſie erreichten; war ein augenblicklich ungeſtoͤrtet
Ruͤckzug; doch trug der junge Heinrich, ſo wie
Stoffelet und Bonchamp Wunden davon, die ſie
zwangen, die Armee zu verlaſſen. Und jetzt ge
rade brach Santerre wie ein Gewitter ſengend
und vernichtend uͤber Saumuͤr und Loron vor.
Ohne ihre Fuͤhrer, in den gehegten Erwartungen g
betrogen, ſchuͤchtern und willenlos, ſchwankten die
Truppen, und gingen groͤßtentheils zuruck. Alle
uͤbrigen fanden ſich anderweitig beſchaͤftigt, nichts
hemmte von dieſer Seite des Feindes Fortſchritte
Todesſchrecken weheten vor ihm her, wie gelähmt 1
fielen die ruͤſtigen Arme nieder. |
Stuͤrmend brauſte der Prinz mit wehrten
kuͤhnen Gefaͤhrten durch Hecken und Waͤlder, be⸗
redete, bezwang, gewann und verlor zum Theil
| wieder, was er an Mannſchaften geſammelt hatte.
Die bleiche Angſt jagte nun einmal hinter ihrer
Beute drein, keine Macht der Erde konnte ſie jetzt
- u»
vertreiben. Die Nacht dunkelte, athemlos, wie
ein gehetztes Wild, vor Schmerz und Zorn wei⸗
nend, ſtuͤrzte der Prinz jetzt zum Tode muͤde in
die Hütte eines armen Rinderhirten. Das Feuer
flackerte auf dem Heerde. Er ſtreckte ſich auf
eine Bank daneben, finſter ſtarrte er in die
Flamme, Kein Wort kam uͤber ſeine Lippen. Elis
ſabeth ſaß auf einem kleinen Schemel neben ihm,
ihre Stirn ruhete an ſeiner herabhaͤngenden Hand.
Herbſtſtuͤrme ſchlugen gegen das kleine Fenſter,
und klapperten, mit den loſen Scheihen. Der
Hirt trug ſeufzend und ſtoͤhnend etwas trockenes
Holz herbei. Er ſchielte wohl ſeitwaͤrts zu dem
Prinzen hin. Doch hatte er nicht das Herz, zu
Fragen, wie es denn eigentlich in der Welt aus-
ſihe ? — Ihm ſelbſt blieb wenig zu verlieren,
Die Huͤtte und fein, Amt waren ihm nur als
Pacht verdingt. Was ſonſt feinem armen Reichs
thum ausmachte, ein Fellrock, der Wanderſtab
und die kleine Hirtenfloͤte, das hing und lag dort
druͤben im Winkel, und war mit dem duͤrfti⸗
gen Leben bald gerettet; und gleichwohl zitterte
er vor der nahen Gefahr. Der Prinz bemerkte
= 153 —
es und lachte bitter, ein paarmal zuckte dieſem
die Hand krampfhaft, als wolle ſie ſich gegen das
Schickſal ballen. Eliſabeth ſahe zu ihm auf.
Niemals noch ließen ihre Augen die ſeinen unge⸗
ruͤhrt, heute zum erſtenmal blieben ſie unbeweg!
lich auf einen Fleck gerichtet. Es muß dennoch
gehen! rief er aufſpringend. Er lief ungeſtuͤm
in dem engen Stäbchen auf und nieder. Un:
freundlich ſtieß er den treuen ſchlafenden Hirten
hund an die Seite, der vor der Thuͤr liegend ihm
im Wege war. Die Pferde vor! donnerte er in
die Nacht hinein. Ein junger Officier trat zu
ihm, der Prinz fluͤſterte ihm etwas ins 5
worauf dieſer wieder hinauseilte. 1
Eliſabeth war aufgeſtanden. Sie 565 och |
Saͤbel vom Boden, und ſchnallte ihn um. Auf
das Geraſſel der Waffe wandte ſich der Prinz
raſch zu ihr. Er betrachtete ſie unruhig. Drauf
ihre Hand faſſend, ſagte er etwas unſicher und
ungeſtuͤm, unſere Schaar iſt ſehr klein, es gilt
ein etwas gewagtes Ritterſtück. Sie muß ich
bitten, ſich auf ſolche Weiſe nicht auszuſetzen, des
halb — er ſtockte vor Eliſabeths ſtolzem Blick,
u — 156 —
Sie hatte ihre Hand aus der ſeinigen losgemacht,
und ſie an den Degen legend, ſagte fie: Ihr wils
der Eifer, mein Prinz, laͤßt Sie vergeſſen, mit
wem Sie reden. Ich gelte in der Armee fuͤr den
jungen Ritter George von Rochefoucault. Sie
werden wiſſen, daß der Name nicht allzuzaͤrtliche
Sorafalt duldet, am wenigſten, wenn es auf die
That ankommt. Ob Ihr Unternehmen gewagt,
unweiſe oder weiſe iſt, es geht mich nichts an.
Ich folge, wo Kriegsgeſetz und Ehre rufen.
Der Prinz riß fie heftig au feiner Bruſt.
Mit Dir leben und ſterben, fluͤſterte fie. Der
Offleier trat wieder ein. Es ift alles fertig, ſagte
dieſer. Nun wohl! rief der Prinz, wir ſind es
auch. Das zarte Kind, ſetzte er, auf Elisabeth
zeigend, hinzu, laͤßt ſich nicht zurſickweiſen. Wie
ich es dachte, will der junge Nite den Wettkampf
mit beſteh'n. Es gilt, mein tapferer Georg, rief
Herr von Pereaut, der Begleiter des Prinzen,
wer von uns den Feind zuerſt erreicht! Ja, Elis
ſabeth, ſagte der Prinz ſchon auf dem Pferde,
eine Strecke weit mit ihr voraus reitend, wie
gering auch unſere Kräfte find, wir werfen uns
— 17 —
den Teufeln entgegen, oft thut ein Arm mehr
als tauſende, wir muͤſſen dieſem Santerre das
Handwerk legen, ich ertrage den Gedanken nicht,
vor ihm zuruͤckzuweichen. Und wenn es gelaͤnge!
Liebes Herz, begeiſtert es Dich nicht? Nein! ent
gegnete Eliſabeth kalt, ich ſpuͤre nichts als den
Kitzel eigenen Ruhmes. Gott legt nur dann bes
ſondere Kraft in unſern Arm, wenn kein menſch⸗
licher Ausweg mehr uͤbrig bleibt. Der iſt hier
nicht verſchloſſen, doch freilich, Ihr Name, mein
Prinz, würde. nicht dabei genannt werden. Elis
ſabeth! — rief der Prinz entruͤſtet. Er hielt
ſein Pferd an, indem er ſie einige Minuten ſchwei⸗
gend betrachtete. Du biſt ein Maͤdchen, ſagte er
dann weiter reitend, ich begreife es, und vergebe
Dir. a 0 5
Sie aber wandte ſich ab, und ritt von dem
Augenblick mit dem andern Gefolge hinter ihm.
Anverſehens befand fie ſich zwiſchen zwei etwas
wilden Juͤnglingen. Sie warfen mit gewagten
Worten um ſich, und vermaßen ſich, Santerre
noch heute den Kopf zu ſpalten, ja es entſtand
die Wette unter ihnen, wem von beiden die kuͤhne
— 153 —
That gelingen werde? Eliſabeth ward zu Anfang
bange an ihrer Seite, und vollends, als ſie ſie
aufforderten, der Wette beizutreten, doch faßte
fie ſich bald, und entgegnete ruhig: Herr San—
terre wird ſich ſchwerlich Einem von uns zum
Zweikampf ſtellen, ob wir ihn aber ſonſt erreichen,
iſt mißlich. Beim Himmel! rief der Eine, wir
ſtieben dieſe Spreu mit einem dreiſten Anfall aus⸗
einander, fo viel Gewalt traut ſich ein jeder Edel⸗
mann wohl zu, denn niemand zweifelt wohl, daß
uns das Volk im Herzen nach wie vor anhaͤngt,
und nur die Macht der Tyrannen ſcheuet. Rit⸗
ter Georg! lachte der Andere, fuͤrchten Sie, den
Lindwurm nicht zu treffen? — O laſſen Sie,
ich bitte, erwiederte Eliſabeth, heilige Geſchichten
aus dem Spiel, der Ernſt iſt uns zu nahe.
Und wirklich ſahe man in der Morgendaͤm⸗
mierung hinter thauige Nebelwolken Waffen bliz⸗
zen und Staubwirbel wie wandelnde Berge an
dem Saum der Wälder herunterziehen. Unab⸗
ſehbar dehnten ſich die grauweißlichen Maſſen uͤber
den Geſichtskreis hinaus. Der Prinz wandte ſich
nach ſeinem kleinen Haufen um, und maß mit
— 159 —
finſterm Blick den kuͤhnen Willen mit der Moͤg⸗
lichkeit des Gelingens. Es iſt vergebens, fluͤſterte
Eliſabeth noch einmal zu ihm heranſprengend.
Lenken Sie noch jetzt ein, ehe die Nothwendigkeit
Sie bezwingt. Jetzt? — erwiederte er, im Anz
geſicht des Feindes umkehren? — Nimmermehr!
Sie muͤſſen es ja doch wahr und wahrhaftig uͤber
kurz oder lang, verſicherte ſie mit flehend feuchtem
Blick. Der Prinz winkte abwehrend mit der
Hand, ſie wandte ſich ſeufzend zuruͤck.
Pfeifend flogen jetzt Flintenkugeln rechts d |
links aus dem Gebuͤſch heruͤber, und immer dunk⸗
ler und immer dichter draͤngte ſich Schaar an
Schaar die Hoͤhen hinunter. Preis dem Erſten,
der ſie erreicht! rief der junge Officier an Eliſa⸗
beths Seite, indem er feinem Gefährten voruͤber⸗
ſprengte. Wie ein Pfeil flog der Andere ihm
nach. Beiden gelang es, ein paar feindliche Flan⸗
queurs herunterzuhauen, doch ein Kugelregen
zwang fie ohne weitere Waffenthat zu den Uebri⸗
gen zuruͤckzukehren, die bereits von leichter, aus
Gebuͤſch und Hecken hervorſtuͤrzender Kavallerie
umſchwaͤrmt und angegriffen waren. Wie ein
— 166 —
ſchönes, allzukeck ins Garn gelaufene Wild das
ſtolze Haupt noch einmal hebt, und ſich ſelbſt ver⸗
trauend einen Ausweg ſucht, hielt der Prinz und
überflog jede Möglichkeit der Rettung mit Falken⸗
augen. Wir find verloren! rief er jetzt, doch
die Ehre iſt unſterblich, darum ihr unſer letzter
Athemzug! Wie Sonnenpfeile blitzte die leuch⸗
tende Klinge um und über und neben ihm. Ma⸗
gnetiſch riß es alle hinter ihm drein. Der Tod
machte Bahn. Hindurch und zuruͤck auf der
Straſie nach Lhollet ſtuͤrmten die Tollkuͤhnen,
unverfolgt, ohne Aufenthalt und Ruhe. Staͤr⸗
kern Ruͤckhalt fuͤrchtend, goͤnnte ihnen Santerre
die Friſt, gewiß, ſie dennoch zu ereilen.
Däoch ſchon nach einer Stunde Weges fie
der Prinz auf friſch geſammelte Truppen, die
ihm zugleich die Annaͤherung eines bedeutenden
Heeres unter dem Marquis Piron verhießen.
Jetzt erſt wagten die verſinſterten Gedanken ſich
in ihm aufzurichten. Beſchaͤmt, ja im Innern
zernichtet, hatte er Eliſabeths Blick gemieden,
jetzt ſuchte fie ſein reuig Herz. Er wollte dem
Engel ſeine Schuld bekennen, in ihrer Verzei⸗
„
— 161: —
hung, Troſt und Muth gewinnen. Aengſtlich
hielt er das Pferd an, auf den Lippen ſchon all⸗
den Honig beredender Liebe, das Auge forſchenb
umhergeſandt ließ er muſternd das kleine Heer
an ſich vorüberziehen. Herr Jeſus! ſchrie er
jetzt, wo iſt — er konnte es nicht ausſprechen,
die Worke lüterten auf den ſtarren Lippen, wo
iſt? — ſtammelte er noch einmal. Der junge
Ritter? fragte ihn errathend ſein Adjudant, bei
Gott er muß geblieben ſeyn, ich vermißte ihn
gleich. Der Prinz ſtarrte ihn mit hohlen Augen
an. Geiſterbleich ſchwankte er auf dem Pferde.
Mechaniſch trug ihn dieſes weiter. Ganz recht!
ganz recht! ſagte er ein paar Mal in ſich hin,
ein. Das eigne Herz mußte mir die gautelnde
Thorheit aus der Bruſt reiffen! f wird der
Schlangenkamm zertreten. Das ſind die Poſau⸗
nenklaͤnge, von denen mir in voriger Nacht trum;
te! Gott! Du geheſt in ein fuͤrchterliches Gericht
mit mir. War ich denn blind und toll zugleich?
Er ſtarrte aufs neue duͤſter vor ſich hin. Es iſt
nicht wahr, es iſt wahrhaftig nicht wahr, rief er
dann wohl, aber nach einer Weile fuhr es ſchrei⸗
Ir Theil. 2 |
— 162 —
end aus ſeiner Bruſt: O Jeſus! N „ eum
bean gerade Du? N
i Adjudanten vom Marquis Piron 4
ihn jetzt. Santerre zog in der Stärke. von vier⸗
zigtauſend Mann von Coron nach Verin und
nahm eine Linie von vier Lieues ein. In dieſer
Ausdehnung beſchloß der Marguis das Centrum
mit ſeiner geſammelten Macht anzugreifen, und
forderte die Unterſtützung des Prinzen. Es 0
nicht zu zweifeln, ſetzte der Offieier hinzu, wir }
benutzen fo die Bloͤßen, die uns der Feind unbe⸗
achtet giebt, und felfen wicder ber, was in dieſen
Tagen verloren ging. Machen wir auch Todte
lebendig, fragte der Prinz mit bitterm Lächeln ?.
Der Offieier ſah ihn befremdet an. In Gottes
Namen, fuhr jener fort, koͤnnen Sie einen Schat⸗
ten brauchen, der feinen eigenen Leib ſucht, fo:
hetzen Sie mich nur auf dieſe blaue eee
ne Hunde! 111 3 0
Betaͤubt lag indeß Eliſabeth unter dem Km |
nen Iſabell, der von einer Kugel getroffen aufams
menbrechend auf feine Keuterin m fer. a
— 163 — |
Todt oder nicht! klang es jetzt von bekaun⸗
ter Stimme an der Halberſtarrten Ohr, ich kann
Dich ſo nicht liegen ſehen, armes Kind. Eine
ſtarke Hand faßte fie faſt ſchmerzhaft an den
Schultern, fie fühlte ſich von ſchwerer Laſt befreit,
tief Athem ſchoͤpfend oͤffnete ſie die Augen. Der
Rinderhirt hielt fie, neben ihr knieend, im Arm,
fein guter alter Hund ſchnupperte an ihren Ta:
ſchen. Der erſte Strahl des Bewußtſeins jagte
ihr Todesſchreck durch alle Adern. Du guter
Gott! rief ſie, wo bin ich hingerathen, was iſt
mit mir geſchehen? wo iſt denn der Prinz? Lies
bes Kind, ſagte ihr Retter, das weiß ich ja alles
nicht. Ich bin ſelbſt fo in der Irre herumgelau⸗
fen, und kann nicht ſagen, wie ich hieher kam! |
Man ift bei dem Teufelslaͤrm nirgends feineg Le⸗
bens ſicher, die Angſt jagt einen die Kreutz und
Queer. Den Tod glaubte ich zu haben, als ich
hier bei den Leichen hergerieh. Ich hielt mir die
Augen zu, und wollte gleich wieder umkehren,
aber der Philax da fing ſo wuͤthend an zu bellen,
und zupfte und zerrte Euch an den Beinen, daß
ich um ihn nur wegzutteiben, mir ein Herz faßte
L 2
— 164 —
und naher kam. Doch er ließ nicht ab, ſtierte
mich an, und riß und riß an Euern Kleidern,
f bis ich Euch ins Geſicht ſahe, da fiel mirs ein,
Ihr war't es, die dem Hunde ſtreichelte, und
Brod und Zwieback gabt, als ihn der große vor⸗
nehme Herr, der mit Euch in meiner Hütte war,
ſo unwillig an die Seite ſtieß. Nun lebt Ihr
doch Gottlob! und es iſt nur gut, daß ich nicht
ſogleich davon lief! — Er ſetzte Eliſaberh auf
einen kleinen Raſenhuͤgel, und ſchoͤpfte ihr Waſſer
mit der ho Alen Hand aus einem nahen Flies.
Sie trank, und ſahe betruͤbt um ſich her. So
ganz allein! ſa gte fü ſie. Was fange ich nun an!,
Da trabte es ganz nahe uͤber eine Brücke dicht,
hinter dem Hügel wo fie ſaßen. Die Blauen
ſchrie der Hirt, die Blauen! Gott ehe mir bei!
und ſchnell den Knotenſtock vom Boden raffend,
ohne umzuſehen, ſchrie und ſtuͤrzte er ſuden⸗
warts, einem tiefen Moore zu.
** 2
Der Hund lief und bellte, und kehrte um
zu Elifaberh, als wolle er dieſer jagen: komm,
doch mit! doch als fie immer ſtill auf einem Flecke
— *
— 166 —
fisen blieb, folgte er, Sins er ihr umſehend
endlich ſeinem Herrn.
Sie hatte es wohl vercucht ain und
ihren Verfolgern zu entrinnen. Allein Bein und
Schenkel, auf die des Pferdes Laſt gefallen war,
ſchien gequetscht, und nur mit großer Muͤhe ſchlepp⸗
te fie ſich auf den Sie geſtuͤtzt einige Schritte
vorwaͤrts.
Schon horte fie ganz deutlich Stimmen.
Das Gebell des Hundes zog die Voruͤberreiten⸗
den hieher. Einen Augenblick war ſie verſucht,
Hut und Mantel eines todten Republikaners ans
zulegen, und mehr das Mitleid als die Rache
anſprechend, huͤlflos am Wege ſitzen zu bleiben.
Doch verachtete ſie, ſich hinter ſchmutzigen Schein
zu verkriechen, und eben ſo widerſtand es ihr,
mit dem Tode ſpielend, ſich gleich den andern Leis
N neben dieſen am Boden hinzuſtrecken.
Jetzt bog der Reutertrupp um den Hügel,
und des bleichen zuſammengeſunkenen Knabens
anſt chtig werdend, ſagte der Fuͤhrer deſſelben mit
fähfier feingebildeter Stimme: „Sogar Kinder
treibt die wahnſinnige Gewalt des Vorurtheils
gegen ihre Mütbürger r“ Er näherte feh, Elifan
beth: Laſſen Sie ſich's gefallen liebes Kind, bat
er ſie faſt, mein Gefangener zu ſeyn. Sie und
Alle die ihre Jugend ſo unnatuͤrlich in den Streit
hetzten, moͤgen das Geſchick preiſen, das Sie in
keine rohere Hand warf. Eliſabeth ſahe ſcharf
in das adeliche Geſicht des Redenden, verwandte
Zuͤge blitzten ihr entgegen. Sie richtete ſich in
die Hoͤhe und den Saͤbel in den Boden ſtem⸗
mend, beide Haͤnde daruͤber gefalten, ſahe ſie
umher in den Kreis der Reuter, die fie umſtellten;
Ich kann mich nicht vertheidigen, erwiederte ſie,
Gott will es nicht! Sie mein Herr ſcheinen mir
zu hoch geboren, um es vergeſſen zu koͤnnen, daß
einem franzoͤſiſchen Edelmann der Tod von Sol⸗
datenhand niemals furchtbar war, und gewiß
verleugnen Sie ſich nicht in dem Maaße, um
Sclavenketten, die ihre Milde mir allein zu bier)
ten hat, ſolchem Tode vorzuziehen. Der Offfcier,
ein Mann von weicher, ſtiller/ Mine, reichte ihr
geruͤhrt die Hand. Mein junger Freund, ſagte
er, Ihnen ſoll keine Gewalt geſcheh'n, doch
Weisheit duͤnkt es mir, Sie dem berauſchenden
= 1675
Rebel trüber Eingebungen zu entreißen, deshalb
erſuche ich Sie, mir jetzt zu folgen. Eliſabeth
umklammerte feſt ihr Schwerdt, und flehend zu
den Uebrigen gewandt, rief ſie: den Tod! um
Gotteswillen den Tod! Doch jener winkte, man
hob ſie, trotz ihrer Bitten, ihres Widerſtrebens
auf ein Pferd, und nahm ſie in ande
ſorgſame Hut. 2
So war es denn geſcheh' n! getrennt und
dennoch lebend! dem Feinde uͤbergeben, und nicht
zum Tode, zu langſam peinigender Bekehrungs⸗
qual geführt. Allzuhart ſchien dem ungluͤcklichen
Maͤdchen dieſe Pruͤfung. Die weiche Weiberſeele
ſchmolz davor in Thraͤnen und empfand die
Schmach, ſich von ihrem ernſten Begleiter belä:
chelt zu ſehen. Wie reime ich denn, ſagte dieſer,
fo viel Tapferkeit mit dem allzuzaͤrtlichen Schmerz?
Sprießt Ihre Begeiſterung aus ſo ſumpfigen Quell,
daß ſie dem Mißgeſchick keine feſtere Waffen ent⸗
gegenzuſtellen weiß? Eliſabeths Thraͤnen ſtockten.
Mit feſtem, klarem Blick, ſahe fie zu dem Ofſi⸗
cier auf. Ihre feinen Lippen theilten ſi ſich zum
reden. Sanft und beſonnen ſagte fie: der in die
— 163 —
Tiefen des Herzens dringt, laͤßt ſein Licht auch
durch die Nacht der Thraͤnen leuchten, und win
empfinden und beſitzen ihn mit Zuverſicht. Beſſer
waͤre es, entgegnete jener, ſich ſelbſt zu beſitzen.
Laſſen wir, liebes Kind, fuhr er fort, dies truͤbe
Verlieren in fremder Kraft, wohin das fuͤhrt?
empfinden Sie in zarter Jugend. Was iſt denn,
fragte Eliſabeth mit ſcheuer Bangigkeit, Ihr Ans
ker in der Noth? — Ei nun! erwiederte der
Ofſicier, eben jene Characterkraft, welche ſich der
Nothwendigkeit, als einem ewigen Geſetz freiwils
lig unterwirft. In dieſer Freiheit gedeihet alle
wahre Heldengroͤße, was man ſonſt noch wohl
ſo nennt, das iſt Exſtaſe des Wahnſinns. Herr
der Welt! ſeufzte Eliſabeth, und Dich erkennen
ſie nicht mehr als den Lenker aller Geſetze, und
Deine liebende Barmherzigkeit iſt ihnen kein Hort
und Schild in der Wuͤſte des Lebens! Der Ofſie
tier ſtutzte einen Augenblick vor dem Glanz ihres
gehobenen Auges, doch, ſich halb verlegen, halb
ürgetlich abwendend, ſagte er: bethoͤrtes Kind:
Dich wird Dein en rwe arg be⸗
Wuͤgen ? : r m W nm AMD Ahe
— 169 —
Buͤrger Nocheſoucault, ſagte einer der Reu⸗
ter, dem Offieiere nahend, wir ſind bei dem Dorfe
Coron, willſt Du, daß ich den Gefangenen dort
auf dem Schloß in Verwahrung laſſe, indeß wir
vorruͤckend unfrePofition einnehmen? Eliſabeth,
bleich wie ein Tuch, ſtarrte den Obengenannten
bebend an. Solch ein Name und ein Rebell!
rief ſie, das Geſicht verhuͤllend. Ich wußte es,
aber daß ich aufbehalten war, es mit dieſen Au⸗
gen zu ſehen, das iſt zu viel! ſie wandte ſich ſtreng
und kalt auf die Seite. Mein junges Kind, nahm
der ehemalige Graf das Wort, wer biſt denn Du
daß Dich mein Name ſo bewegt? Entſagen Sie
dem Namen, bat Eliſabeth, er gehoͤrt nicht mehr
zu Ihnen, was machen Sie auch damit? Er erin⸗
nert Sie an laͤngſt Verlornes! Ein Name! lachte
jener, was iſt er denn mehr als ein Schall, ich
bin an dieſen einmal gewoͤhnt, darum behalte
ich ihn. Ihr eigenes Blut, unterbrach ihn Elis
ſabeth ſtraft Sie Luͤgen, denn Sie erroͤthen, da
Sie mir das ſagen. Man hat, erwiederte der
Graf ſich zuſammennehmend, leider nur zu viel
Gewohnheits⸗Schwaͤchen zu beſiegen. Doch jetzt
*
— 170 —
mein ernſtes Kind, wer biſt Du? mir liegt daran
Dich näher kennen zu lernen. Was Hälfe es Ih
nen! erwiederte Eliſabeth, das Echo bleibt auch
nur ein Schall, für den der nichts dabei zu fuͤh⸗
len weiß. Das Echo? rief jener lebhaft, das
Echo? So hießeſt Du wie ich? und — O laſſen
Sie — bat Eliſabeth ſanft, wir ſind ja doch auf
dieſer Welt geſchieden. Nicht ſo ſehr als Du
denkſt, rief der bewegte Graf. Ich gebe Dich ſo
nicht auf, jetzt ruft mich eine andere Pflicht, doch
Du hoͤrſt ſicher noch von mir.
Er befahl hierauf Eliſabeth der Obhut eines
alten Reuters, und band ihm auf die Seele den
zarten Knaben mit ſittiger Ehrfurcht zu begeg⸗
nen, d'rauf ſich noch einmal dem unverhofft ger
fundenen Verwandten naͤhernd, ſagte er: wir
hoͤren darum nicht auf menſchlich zu fuͤhlen, weil
wir uns beſtreben frei in und auſſer uns ſelbſt
zu ſeyn. Gebietet Dir Deine Lehre die zu haſſen,
die nicht Deiner Meinung ſind, fo ſieh' hierin
allein ſchon das Vorrecht gereinigter Vernunft,
daß wir dem Wahne feind, doch den Bethoͤrten
bedauernd lieben. Eliſabeth ſahe unter ſtaͤrkern
— 171 —
Herzſchlaͤgen in das ſanfte blaue Auge des Gra⸗
fen. wie in einen Spiegel, eine liebe getaͤuſchte
Seele leuchtete ihr weich und zaͤrtlich entgegen.
Weinend hob ſie den Blick zum Himmel: Ich
will nicht richten, ſagte ſie, doch zweierlei giebt
es nur, wer nicht mit dem Herrn iſt, iſt wis
der ihn! u |
Sie wandte ihr Pferd, und ritt unter den
heftigſten Stuͤrmen, die noch je ihr Inn' res bez
wegten, in die herbe Gefangenſchaft, waͤhrend
ferner Kanonendonner ihr neue Schlacht, und
vielleicht noch haͤrteres Geſchick verkuͤndeten.
Von Beſchaͤmung und Rache getrieben,
wuchs das Heer der Vendseer von Minute zu
Minute. Alles draͤngte ſich jetzt den Verheißun⸗
gen des tapfern Piron zu folgen. Unwillig ſahe
der Prinz umher. Das Gluͤck, ſagte er, findet
ſtets den rechten Augenblick. Einige Stunden
ſpaͤter und einem Andern gelingt, was meinem
gluͤhenden Eifer miß lang! a 5
Indeß ſtürmten die Truppen Wüchenden }
gleich vorwaͤrts. Keinen Widerſtand achtend
griffen fie die Linie des Feindes in ihrem Mittel?
*
—
— in —
punete an, dur chbrachen und ſprengten de
hen, betaͤubten da wo fie nicht unmittelbar rar
fen, verwirrten jede entgegenwirkende Maaßre⸗
gel, und durchſchnitten nach anderthalbſtuͤndigem
Gefecht, jene furchtbare Linie, welche ſo weit in
das Innere der Provinz hinaus griff. Jetzt def
lirte die feindliche Artillerie durch die enge Straße
don Coron. Mit Blitzesſchnelle warf Piron feine
Hauptſtätke nach dem Dorfe zu. Es ward von
zwei Sciten angegriffen. Krachend ſchmetterte
den Unerſchrockenen eine Kugelſaat entgegen. Sie
ſtutzten, doch wankte keiner. Nichts hoffend,
nichts wollend, in eig' ner ſinſterer Seele verfuns
ken, warf ſich der Prinz unbeachtet in die dich⸗
teſten Wirbel, als es jetzt, wie von weccher
Kinderſtimme rufend: Prinz Talmont! wo iſt
der Prinz? deutlich durch das wilde Geheul Hin
durch klang. Ein engelſchoͤner Knabe von kaum
gehn Jahren, flog athemlos durch die Reihen,
Rette! rette! rtef das Kind da drinne brennt es,
alles iſt geftͤchtet, das Kettchen ſoll mehr ſagen.
Dem Peinzen blinkte am goldenen Faden die
Hälfte ſeines Ringes entgegen. Heſtig riß er den
— 173 —
Knaben zu ſich auf das Pferd. Engel leiten
mich! rief er, und das Kind umſchlingend, die
blinkende Klinge vorgehalten, ſprengte er auf
dem ſchwarzen Normannen mit wild fliegendem
Mantel, durch Dampf und Pulverwolken über
Steg und Hecken hinein in das brennende Dorf,
Alles ihm nach, wie von unſichtbarer Macht get
trieben, kein Widerſtand laͤnger; Coron war in
ihren Haͤnden, Geis und Wees
und Waffen, alles erobert! U Mee
usd ſchmetternd brachen die There des Schloß
ſes zuſammen, der Prinz flog die Stiegen hin⸗
auf, das Kind wie ein Himmels bote immer vor⸗
aus, Riegel und Thuͤren, ſprangen auf, aus eis
nem Thurmeszimmer ſtuͤrzte Eliſabeth ohnmaͤch⸗
tig vor Angſt und Freude in die Arme des Prin;
zen. Er preßte ſie heftig an die Bruſt, zitternd
hielt er ſie ſo, faſt ungewiß, ob es denn auch
wahr, ob ſie es wirklich ſey. Als ſie nun aber
die Himmelsaugen aufhob, und mit einem, Ach!
| d'rinn eine Welt voll Seligkeit lag, beide Arme
um ſeinen Nacken ſchlang, und wie gebrochen
und vernichtet vom ungehofften ungetraumten
— m —
Gluck aufs neue ſprachlos an ihn hinſank, da f
er vor ihr nieder, und druͤckte die heiß weinen
den Augen beſchaͤmt in beide aufgehobene Hände,
Um Gotteswillen! weine, o! weine nicht, ſtam⸗
melte ſie, ihm Stirn und Augen küſſend. Mein
Freund, mein einziger Freund, alles kann ich ers
tragen, doch das ſpaltet mir das Herz. eln
Er raffte ſich auf, und umherſchauend ſagte
er, hieher jagte Dich alſo mein toller Borwit.
Eliſabeth, der Himmel hat eine ernſte Warnung
an mich er geh'n laſſen, die Stunden, die ich heut
verlebte, ſind wohl mit Recht Hollengualen z
nennen. Sie hielt ſeine Hand, und drückte fie
ſchmeichelnd zwiſchen der ihrigen. Wie kamſt
Du denn hierher? fragte er kaſt zoͤgernd, die
Leiden der geliebten Freundin ſchmerzlich voraus
ahndend, und wie erſchtien Dir noch zuletzt das
Engelskind? Eliſabeth zog ihn fanft zu ſich auf
eine kleine Bank, und erzählte fo ſchonend wie
fie konnte, von allem was ſie betroffen Hatte, und
wie ſie denn in das Schloß gebracht ward, und
man erſt gütig mit ihr redete, drauf aber beim
Herannahen des Gefechtes Thuͤren und Thore
‚Inu
— 1 —
verſchloß, und verrammte und alles den Hof Sin
unter ſtürzte, und ſie in der entſetzlichſten Todes⸗
angſt, aus der Thurmesluke uͤber den Wald hin⸗
aus die Ihrigen herannahen und des Prinzen
Federbuſch in dem Gewuͤhle wogen ſah. Unten
im Dorfe, fuhr fie fort, praſſelten Flammenwirbel
auf, und ich mußte jeden Augenblick fuͤrchten,
ſie werden das Schloß erreichen. Da wurde ich
den Knaben gewahr, der wie eine Gemſe in den
ſchwankenden Zweigen der Birken hier am Wall⸗
rande hin und her kletterte, und ſich d'rinn wiegend
nach den bunten Reutern ſahe. Der trauet ſich auch
wohl die ſteile Grabenwand hinunter, dachte ich,
und unbeachtet ſchluͤpft er jenſeit hinuͤber. Ich
rief, er horchte auf, wie ein weißes Täubchen
lehnte er den Kopf an die Fenſterſtaͤbe. Ich ſchaͤrf⸗
te ihm alles ein, druͤckte ihm das Kettchen in
die Hand, er ſtutzte, fuͤrchtete ſich, ich fagte, wir
müffen hier alle verbrennen, wenn Du nicht
Huͤlfe ſchafſt, da ſchwang er ſich von Zweig zu
Zweig, und ſprang und rannte und ließ ſich jen⸗
ſeit von Strauch und rankendem Gewaͤchs gehal⸗
ten langſam nieder, bald war er mir aus dem
3 ‚ — 176 —
Geſicht. Da flehete ich heiß zu Gott, er möge
ihn ſchuͤtzen und Dich hierher fuͤhren. Sieh'ſt
|
N
Du, Lieber, ſchloß ſie und nun iſt en m.
und alles it wieder gut. 1e 5; >
Das iſt's, Eliſabeth! rief er mit gtißendem
Flammenblick, und Du biſt wieder mein! Er
nahm fie in ſeine Arme und trug fie, weil
ſchmerzende Fuß ſie am Gehen hinderte, *
Schutt und Dampf das Dorf entlaͤngs zu den
ſiegenden Soldaten, die dem jungen Ritter Georg
mit ſchwenkenden Muͤtzen und enn en
entgegen jubelten. 14 W
Sie ſahen ſich hier nach dem abe dale
ſie ſeither verlaſſen hatte, doch er war nirgend zu
finden, und in dem Taumel und Waffengewühl
wußte ſich niemand im Herre recht deutlich ſeiner
zu beſinnen. Alle meinten ihn geſehen zu haben,
doch wußte man nicht wann ? und wo? zuletzt.
Erſt als der Prinz und Eliſabeth auf dem Wege
nach Mortagne dem Schloſſe vorüͤberritten, nickte |
ihnen des Kindes blondes Köpfchen. zwichen (hai
kelnden Birkenzweigen, 8 hen
Re
3 n N
i Neuntes Kapitel. a
An langer Tafel im Rathhauſe zu Chollet ſaßen
die unbezwungenen Vendoefuͤhrer am Vorabende
der Schlacht von Torfou beiſammen. Wie der
Phoͤnir ſeine junge Schwingen neugeboren aus
Todesgluthen hebt, flammte unſterblicher Muth
auch hier erfriſcht und verjuͤngt auf jeder Stirn.
Hell ſprudelte der vaterlaͤndiſche Wein in ihren
Glaͤſern. Sie ſchuͤttelten einander die Hände,
und das gleiche Band der Gemeinſchaft, alte
Treue, und feſter Glaube riſſen jedem den hei
ligen Schwur von den ppc Siegen oder
ſterben! —
Bank. laͤchelnd, bie eufeligen Blick ee
ſendend ſagte der gefuͤhlvolle Lescure: wer empfin⸗
det nicht, daß dieſem Bunde eine theure Hand
fehlt! Mein tapfrer Heinrich wird leider zu Dür⸗
Ir Tyeu —
— 178 — 5
belfiere von feinen Winden zurück gehalten. Herr
von Charette ſahe etwas finſter drein. Sein fol:
zer Blick lag hinter duͤſtern Wolken. Ihn hatte
General Kleber mit den Mainzer Horden, und
Beyſſer mit der Beſatzung von Nantes, überall
ſengend und verheerend, nicht Greiſe und Kinder
ſchonend über Légé nich Montaigu und Cliſſon
nach Tuſſonge gedraͤngt. Feuerſtroͤme bedeckten
den Boden, den er ſo lange fechtend vertheidig⸗
te, und unaufhaltſam jagten ihm die Flammen⸗
wirbel ein vertriebenes Volk mit Weib und Kind
und aller beweglichen Habe von einem Bezirk
zum andern nach. Das ganze niedere Poitou,
unter den Mordfackeln erlegen, ſchrie zu dem
Herzen ſeiner Vertheidiger. Es koſtete Herrn
von Charette keine Mühe dieſe für ſich zu gewin⸗
nen, doch duͤnkte ihm ſein Loos allzuherbe. Er
PPP ²˙ . ˙¹-ůũ̃ mduö . W
|
konnte ſich nicht zu der ruhigen Heiterkeit ehe”
ben, welche bewährte Pflicht und Ehre über. das
Leben hinaus begleitet. Lesecur's ſtilles Auge ſahe
die Palme der Vergeltung in ewigen Hoͤhen ſpr ie⸗
zen, das ſeine foderte ſtreng ſchon hier auf Erden
den Lohn ſchwerer Arbeit. 1
*.
— 179 —
Es ward viel und lebhaft über das morgen—
de Unternehmen auf Torfou geredet. Alle Corps
waren zuſammengezogen. Ein Heer von vier—
zigtauſend Mann geſammelt und Rache duͤrſtend
drängte ſich Alt und Jung her zu, die Wölfe aus
den harmloſen Fluren zu treiben. Lescure und
Charette ſaßen beieinander, ſie ſprachen mehr—
mals leiſe. Es ſchien, als gehe ein Strahl from⸗
mer Zuverſicht von jenes Lippen in Charrettes
Seele über. Herr von Bonchamp, den einen
Arm noch im Bande, wußte in raſchen und kuͤh—⸗
nen Bewegungen mit dem andern ſeine lebendi—
gen Worte zu begleiten, und den Blicken der
Anweſenden bei moͤglichem Mißlingen eine Frei—
ſtatt über die Loire zu eröffnen. Mehr hinge
worfen als ausgeſprochen ließ er tiefbegruͤndete
Verbindungen in der Bretagne ahnden, und wie,
wie mit blitzenden Fingerſpitzen, auf die eicht⸗
ſtellen einer ſo weit ausgreifenden Verbindung.
Den Meiſten blieb dieſe Ausſicht gleichwohl
undeutlich und fern, ſie mochten auch nur ungern
das Auge dahin richten; Muth und Glaube zo—
gen einen leuchtenden Vorhang daruͤber. Der
M 2 f
— 8 —
Prinz indeß nahm die fluͤchtigen Aeußerungen
ſehr ernſt. Der ſtolze Aufſchwung ſeiner Gedan⸗
ken hatte ſich nur widerwillig der Nothwendig⸗
keit fuͤgend, an den kleinen Erdfleck gefeſſelt ge⸗
ſehen. Er dachte vom Anfang weiter, und oft
ſchon hatte der Herzog in fruͤhern Tagen die
dreiſten Wuͤnſche bekaͤmpft, und vergebens auf
natuͤrlich Beſtehendes zu lenken geſucht. Jetzt
reitzten die Widerſpruͤche des Geſchickes den Prin⸗
zen noch heftiger. Eliſabeth ſahe in feinen Mi⸗
nen, wie ſchnell die Funken gefaßt, und ihn durch
und durch entzuͤndet hatten. Bald genug ließ er
auch ſeine Geſinnung laut werden. Er redete
mit Wärme über den Character der Bretagner.
Er glaubte ihn ganz zu kennen, er war in der
Provinz anſaͤſſig, fein Schloß zu Laval bot ſelbſt
einen feſten Punct dar. Die Heftigkeit feiner
Worte, veranlaßte Herrn von Lescure ihm mit
ernſter Freundlichkeit zu erwiedern, daß Er und
Alle hoffen wollten, es komme nicht zu dieſem
Aeußerſten, welches ploͤtzlich die einfache Natur des
Krieges verändern und fie auf ungekannte Bah⸗
nen ſtoßen werde. Vergeſſen wir nicht, ſetzte er
N
— 181 —
hinzu, alles was wir bisher unternahmen, es
waren Maaßregeln der Nothwehr. In der Noth⸗
wendigkeit liegt unſere Kraft. Verletzen wir die
ſchlichte Ordnung der Dinge nicht. Wir nennen
uns Pfeiler des koͤniglichen Thrones.
Graben wir dieſe nicht aus ihrem heimathlichen
Boden. Ihre Baſis beruhet auf der Unzer
ee des eigenen Intereſſe
von dem jener ſtreitbaren Arme, deren
natuͤrliche Führer wir find. Mißbrauchen wir
das eingeborne, innig verwachſene Ver⸗
trauen, zerren wir deſſen Bande uͤber ihre na—
tuͤrliche Haltbarkeit hinaus, fo zerreißen wir fie
und uns. Der Prinz wollte etwas erwiedern,
als ein Mann in Bauerntracht ihm nahete, einen
Brief von wohlbekannter Hand uͤberbringend.
Ungewiß, den eigenen Augen nicht trauend, be-
trachtete der Prinz die Aufſchrift, dann die Sphinx
auf dem Siegel. Ungeduldig riß er jetzt das Cou⸗
vert von einander. Ha! rief er bei den erſten
Zeilen, was giebt es hier! Er ſprang auf, und
Eliſabeth winkend, traten Beide feitwärts zu ei—
nem Lichte. Dies Schreiben, fluͤſterte er, iſt von
— 182 —
der Marquiſe, und wirſt Du es glauben aus dem
feindlichen Hauptquartier. Dieſes ihre Worte.
Eliſabeth las, an ihn gelehnt, die bezeichnenden
Richtungen ſeines Fingers begleitend, folgendes:
„Richten Sie nicht! Sehen Sie vorwaͤrts.
Was hinter Ihnen iſt, liegt in Trümmern, Den⸗
ken wir alle nur an Rettung. Anders iſt eine
offene, anders eine geheime F Die Blitze
Ihrer Waffen müſſen die Minen anzünden, die
wir im Verborgenen graben. Geben Sie jetzt
den Ausſchlag. Vierzehntauſend Franzoſen wols
len ſich mit den Vendétern verbinden, ihr Vater
land zu retten. Es ſind die kuͤhnen Mainzer, die
Ihnen gegenuͤber ſteh'n. Schwer wiegen fie in
der Wagſchaale, welche die Kräfte gegeneinander
mißt. Erwaͤgen Sie nicht allzulange. Das Le—
ben der Königin ſteht auf dem Spiel. Wohlant
Ihr franzoͤſiſchen Ritter, jetzt gilt es wahr zu
machen, was Ihr verhießt! Unterhandeln Sie
mit dem Ueberbringer dieſes Schreibens. For⸗
ſchen Sie mir nicht nach, Sie hoͤren nur dann
von mir, wenn wir uns am gleichen Ziele be⸗
gegnen.“ K
Suſanna Robillard.
rn Me
Meine arme Tante, ſeufzte Eliſabeth, nun
iſt fie ganz verloren! Ich ahnde wohl, was fie
ſo ſehr verblendet! Der Prinz wandte ſich raſch
zu dem Abgeſandten, der ſeitwaͤrts ſtehend ſeine
Luchsaugen ſpuͤrend in der Verſammlung umher;
ſchickte. Sind Sie Officier 2 fragte der Prinz.
Ja und nein lachte jener, unangenehm zweidenz
tig, je nachdem Ihre Entſcheidung fällt. So
lange das aus geworfene Senkblei keinen Grund
ſindet, ſteuert der Verſtand nach anderer Rich,
tung. Zweckloſen Unternehmungen opfere i ö
nicht Zeit und Kraͤfte. Geh'n dieſe Herrn ver⸗
eint mit den Mainzer Truppen nach Paris, ſo
werde ich meinen Platz finden. Fuͤr jetzt bin ich
nur Agent der Girondiſten, mein Name iſt Cor:
nelius. Der Prinz faßte ihn mit ſcharfem nad):
denklichen Blick. Er ſchwieg einige Secunden,
drauf zu den Uebrigen gekehrt, ſagte er: hier
werden uns Antraͤge ſeltſamer Art gemacht. Alle
horchten neugierig auf. Reden Sie, fuhr er zu
Cornelius gewendet fort, Ihre Gegenwart übers
hebt mich jeder laͤſtigen Vermittelung. Der
ſchlaue Republikaner ſtutzte, er hatte ſich in dem
— 184 —
Prinzen verrechnet und von Hauſe aus einen
Stuͤtpunkt eingebuͤßt. Mit beweglicher Schlan⸗
genzunge entwickelte er gleichwohl Bedingungen
und Motive ſo nothwendig auseinander, ſteigerte
die Erſten als unerlaßliche Baſis des ganzen Un⸗
ternehmens ſo unvermerkt, und hatte durch Folge
und Zusammenhang gebunden, die impertinenteſte
Unverſchaͤmtheit ſo ſehr zu einem blendend ge⸗
ſcheueten Ganzen vor den zu aufgebau't,
daß dieſe des ſicherſten Erfolges gewiß, nichts als
u. vermißten, jene. ungeheuren Dedinguns
gen zu erfüllen, welche unmittelbar auf die Zah⸗
lung unerſchwinglicher Summen beruhte. fi
Ernſtlich uͤberlegend ließ man Cornelius abs -
treten, und berathſchlagte einen Augenblick, ob
nicht Aufſchub zu gewinnen und die Verpfaͤndung
Ihrer ſaͤmmilichen Habe genuͤgend ſey? Alles, ſagte
Charette, müſſen wir verſuchen, um dieſe Ver⸗
bindung möglich zu machen, die uns von der ges:
draͤngteſten Seite Luft ſchafft, und die Freiheit der
Meereskuͤſte ſichernd, eine Gemeinſchaft mit dem
Auslande offen erhaͤlt. Nichts, im Gegentheil, rief
der Prinz heftig dazwiſchen, duͤrfen wir opfern
8 —
wollen, um niedertrachtige Söldner zu gewinnen,
denen Freiheit und Ehre kaͤuflich duͤnkt. und
was, ſetzte Lescure aufſtehend und feine ſanfte
Stimme hebend hinzu, was haben wir von ſol⸗
chen zu erwarten, die einmal ihre Kapitulation
brachen, welche ihnen verbietet, gegen Allütrte zu
fechten, oder die uns für Rebellen, abgeriſſen von 5
der geheiligten Alliance, erklaͤren! Im blutigen
Taumel ſchwanken ſie hier oder dorthin, und ſind
Morgen unſere Feinde, wenn ſie Heute noch r ig
uns in denfelben Reihen fochten. Jede Annaͤhe⸗
rung dieſer Ehrloſen, fiel der Prinz ein, it eine
Befleckung, und ich halte dafuͤr, ſtatt ihre vers
peſtende Gemeinſchaft zu ſuchen, erklaͤren wir ſie
in die Klaſſe wortbruͤchiger Ueberlaͤufer, welche
der menſchlich ehrenden Schonung des Kriegers
unwuͤrdig ohne Gnade dem Tode verfallen ſind.
Ich wenigſtens, fuhr er fort, ſchwoͤre, daß ich je— 8
nes, den Lippen unwillkuͤhrlich entſtroͤmenden:
Ergebt Euch! keinem Mainzer zurufe, und Auge
und Herz zuruͤckdruͤckend jedem, der mir nahet, !
das Schwerdt in die Bruſt ſtoße. Alle ſtimmten
hier dem Prinzen bei, auch Charette lenkte ſich
7
— 186 —
beſinnend ein. Ein heiliges Wort verband ſie
von da den angeknuͤpften Unterhandlungen keine
Folge zu goͤnnen. Cornelius ward mit ſchlichtem
Beſcheid, ohne Wortverbraͤmung, ganz kalt, und
von des Prinzen Seite faſt ſtolz verachtend abge—
wieſen, ob er dieſen gleich den Marſchallſtab und
etwas einer Krone ziemlich Aehnliches aus der
Ferne ſehen ließ. * |
Spione der Hölle! rief der Prinz, als jener
inaus war. Es iſt, als ſpraͤngen ſie aus dem
chloſſenen Kaͤfig der Gedanken herauf! ſie
ruͤtteln und ſchuͤtteln an allen Riegeln, und mas
chen die Teufel in uns unruhig. Zum Gluͤck iſt
ihnen das Element adlicher Ehre fremd, *
reichen ſie nicht. 5
Es wird Zeit, ſagte ein alter Geiſlicher des
Orts, welcher anweſend war, Mitter nacht it vor
über, die Meſſe wird eingelaͤutet. Eliſabeth griff
nach einer Fackel, alle Uebrige erhoben ſich von
ihren Sitzen. Ernſt und geſammelt ging der
Zug, zu zwei und zwei, die Stiegen des Rath⸗
hauſes hinunter nach dem Dom. Eliſabeth vors
ausleuchtend, der Geiſtliche Gebetbuch und Ro⸗
— 187 —
ſenkranz in den gefaltenen Haͤnden, an der Spitze
der jungen Helden, welche noch einmal auf den
Stufen des Altars in heiliger Gluth wiederhols
ten: Siegen oder ſterben! — '
Die Meſſe war gelefen. Alle Officiere lagen
betend auf den Knieen. Eliſabeth, die Haͤnde um
die leuchtende Fackel gehalten, kniete in der Mitte,
ihr gehobenes Auge rief den Gott der Gnade auf
ſie Alle herab. Der fromme Alte legte ſeine Hand
auf ihre Stirn: Ich ſegne Dich, Du tapfere 5
Kind, ſprach er, denn ich ſage Dir, Du biſt vor
uns Allen auserſehen, am haͤrteſten zu kaͤmpfen.
Sie kuͤßte weinend ſeine Hand. Ihr erſter Blick
ſuchte den Prinzen. Ein Wandpfeiler verdeckte
ihn ihr. Waͤre es das! ſeufzte ſie, ſoll ich Dich
verlieren? — Unbeachtet öffnete fie die zuſam⸗
mengefalteten Hände, die Fackel fiel auf den Bo—
den und erloſch. Jeſus! ſchrie ſie aufſpringend.
Der wunderliche Zufall hatte ſie ungewoͤhnlich
erſchreckt. Sie ſtand ganz betaͤubt auf der aus⸗
gegangenen Fackel geſtuͤtzt. Indeß waren die
Thuͤren geoͤffnet, alles ſtroͤmte dem Portale zu.
Biſt Du der Schlaf? oder der Tod? ſagte der
— 188 —
Prinz an ihr vorbeigehend. Sie ſahe ihm ſtarr
nach. Der Sacriſtan trat mit einer Leuchte zu
ihr heran. Wir brauchen wohl kein Licht mehr,
ſagte er, denn da draußen daͤmmert ſchon der
neue Tag. Kommen Sie, mein junger Herr,
ſetzte er hinzu, ich ſchließe nun die Pforten.
In den Straßen ſchmetterten Trompeten /
wieherten Pferde, eine muntere zuverſichtliche
Jugendeſpreagte luſtig vorüber. Forſche nicht!
rief eine Eumme in Eliſabeth, handle! Sie
war alſobald zu Pferde, neben dem Prinzen,
hinein in das lebendigſte Leben.
Und geſchlagen war General Kleber, Beyſ—
ſer bei Montaigu überfallen, feine Armee zer
ſtreut, bis Nantes ruhelos gejagt. Drauf die
Kraͤfte theilend, ſchlugen Charette und Lescure
die Kuͤſten Armee bei St. Fulgent, waͤhrend
Bonchamp, Elbée und der Prinz den feindlichen N
Convol bei Cliſſon angriffen und zumeiſt in ihre
Hände bekamen. | ae n e
Einen Augenblick durften die unbeſiegten
Waffen ruhen. Mit immer neu belebter Kraft
hatten die Heldenſchaaren ſechs furchtbare Ars
3
— 189 —
meckorvs zurüͤckgeſchlagen. Siegesfroh eilten fie
zu ihrem Heerde zuruͤck, dort den treuen Gott
ſuchend und preiſend, der fie nicht verlaſſen
hatte. N 3 Wed j m
Der Herbſt war ſchon weit vorgeruͤckt. Nur
einzelne ſchoͤne Tage täuſchten noch über das
ſcheidende Leben. Die Sonne warf zuweilen jpie
lende Lichter auf die Erde, und zerriß die Nebel,
die wallend uber goldgelbe Kaſtanien wal d die
Purpurblätter der rothen Eiche hinzogen. Dies
Laͤcheln der Jahr'szeit unter Abſchiedsthranen
ruͤhrt wehmüthig an das Menſchenherz. Still
umfaßt es die letzten lieben Stunden, die gleich
dem roͤthlichen Abendſtrahl die heißen unerfuͤll⸗
ten Wuͤnſche ſehnſuͤchtig in die Nacht der Träume
biaaberziehn. |
| Der Prinz, durch Unpsitichteit in PR
| gehalten, gab ſich in der weichen Krankheitsſtim⸗
mung gern dem linden Herbſtwehen hin. Einst
aß er mit Eliſabeth vor der Stadt auf einem
kleinen Tannenhuͤgel, vor ſich einen See, deſſen
f lenſeitige waldumkraͤnzte Ufer in wunderbarer
Barbenprache glüheten. Er lehnte den Kopf an
— 190 —
den ſchlanken Stamm der Tannen, und ſchien
auf ihr flüfterndes Rauſchen zu horchen. Eliſa⸗
beth hielt ſeine Hand in der ihrigen, ſie druͤckte
leiſe die laͤnglich ſchoͤn geformten Finger, beider
Auge lag ſchweigend auf der halberſtorbenen Na—
tur. Eliſabeth, ſagte der Prinz mit jenemtiefen
Ton der Stimme, der, wenn er leiſe ſprach, et—
was wunderbar feierliches hatte, ſiehſt Du, wie
alles vergeht? fie ſchauerte zuſammen. Ich wurde
ſagen, fuhr er fort, es ſey viel Taͤuſchung im Le
ben, offenbarte uns die Natur nicht ſelbſt einen
tiefſinnigen Zuſammenhang in den Erſcheinungen.
Deshalb haben wir auch nicht umſonſt gefochten,
wenn gleich hier alles mißlingt. Gewiß, erwie⸗
derte Eliſabeth in frommer Begeiſterung, die hier
fen, werden dort aͤrndten. Auch hier, Liebe,
unterbrach er ſie lebhaft, geht kein ausgeſtreutes
Saamenkorn verloren, ein jedes traͤgt feine eigene
Frucht, das troͤſte uns, wenn in kurzem kalte
Nacht unſer reiches Leben verdeckt, und nichts
davon bleibt, als die Erinnerung. Wie kommen
Dir, fragte Eliſabeth, ſanft zu ihm hingebeugt,
ſo dunkle Vorſtellungen in einem Augenblick, wo
4
— 191 —
der ſchoͤnſte Erfolg unſer Unternehmen kroͤnte?
Kind, entgegnete er ernſt, jede That hat ihren
Engel und ihren Teufel hier auf Erden, und laͤge
der letztere auch mit zehntauſend Stricken gebun⸗
den, er ſieht ſich ein unbewachtes Fleckchen aus,
und blaͤſt ſein Gift hinein. Unſer Bund iſt nicht
der alte. Schon giebt es Abtruͤnnige! Laß mich's
nicht weiter beruͤhren. Doch, wenn die Fuͤhrer
ſich um Beute entzweien, wenn Charette, miß:
trauiſch und finſter, den reinen gescure @ Stich
ö laſſen, und das Ganze unberuͤckſichtigend, einer
Laune folgen darf, ſo frage ich, ob wir noch die
alte Zuverſicht Einer auf den Andern hegen duͤr—
fen? Charette hat ſich in ſeine alten Cantonne⸗
ments zuruͤckgezogen, und operirt dort fuͤr ſich,
während ihn Lescure vergebens bei Chataigneroi
erwartete. Und alles das um einige Pantalons
und Weſten weniger, die ſeinen Truppen zufielen.
Ueberall, wir koͤnnen es uns nicht verbergen, fuhr
er nachſinnend fort, der Raum, auf dem wir eins
ander blutig hin und herjagen, iſt allzueng, die
Mittel erſchoͤpfen ſich, keine Kraft reicht am Ende
aus, ſchon wurde eine jede unnatuͤrlich ange⸗
ſpannt, diednachwendinten eo drängt uns über
die Loire hinuͤber. Das ſcheuen die meiſten, doch
ich geſtehe, mich reißt es unwiderſtehlich in die
Ferne. Das Herz wird, mir bei dem Gedanken
großer, mich duͤnkt, die Schwingen des Muthes
muͤßten im Weiter fliegen wachſen! Und wie ihn
hier Eliſabeth in die blitzenden Augen ſahe, und
die dunkeln Tannen über ihm ſo ernſt erhaben
kam es ihr vor, als werde er ſich nun
gleich in die Lͤfte heben, und wie ein Adler mit
gewaltigem Fluͤgelſchlag dorthin uͤber den See
in die goldnen Wipfel der VBaͤume fliegen. Sie
umſchlang ihn mit beiden Armen, und weinte,
ſich eee
1814 19
Ei ‚fig ihr die „Weichen &cteen don e *.
Sia, und die Threnen v 0 den Ant gen 5 5
17 1 u 1
pern, eitend, fagte er, mit e chige A |
9
Du liebes Herz, mas. ängflet Dich denn
8207
wallg, ung trennt ja doch ni nichts 10% b m
In dieſem Augenblick ward die Sturmglocke
in Chollet geldutet, der Generalmarſch wirbelte
dazwischen. Zu den Waffen 1 zu den Waffen!
*
2213 4
1 *
— 193 —
ſchallte es durch die Straßen. Die Diviſton
Bonchamp zog in Eilmaͤrſchen hindurch. Der
Prinz ſprang beim erſten Allarmſchlag vom Bo—
den, ſchuͤttelte raſch die Krankheit von den jus
gendlichen Gliedern, und flog dem naͤchſten vor⸗
uͤberſprengenden Reuter entgegen. Es war Herr
von Bonchamp ſelbſt, auf getiegertem Schimmel
im grün und gold'nen Collet, einen weißen Feder—
buſch auf dem Hut. Er trug noch immer den
einen Arm im Bande, mit dem andern ſenkte er die
gezogene Klinge gruͤſſend gegen den Prinzen. Der
Feind nahet, rief er ſchon von weitem, bei Trem⸗
blai ſtießen die Unſern auf ihn, fie find aneinan;
der, ſagt mir eben ein Verſprengter, ich eile, Les⸗
euren zu unterſtuͤtzen. Er jagte, noch einmal gruͤ—
ßend, vorwaͤrts. Des Prinzen Leute kamen hier
eben mit ſeinem Pferde. Er ſchwang ſich raſch
hinauf, vorüber an See und Tannenhägel Schloß
Tremblai zueilend. Zuruck! Zurück! rief jetzt
ein Schwarm Fluͤchtender, wir ſind geſchlagen,
Lescure iſt todt, hinein nach Chollet, ehe der Feind
auch das einnimmt. Des Prinzen Zorn flammte
heftig auf; Memmen, ſchrie er, die Fliehenden
Ir Theil. N
mit der gezuͤckten Klinge drohend. Zurück Ahr,
und ſteht und rettet Euren Chef. Doch niemand
hoͤrte ihn, unaufhaltſam draͤngte Alles nach der
Stadt. Auch Herr von Bonchamp kehrte wieder.
Es iſt dort nichts zu machen, ſagte er, alles iſt
verloren, Lescure's Fall macht dieſen Tag zu dem
ungluͤcklichſten, die wir erlebt haben. Er iſt? —
fragte der Prinz, — todt! ſchallte es dumpf zu
ruck. Todt! wiederholte der Prinz, und ritt bes |
taͤubt und verſtoͤrt neben Eliſabeth durch daſſelbe
Thor, das ſie vor wenig Stunden ſo heiter den
ſchuͤnen Fluren zuwandern ſahe.
rn
Zehntes Kapitel.“
Getaͤuſcht von allem, was ſie ſahe, balubt, ſaß {
indeß die ungluͤckliche Frau von Robillard im fuͤnf⸗
ten Stock eines Hintergebaͤudes zu Paris, ver⸗
wuͤnſchte ſich und das Geſchick und die Welt, vers
zweifelte an Allem, und hoffte dennoch Alles. .
Jedes Gertuſch, jede Bewegung in den Gaſſen.
— 195 —
jedes fremde Geſicht, das ohngefaͤhr aufblickend
vorüberging, ſollte etwas Neues, etwas Uner⸗
wartetes bringen. Und nichts von dem, was ſie
gedacht, geglaubt, was ſie ſo gewiß ſchon vor ſich
ſahe, ſollte geſcheh'n. Wie Himmelweit war dies
Paris, die Menſchen hier, ihre Beziehungen und
Verhaͤltniſſe von dem verſchieden, was ſie fruͤher
traͤumte. Mit dem mißglückten Plan auf die
Vendée ⸗ Generale war zugleich alle Gemeinſchaft
mit Bekannten und Verwandten abgebrochen.
Einſam, auf offener See, ſchwankte nun der dürfs
tige Lebensnachen richtungslos hin und her, und
naͤher, immer drohender, trieben die fuͤrchterli⸗
chen Stürme der Zeit Welle an Welle thürmend _
heran. Sie ſchauderte oft zitternd zuruͤck, doch
immer blies der ruheloſe Cornelius die Hoffnungs⸗
flamme wieder in ihr auf. Die ſcharfen, kennt⸗
lichen Zuͤge durch Tracht, Gebehrden und Minen
verftelend, war es dieſem gelungen, als Hand⸗
langer in einem aͤrmlichen Gewüͤr zkeller unterzu⸗
kommen, und ganz unbeachtet, der großen Poͤbel⸗ A
maſſe beigeſellt, Stimmung, Wille und Erwar⸗
tung des Volks auszuforſchen. Unermuͤdlich uͤber⸗
N 2
— 196 —
redend hatte er die Marquiſe vermocht, ihr
Talent, Köpfe und Geſtalten aus freier Hand
mit der Scheere treffend auszuſchneiden, auf
Plaͤtzen, in öffentlichen Verſammlungen, in Richt⸗ /
fälen und fo weiter geltend zu machen, und ſo uͤber⸗
all Eingang zu ſuchen und zu finden. Mit einem
großen engliſchen Stroh-Hut und langen ſchwarzen
Taffentmantel ſahe man fie, das allzuleicht anges
ſprochene und zu dreiſt ſprechende Auge geſenkt,
durch die Straſſen gehn, dann wieder Stunden:
lang auf den Gallerieen oder den Gefaͤngniſſen
gegenüber ſitzen, und aus ihren geübten Fingern
unter den begleitenden Blicken muͤßiger Zuſchau⸗
er, beruͤhnite oder beruͤchtigte Phiſionomieen her⸗
vorgehen. Einſt hatte fie ſchon lange unthaͤtig
gefeiert, die Neugierigen waren ungeduldig an
ihr voruͤbergegangen, ſie war allein, vor ihr die
dunkeln Eiſengitter der Conciergerie. Aengſtlich
wehete die Luft dort herüber. Ungluͤckſelige Opfer,
fenfzte die Marquiſe! Da wankte eine zarte Gt
ſtalt hinter den Staͤben eines niedern Fenſters
wie ein Schatten hin und wieder. Die ſchnee⸗
weißen Haͤnde ringend hob ſie dieſe mehrmals
— 197 —
zum Himmels, ein langer ſchwarzer Schleier
huͤllte ſie ganz ein. Jetzt ſchlug ſie dieſen zuruͤck,
wie bleiches Mondenlicht daͤmmerte ein Schmers
zensläheln unter dem wallenden Flor hindurch.
Frau von Robillard hatte ſich ihrer ſelber nicht
bewußt, die kleine rothe Briefiaſche geöffnet,
Scheere und Papiertaͤfelchen herausgenommen,
und ſich an der weichen Leidensmine verſucht.
Aber aͤngſtlich zitterten die Finger, das Herz klopf⸗
te ihr in banger Scheu, ihr Auge lag unver⸗
wandt, auf jenes zaub'riſch gebietende Geſicht.
Ach! ſieh da! die Capet! ſeht! ſie ſchneidet das
Geſicht der Capet aus! klang es um ſie, und
augenblicks drängte ſich der rohe Haufe enger
und enger heran. Starr und unbeweglich lagen
die Finger der Marquiſe an die Scheere gedrückt,
das Blatt wankte ungleich hin und wieder, ein
dumpfer Schrei arbeitete ſich aus ihrer Bruſt.
Schneiden Sie, um alles in der Welt, ſchneiden
Sie dreiſt in das Papier hinein, fluͤſterte eine
Stimme neben ihr. Sie ſahe auf, ein garſtiger
Krüppel lehnte uͤber ihre Schultern. Ihr Zoͤgern
ſtürzt Sie ins Verderben, fuhr dieſer fort. Frau
n
von Robillard erkannte Barbarour, der ſich in ent⸗
ſtellender Mummerei den Straßenbettlern ans
ſchließend, auf Maͤrkten und Plaͤtzen umherlag
und in der Diogenes Rolle dem Cynismus man;
chen mäßigen Schüler gewann, Die Königinn !
ſtammelte die Erſchrockene. Was zaudert die
DBuͤrgerin? ſchrieen Einzelne, wir wollen die Cas
pet haben, geſchwind die Capet. Krampfhaft
fuhr ſie den feinen Stahl durch das Papier.
Wie durch Zauberei, ihr unbewußt, war das
Bild gelungen. Man riß es ihr aus den Haͤn⸗
den, man ſchrie nach mehreren Exemplaren, und
mit froher Schadenfreude, ruchloſen Spott trei⸗
bend, waͤlzte ſich die taumelnde Menge von Straße
zu Straße, das Bild gleichſam im Triumph mit
forttragend. | Rus su
Sinnend, den ſchöͤnen Arm an die Gitter⸗
ſtaͤbe gelehnt, ſahe die Königin dem Allem zu.
Es ſchien der herbe Pfeil betrogenen Glaubens
druͤcke ſich noch einmal recht tief in ihr zerriſſenes
Herz. Ihr Mund verzog ſich wie zum weinen,
und in den ſanft gehobenen Augen lag die Fra⸗
— 199 —
ge: Iſt das Menſchentreue? und nicht ein einzi⸗
ges em ſchlaͤgt fuͤr die ungtdetlihe Koͤnigin! —
Die Marquife ſaß noch immer wie gebannt
. Gefaͤngniß gegenüber. Sie ſtarrte das ge⸗
weih'te theure Haupt an, dem ſich tauſend blutige
Arme entgegenſtreckten, ſchaudernd druͤckte ſie beide
Haͤnde vor die Augen, die Bruſt wollte ihr jetz
ſpringen, wie erſtarrt ſtockten die Thränen. Als
fie wieder aufſahe, war es ihr, als fliege ein
ſanſtes Lächeln an dem Gitter hin, doch die Kb:
nigin war verſchwunden, tiefe Nacht deckte ihre
Fenſter. Frau von Kobillard ſchwankte von
Schmerz, Liebe, Rache und Zorn zerriſſen nach
Hauſe, und ſegnete ein brennend Fieber, das fi ch
großmuͤthig ihrer Sinne bemaͤchtigte. 18
Noch lag ſie betaͤubt, den Kopf in die Kiſſn
gedruckt, als Morgens fünf Uhr der donnernde
Wirbel unzaͤhliger Trommeln, aͤngſtlich durch
jede Abtheilung der Stadt ſchallte. Truppen mar⸗
ſchirten durch die Straßen. Geſchuͤtz fuhr vor⸗
uber. Dumpfes tonloſes Rauſchen und Mur⸗
meln fuͤllte die Luſt. Im Hauſe lief Alles die
Treppen auf und nieder, Anna zog die Bettvor⸗
haͤnge der Marquiſe dichter zu.
„Jetzt gilt es! rief der athemlos hereinſtür⸗
zende Cornelius über das Bett der Traͤumenden
gebeugt. Jetzt oder nie! — Die Koͤnigin wird
auf's Blutgeruͤſt geſchleppt, das Volk iſt unruhig.
Dreißigtauſend Mann ſind unter den Waffen,
um es in Ordnung zu halten, auf allen Brücken
ſteh'n Kanonen aufgefahren. Doch was. find,
Kugeln und Bajonette gegen die Gewalt des Wiln
lens. Kommen Sie, laſſen Sie uns unter die
Menge ſturzen, welche den Zug der Koͤnigin be⸗
gleitet. Fort! aus ihrem Blute ein neues Franke,
reich heraufzubeſchwoͤren. Ohne innern Zuſam⸗
menhang ſtarrte ihn Frau von Robillard an. Er
drang heftiger in ſie. Sie winkte ihn hinaus⸗
zugehen. Mechaniſch wand ſie ſich aus ihren
Decken. Die Glieder zitterten noch in der Fie⸗
berſpannung. Sie ſah' oft Anna fragend an,
die weinte heiß ohne eine Silbe hervorzubringen.
Kaum ſich fortſchleppend, die ſtieren Augen wil⸗
lenlos dahin und dorthin fallen laſſend, wankte
ſie in die Straße. Das Gedraͤnge war groß, ſie
— 201 —
ließ ſich ſo mit fortſchleppen. Bald hatte ſie Cor⸗
nelius ganz aus dem Geſicht verloren. Sie war
deshalb wenig bekuͤmmert, denn fie dachte eigent-
lich gar nicht. Der gaffende Poͤbel erdruͤckte ſich
faſt. Aus allen Fenſtern ſahen geputzte Maͤnner
und Frauen mit Fernglaͤſern ungeduldig die lan⸗
gen Straßen hinunter. Ein junges Maͤdchen ar⸗
beitete ſich faſt mit Todesgefahr, durch Wagen
und Pferde und die Reihen der Soldaten, dann
ſich auf die ſchmale Stange eines Eiſengitters
ſchwingend, unklammerte ſie einen Laternen Pfei⸗
ler und hielt ſich ſo in aͤngſtlicher Schwebe, waͤh⸗
rend ihr verzuͤcktes Auge geſpaunt, die Annäher
rung der Tyrannin erwartete. Ein alter Mann
1 dicht hinter der Marquiſe ſagte: Juſt ſo ſtanden
wir, als Marie Antoinette ihren Einzug hielt.
Ein Weib ſchlug ihn, und mehrere Stimmen
ſchrieen: mußt Du uns daran heute erinnern!
Wir wollen nichts von der Vergangenheit hören,
die geht niemand etwas an! Der Alte ſchwieg.
Eine Thraͤne zitterte in ſeinem Auge. It es denn
auch wahr, fragte ein Kind ſeine Mutter, Tomi
ſie gewiß hier vorbei? Ja, Charlot, entgegnete
dieſe, und nun ſitzt fie wie alle Miſſethaͤter auf
dem kleinen Karren, und hat nichts an als das
Armeſünderhemd. Die fhönen Kleider und das
blanke Gold was ſie dem Volke geſtohlen hat,
kriegen wir alles wieder. Das Kind klammerte
ſich aͤngſtlich an die Mutter und fing an zu wei⸗
nen. Was haſt Du nur, lachte die Frau, was
giebt's da zu weinen? Doch Charlot ſchluchßte hef⸗
tiger, ich fuͤrchte mich, ſtammelte er, Du ſiehſt
fo haͤßlich aus Mutter. Und als nun die lilien⸗
weiße Koͤnigin glaͤnzend rein und klar voruͤber
fuhr, nicht Schmerz, nicht Bitterkeit in ihrem ſtil⸗
len Lächeln: zu ſehen war, da rief Charlot: ein
Engel! Seht, ein Engel! Doch tauſend Stimmen
uͤberſchrieen ihn. Es lebe die ng zu Bo⸗
den mit der Tyrannei):
Die Marquiſe lag ohnmaͤchtig in des g guten
Alten Armen, der ſie mitleidig umſchlang und in
ſeine Wohnung fuͤhrte. Hier ſaß ſie lange an
Sinn und Gedanken wie gelaͤhmt. Die Him⸗
melsdecke ſchien auf ihrem zitternden Gehirn zu
laſten, fie ſahe und hoͤrte nichts. Jetzt plotzlich
ſprang fie auf, ſie eilte an die Thür, der alte
— 203 —
Mann trat ihr in den Weg. Wo wollt Ihr,
fragte er, in dieſem Zuſtande hin? Fort, fort,
rief ſie ihn wegdraͤngend, wir müſſen Sie ja ret⸗
ten. Arme Frau! das ſoll nicht ſeyn, dafuͤr iſt
wohl geſorgt. Beſinnt Euch nur, und haltet Euch
ganz ſtill. Wenn das Meer tobt, muß man's
nicht befahren wollen. Betet und wartet im Her—
zen. Mit Gewalt zwingt man den Himmel nicht.
Er fuͤhrte ſie zu dem großen ledernen Armſtuhl
am Ofen zuruͤck, gab ihr ein paar Tropfen Dals
fam auf Zucker und ſetzte ſich dann liebreich zu
ihr nieder. Ich kenne Sie wohl, gnaͤdige Frau,
fluͤſterte er leiſe, ich bin eines Tiſchlers Sohn aus
St. Jean d' Angeli, mein Name iſt Daͤplair,
mein Gewerbe das meines Vaters. In jungen
Jahren kam ich wohl zuweilen auf Schloß Ton⸗
nayboutonne. Sie werden mich ſchwerlich bemerkt
haben, und mir war ſeit ich hier mein Brod fand
Ihr Geſicht auch gaͤnzlich aus den Gedanken ge⸗
kommen. Da will's — der Zufall möchte ich doch
nicht ſagen — die Vorſehung hat es gewollt, daß
wir Nachbarn wurden, und ich von meinem Gaͤrt⸗
chen zu ihren Fenſtern hinaufſehen kann. Du
— 204 —
lieber Gott! wie haben Sie mich da gedauert! Ich
wollte Sie gleich zu mir heruͤber bitten, doch was
mir die Werkſtatt, Frau und Kinder‘, und eine
todtkranke Schweſter, noch an Raum uͤbrig Taf
ſen, das nimmt ſeit einem Jahr beinahe ein lieber
Miethsmann ein, der Deputirte von Arras, we-
gen feiner Leutſeligkeit hieher geſandt. Es wuͤrde
ihn ſchmerzen, wollte ich ihn aus dem ſtillen ent⸗
legenen Haͤuschen verweiſen, und ich wuͤßte es
auch nicht uͤbers Herz zu bringen. Drum ſchwieg
ich gegen Sie, und zoͤgerte auch mich bei Ih⸗
nen einzufuͤhren. Das iſt nun heute an dem
Jammertage Kakheheu Gott wird 150 |
warum! — be
ö 1 sta ist ng sit 30
Er hielt ihre Hand treuherzig in der feinen
und ſahe ihr beruhigend in die Augen. Doch ſie
rief aufs neue heftig, was hilſt das Mitleid und
die Theilnahme, und Treue und Glaube wenn
wir mäßig bei dem Rettungswerke bleiben, das
uns aufgegeben iſt. Liebe gnaͤdige Frau, ſagte der
freundliche Alte‘, ein jeder bleibe in feinem Be⸗
rufe. Uns iſt aufgegeben ganz in der Stille den
— 2ꝛ03ͤK—-
Tag der Erloͤſung vorzubereiten. Iſt die
Zeit reif, ſo findet ſie auch ihre Leute. Vordraͤn⸗
gen iſt niemals gut, man ſieht dabei nicht wo
man hin tritt. Es ſind viele geladen, doch wenig
Auserwaͤhlte berufen, warten wir bis an uns die
Reihe kommt. Warten! warten! unterbrach ſie
ihn ungeduldig, und daruͤber geht alles, alles,
auch das theuerſte Leben verloren! Ihre Stunde
war gekommen, erwiederte jener, das glauben
Sie nur. Dem armen Herzen muß jetzt recht
leicht ſeyn! Sie iſt ſchoͤn geſtorben, das ſagte Ihr
milder, verzeihender Blick. Frau von Robillard
weinte bei dieſen Worten ganz aufgeloͤſt vor
Schmerz. Herr Duplaix faltete die Haͤnde. Waͤ⸗
ve fie zu retten geweſen, fagte er ſehr erfchüttert,
Gott haͤtte die Waffen ihrer Vertheidiger nicht
ſinken laſſen. Aber was ſollte ſie laͤnger auf der
blutigen Erde ungewiß hin und her ſchwanken 2
Ihr Platz war doch einmal eingebuͤßt. Es muß
immer eine Weile Nacht ſeyn, ehe es wieder Tag
wird. Ich weiß nicht, ſetzte er nach kurzem
Schweigen hinzu, wie es kommen wird! Nacht
iſt es jetzt, doch wir wollen uns nicht fuͤrchten,
269 — 5
und denken, Gott 1 im Acht, der ſteht für
und! . „ ene
Wie bewahrten Sie nur, ſagte Frau von
Robillard, die unbegreiſliche Ruhe in fo entſetzlit
cher Zeit? Haben Sie von je fo ergeben drein
geſehen? und begnuͤgten Sie ſich ſtets damit Bes
trachtungen anzuſtellen? Herr Duplair fahe fie’
crnſthaft an. Nein, entgegnete er mit kraͤftigem
Ton, ich habe es nicht vergeſſen, daß der treue
Kuccht mit ſeinem Pfunde wuchern und es nicht
verſcharren ſoll. So lange ich dachte, es ſey Recht |
Hand anzulegen, that ich es. Es gab eine Zeit,
Fran Marguſe, wo man denken konnte Franke"
reich ſey vom Untergange zu retten. Damals
als die Vornehmen ſich erinnerten, daß Gott vom
Anbeginn Stand und Wirkſamkeit der Menſchen
verſchieden beſtimmt, und jedem Beruf Raum in
der Welt gegönnt habe, damals als der Buͤrger
Stimme und Recht wieder fand. Es regte ſich
in jeder Bruſt ein unbeſtechliches Gefuͤhl der Bil⸗
ligteit und Wahrheit. Der dritte Stand hatte
gleichſam Menſchenrechte empfangen, und konnte
hoffen mit freien Armen das ſinkende Staatsge“
— 207 —
baude ſtuͤtzen zu helfen. Ich war nicht mäßig‘
geblieben. Ich galt in meinem Kreiſe. Viele
dachten wie ich, wir hatten uns verbuͤndet, und
dieſer Geiſt, Frau Marquiſe, ſtuͤrmte das truͤ.
be Denkmal finſterer Gerichtspflege, die Ba-
ſtille. Ich war nicht der letzte bei dem ernſten
Werk. Erſt jetzt waren wir uns der rechten Lie⸗
be und Treue fuͤr den Koͤnig bewußt. Ein neuer N
Bund war zwiſchen dieſem und feinem Volk ges”
ſchloſſen, die alte gute Ordnung mit friſcher Kraft
belebt, Gott zeigte uns wie es fein konne. Laſ⸗
ſen Sie mich davon ſchweigen, wie es ward.
Eine Nacht gab der ſchoͤnen Koͤniginn graues
Haar. Jahre machten uns zu Greiſen. Unſre
Zeit iſt nicht mehr, oder noch nicht da. Wir
muͤſſen uns beſcheiden, und im Stillen t hu n.
Thun? entgegnete die Marqniſe, was wird denn
hier gethan? Man thut immer, ſagte Herr Du⸗
plaix mit ſanftem Nachdruck, wenn man einem
Schwankenden die Hand reicht. Frau von Robil⸗
lard legte den Kopf nachdenkend in den Seſſel
zurück. Der freundliche Meiſter oͤffnete derweil
ein Nebenzimmer, legte dort den pluͤſchenen Sou ⸗
— 208 —
tagsrock und die rundgeſtutzte Perücke ab; und
machte ſich im ſchwar zen Kaͤppchen und ledernen
Schurzfell an die Arbeit. Ich kann nicht lange
feiern, ſagte er laͤchelnd, aber das iſt juſt mein
großes Glück. Der Maaßſtab dort und die friſch
gehobelten Planken, ſehen mich oft fo ſehnſuͤchtig
an, ruͤhren mir die bekümmerten Gedanken, als
ſagten ſie: verſuch's einmal mit uns! Ich kann's
denn auch nicht laſſen, thue es und begrabe mir
den Schmerz in Schweiß und Arbeit. Was ſie⸗
delu ſich denn die Menſchen, ſeufzte die Marquiſe,
noch hier in der oͤden Wuͤſte an, und denken an
Bequemlichkeit und Schmuck und Zierrath. Hm!
erwiederte Herr Duplair, man flickt und putzt ſo
lange man kann am Leben, davon laͤßt keiner.
Es iſt auch gut ſo. Was machte man denn ſonſt
mit den vorauseilenden Gedanken! Andreas! An⸗
dreas ! rief eine matte Frauenſtimme aus einem
auſtoßenden Kaͤmmerchen. Das iſt meine arme
Schweſter, ſagte Herr Duͤplair aufſtehend. Gott
prüfe fie ſtrenge. Sie war ſehr ſchoͤn. Nun lei⸗
det fie ſeit zehn Jahren an einer periodiſchen Laͤh⸗
mung aller Sinne und Glieder, bis Mittag liege
2
1
— 209 —
‚fie ſtumm und regungslos, ob ſie ſich ihrer gleich
vollkommen bewußt iſt. Um dieſe Stunde wird
ſie frei, und tritt bis Sonnenuntergang unter die
Lebendigen. Er oͤffnete bei dieſen Worten die
Kammerthuͤr. Frau von Robillard empfand leicht
eine Scheu vor Kranken und ſonderlich von chro⸗
niſchen Uebeln befallenen Perſonen. Sie hoͤrte
daher mit ſchlagendem Herzen das nahende Schuͤr⸗
ren unbehülflicher Tritte, und die unſichere, faſt
lallende Stimme. Aengſtlich lagen ihre Blicke
auf der Thuͤr. Jetzt trat die Kranke auf Herrn
Duͤplair Arm geſtuͤtzt, muͤhſam uͤber die Schwelle.
Sie richtete aufathmend den Kopf in die Hoͤhe.
Ein Blick voll tiefer Seele ſiel aus großen ſchwar⸗
zen Augen auf die Marquiſe. Ueber die bleichen
Wangen legte es ſich wie zwei zarte Roſenblaͤtt⸗
chen, langſam theilte fie die Lippen, doch konnte
ſie nicht ſogleich das Wort herausbringen, was
ſie ſagen wollte, ſie ſahe ihren Bruder an und
lächelte. Dieſer fuͤhrte fie zu einem Sitz im Fen⸗
ſter. In kleinen bunten Porzellantoͤpfchen ſtan⸗
den Herbſtblumen auf dem | Fenſterbrett. Das
ſchoͤne Maͤdchen ließ die laͤnglich blaſſe Hand,
Ir Theil. 0 a
wie grüßend an den Blumen vorüͤberzieh 'n. Sie
ſah betrachtend umher, dann ruͤckte ſie ſich in
dem Seſſel zurecht, ſtrich das dunkle Haar unter
ein feines weißes Haͤubchen, und ſagte wie er⸗
wachend: guten Morgen, mein Bruder! Dieſer
ſtreichelte ihr zaͤrtlich die Backen, und ihre Hand
in der ſeinigen behaltend , fragte er: iſt es denn
nun ganz vorüber Aphodiſe? Ja wohl! erwies
derte ſie, mit angenehmen Klang der Stimme,
mir iſt ganz gut. Kan ‘7 ten
Frau won: Mobillard war Briten doch
hegte ſie noch immer einige Bangigkeit ſich der
Kranken zu naͤhern. Ihr kam dieſe doch etwas
unheimlich, faſt wie eine zauberiſch Gefeyete vor,
fie ſahe mit ungewiſſen und dennoch unwider⸗
ſtehlich angezogenen Blicken zu ihr hin. Apho⸗
diſe hatte den Arm aufgeſtuͤtzt und fragte, wie ſich
beſinnend: war St. Juſt, oder wie ich ihn lieber
nenne, der Marquis de Fantevielle hier? Herr
Duplair ſchuͤttelte verneinend den Kopf. Sah 'ſt
Du unſern Miethsmann heute? fragte ſie weiter.
Er iſt vor niemand zu ſehen, entgegnete ihr Vru⸗
der. Sie hob die Augen zum Himmel. Ich em⸗
pfinde, van fie, wie feine Seele arbeitet. Er
weiß nicht wie unglücklich er iſt. Was haft Du
doch immer mit ihm, unterbrach fie Herr Duͤplair
verweiſend, in ihm iſt kein Falſch! Doch! entgeg⸗
nete Aphodiſe; aber er weiß es nicht. .
ihm, wenn er's erfaͤhrt! 5 5
Sie blieb nachdenkend, waͤhrend Anna 10
Gebieterin ſuchend von ohngefaͤhr herein trat,
um den freundlich verſtaͤndigen Nachbar, den ſie
wohl hin und hergehend im Fluge kennen gelernt
hatte, um Rath zu fragen. Sie blieb ganz er⸗
ſtaunt vor der Marquiſe ſtehen, und wußte kaum
ob ſie den eig'nen Augen trauen dürfe? — Frau
von Robillard eilte ihr freudig entgegen, faßte
ihre beiden Haͤnde, und rief mit großer Lebhaftig⸗
keit: Anna, der Tod und das Leben haben ſich
indeß in mir getheilt, ich weiß nun was beides
iſt. Gottlob! Glaube und Hoffnung ſind unſterb⸗
lich. Sie wandte ſich zu Herrn Duͤplair zuruͤck.
Mein alter Freund, ſagte ſie gerührt, goͤnnen Sie
mir in bangen Stunden unter Ihrem Dache Troſt
zu ſuchen! Der Meiſter ſtand, ſein Kaͤppchen ehr
erbietig in der Hand, laͤchelnd vor ihr. Ich wollte,
O 2
7
— 212 —
entgegnete er, ich konnte Sie immer hier behalr
ten, aber Sie wiſſen ſchon daß das nicht' geht,
uud wie leid mir es iſt, darum aber bleibt Ihnen
dieſe Thuͤr dennoch in ſedem Augenblick offen,
das glauben Sie gewiß. Frau von Robillard
gruͤßte Aphodiſe, welche aufgeſtanden war, und
verließ mit Anna das Zimmer..
Vor dem Hauſe begegnete fie Madame Di
Blake mit den Kindern. Sie kamen eben jetzt
von dem Reboluttoneplatze zuruck. Die Mütter
ſahe eruſt vor ſich nieder, die Kinder weinten.
Ich will gleich oben zu dem guten Vetter hinauf,
ſagte das jllugſte, ein bildſchoͤner Knabe, ſonſt
graut mich fo ſehr. Der Vetter hat ſich einger
ſchloſſent, erwiederte die Mutter. So? warum
denn? Er graͤmt ſich! — Er graͤmt ſich? wieder;
holte das Kind, ſchon halb unter der Hausthür,
ſchade! rief es. Die Thür fiel zu. Reden Sie
von dem Fremden, Aung? fragte Frau von Ro⸗
billard, der bei Herrn Duͤplair wohnt? Kennſt
Du ihn? Ich ſahe ihn einigemal, erwiederte diefe,
in des Tiſchlers Gärtchen. Er iſt ſchͤn, und
ſcheint ſehr gefühlvoll und ernſt. Sein Auge viche
— 213 —
tet ſich oft un willkuͤhrlich zum Himmel, und ru⸗
Het dann mit einer gewiſſen bangen Wehmuth auf
der Erde. Die Kinder haͤngen wie die Kletten
an ihm, ſo oft er ſich ſehen laßt. Er iſt von
der ſanfteſten Zärtlichkeit gegen ſie und laͤchelt
ſichtlich froh, wenn ſie ihn den guten Vetter nen⸗
nen, unter andern Namen i er mir auch Mat
Fetannt. S na: |
Gedankenvoll betrat $ Frau von n Kobilard ihre
Wohnung. Was ſie geſehen und. gehört, es hatte
fie nicht gelaͤhmt, ſie begriff ſelber nicht, wie fie
alles überſtanden habe. Ihr eignes Herz, die
ganze Welt kam ihr vor wie ein eingeſargter Tod⸗
ter. Die lockere Erdendecke lag nun darauf, von
dem was einſt geweſen, blieb nichts abrig, doch
gaͤhrten tief im Dunkeln die ewigen Lebenskeime.
Ein Daſeyn mußte den ungeſtillten Trieben wie⸗
| der werden. Sie empfand das ohne Worte und
Gedanken, in einer eigenen ihr n erwar⸗
een Ruhe. Tanne
Anna erwahnte. jetzt ch daß 75 G
e. mehrmals hier geweſen und mit großer
Aengſtlichkeit nach ihrer Giebieterin, gefragt, habe,
— 214 —
Einzelne Worte, ſetzte fie hinzu, waͤren ihm ent
fallen, aus denen fie geſchloſſen, daß er ſelbſt
nicht ganz ſicher und in der Furcht ſey, die Fran
Marquise könne ſich durch augenblickliches Ver⸗
geilen verrathen, und ihn und ſeine Freunde mit
in's Ungluͤck geſtuͤrzt haben. Armer Thor! ſagte
Frau von Robillard, er weiß nicht, daß Gott
auch in Sodom . rettende n pee
Ae Nen H
Sie blieb den ganzen übrigen ee 1
denklicher Stimmung. Gegen Abend lehnte fie
im Fenſter. Die Sonne ſenkte ſich bereits. Drin
ben iy Herrn Duͤplaix Garten, ſaß Aphodiſe in
einem weißen Ueberwurf, unter einem reich be⸗
hangenen Apfelbaum. Ihr Blick ſchien den Lauf
der Sonne zu begleiten. Den kleinen Steig von
Johannis- und Stachelbeerenſtraͤuchern eingefaßt,
ging ein jugendlich kraͤftiger Mann mit geſenkr
tem Kopfe auf und nieder, neben ihm ſprangen
des Tiſchlers Kinder. Er unterbrach wohl ſelbſt
die ernſten Gedanken, welche allzugewaltig zu
ihm reden mochten, indem er den Knaben Knall⸗
buͤchſen von Fliederholz ſchnitzte, fie mit Papier⸗
— 278 x
fißpfein lud, und dann zu ihrer Luſt abfeuerte.
Doch nicht lange, ſo trat er wieder bei Seite,
ſchlug die Arme über einander, und ſah unver;
wandt vor ſich nieder, als ſollten die ſcharfen
Blicke die Erde durchbohren. Jetzt ſtand Apho⸗
diſe auf. Der Unbekannte eilte auf ſie zu, reichte
ihr den Arm, und fuͤhrte ſie liebreich dem Hau
zu! Er wandte den Kopf noch einmal nach dem
Platz, wo die Kranke geſeſſen hatte, vielleicht daß
dieſe etwas vermißte. Die Sonne warf ihre
vollen Strahlen auf fein‘ Geſicht. Die Mar⸗
guiſe bebte erſchrocken zuſammen , es fuhr; ihr -
wie ein Blitz durch die Sinne, dies Goſicht kann⸗
te ſie ja, es war der er ſchreckliche Robese
pierre. Allmächtiger! rief fie, Er in dieſem
Hauſel Thür men ſich die furchtbar ſten Gewitter
auch ſo ungeahndet über das Haupt ruhiger Un
ſchuld auf? oder duldet! dieſe das Laſter in ihrer
Nähe? O Gott! wo, ißt denn Liche und Friede
MERKEN Welt! A: aim, „na
1 — 1 11 2
2 407 26 174, 2 Erz a Kir x
j 2 4420 sth a m a An; 1
5
Kube A trieben‘ die med von Morten
herüber, und dehnten fie in langen, feuchten
Schleiern uber die Loire hinaus. Grau war der
Himmel, ſchmucklos die Erde, nackte Bäume
ſchuͤttelten die letzten trockenen Blätter wider wil⸗
lig ab. Und in dem Duuſt des abgedampften
Lebens, fluͤchtete ein verzweifelndes Volk auf
ſchwankendem Nachen den Fluß hinüber. Flam⸗
menwirbel verhuͤllten hinter ihnen die Seimard,
Ye ſahen fie in die wolkige Zukunft.
Der letzte große Kampfe in ee
. gefochten. Die Königlichen unterlas
gen. Ein ganzes Heer, Weiber und Kinder und
was ein Leben zu retten hatte, flohe vor Veſter⸗
mann's blutſaugenden Blicken. Achtzig tauſend
Stimmen ſchrieen; Hinüber! hinüber! wo der
Himmel noch nicht von Mordfeuern leuchtet, und
keine Blutſtroͤme die Erde bedecken.
Siegreich tand Prinz Tolmont bei Varades
am rechten Ufer der “Loire. Der Uebergang war
geſechert. Noch blieb ſein ſtolzes Herz den Sr:
gen unzugänglich. Paris war ja vom Anbeginn
ſein Ziel, „dahin trug ihn der ungebeugte Wille,
dahin drängte „el des Schickſols harte Hand.
Jetzt ſahe er nun Fahrzeug an Fahrzeug zu fh
Heräberjhmimmen,, und eine Mannſchaft ſtark
genug, wie i ihm dünfee, die Welt zu erobern, an
das Land ſteigen. Buwerfihilic,, wie es in ſeiner
Seele war, r redete er ſie an. Kuhne. verheißende
Worte flogen über feine Lippen, er uͤberbot ſich
die finfenden Gemücher zu erſaſſen, doch wer ſ0
eben den gewaltigen Xım, Gottes fühlte, der ver⸗
ſchließt ſein ohr dem Gebraus dreister Rede, und
zittert, der ‚gautelnden, Hoffnung Eingang zu
laſſen. %
Der eich en! A 3 aus fü
ae keine Seele erreichte, Unwillig warf
er den Kopf zurück. Kleinmuͤthige! dachte er;
— 218 —
Euch tränt der Wille Anderer, nicht der Eurige,
wohin Ihr muͤß! PE: a nn
Und wie er noch ſo fand, und mit dem
. — zugleich auch manchen eig ven auſſteigen⸗
den Zweifel niederkampfen mußte, der Blick des;
halb etwas finſter und gehemmt, auf dem Waſſer
hinglitt, ſahe er in einem kleinen Kuhne, auf
ausgebreiteten Decken d Herrn. von eescure, zwar
noch nicht todt, doch kaum den Lebenden ange;
ori 3, den wunden Kopf auf ſeiner ſchoͤnen Satz
tin Schdoß, langſam aus der Bucht einer kleinen
Ine heramudern. Sie kamen näher, getz lan,
f deten fie, man teng den fanften Helden auf nie:
derm Stropfeflel die leine Anhöhe von Vorades
hinan. Dumpfes truͤbes Gemurmel ging durch
die Anwefenden, doch hielt edweder die lauen
Klagen achtungsvoll zuruck. Viele die unter ihm
gefochren hatten, oder ſolche die letzt feinen 512
men hoͤrten, drängten ſich heran, Berk rten
den Seſſel oder Herr von Lescur's Kleid, und
glaubten geheime Weihe empfangen zu haben.
Der Kranke hob die mäden Augen, und ſie un⸗
ter der Menge umhetſendend, grüͤſſte er mit ſeuch⸗
— 210° —
tem Blick. „Meine Freunde, ſagte er matt;
warum ſind wir nicht Alle dort druͤben geſtorben,
ſtatt ſo heimathlos umherzuirren? nun werden
wir wie ausgejaͤtetes Unkraut zertreten werden
und verderben. Ich ſage das nicht meinetwegen,
ſetzte er laͤchelnd hinzu, ich dachte niemals viel an
mich, und jetzt finde ich meine Heimath wohl
bald.“ Sein Kopf ſank hier matt auf die Bruſt,
er ſchloß die Augen, eee nn ihn
nnn! in die Stad. .
Was fuͤrchteſt Du, Eliſabeth? 0 der
rs raſch zu dieſer hingewandt. Was,
erwiederte ſie, jetzt wie ein Schatten in
Deiner eigenen Seele aufſteigt. Mein Tal⸗
mont, was ſollen wir auf dem fremden Bo⸗
den 2 wir paſſen hier nicht her, verhehlen wir es
uns nicht, das verzweiflungsvolle Wagſtůck iſt
wenig auf die Mittel berechnet, die uns zu Ger
bote ſteh'n. Der Prinz zog die Augenbraunen
finſter zuſammen; ich ſehe nicht, ſagte er wegwer⸗
fend, was dabei ſonderlich zu bereuen iſt. War
Frankreichs Heil etwa allein in die Grenzen von
Anjou und Poiton gebannt? Und finden wir in
der Bretagne keine Franzoſen mehr? Franzoſen
wohl, entgegnete eine jugendlich bewegte Stimme,
doch weder die Vendéer, noch ein Volk, uns durch
Gewohnheit, alterthümliches Recht, durch Gefahr
und Noth verbunden. Wo man in Augenblicken
der Entſcheidung erſt umherfuͤhlen muß, wo
und wie man ſteht, da rennt ein Kind, das
Wege und Stege kennt, einen uͤber.
Eliſabeth betrachtete den Juͤngling, der bleich,
von heftigem Schmerz erſchüttert, hinter ihnen an
einem Baum lehnte und duͤſter über die Loire ſahe.
Es war der tief betruͤbte Larocheſaquelin. Wie
anders hatte fie ſonſt das friſche, lebens müthige
Auge angeſtrahlt! jetzt trat es halb erloschen in
tiefe Hoͤhlung zuruck, und feuchte Wimpern ſenk⸗
ten ſich matt daruͤber hin. Der Prinz trat naͤ⸗
her zu ihm. Sie waren immer gegen dieſen Ue⸗
bergang, ſagte er in ſichtlicher Wallung. Mehr,
als es ſogleich zu uͤberſehen iſt, ſtoͤrt es den Forts
gang unſeres Waffengluͤcks, daß gerade hier ſo
viel bedeutende Meinungen ſich theilen. Es waͤre
zu wuͤnſchen, wir könnten uns alle dahin verei⸗
nen, daß es ein Wink des Schickſals ſey, welcher
r |
uns mit unwiderſtehlicher Gewalt dem engen Rin⸗
ge entreißt, in dem wir eingeſchloſſen waren.
Ohne Zweifel ſollen wir uns vordringend eine blu⸗
tige Bahn bis zu den Thoren von Paris machen.
Ich ſehe es anders, entgegnete Herr von Laroche;
jaquelin. Wir waren in dem Ringe zw. Haufe:
Wir haben unſer Vaterhaus kleinmuͤthig "verlaf
ſen, und tauſend Brüder lieblos drinn begraben.
Geben Sie Acht, mein Prinz, die Reue kommt
nach, unſer eig nes m e uns W wenn
es en ſpaͤt iſt. B N
Der Prinz fahle jene verlegen machende Ber
klemmung, die den Worten Blei anhaͤngt und
Gedanken und Vorſtellungen verfinſtert. Es ka-
men in dem Augenblick einige Bretagner Lands
leute voruͤber. Sie trugen zum Theil Röcke von
Ziegenfellen, oder zerlumpte Kittel, das Haar
hing ihnen lang und unordentlich um den Kopf,
eine rothe wollene Muͤtze, von Zeit und Schmutz
angebraͤunt, hing nachlaͤſſig daruber, der Bart
war nicht ganz lang und doch nicht kürz, er er⸗
hoͤhete nur die Unſauberkelt der ganzen Geſtalt⸗
Sie ſahen die Fremden neugierig an, doch dingen
ie ſchweigend weiter, oder ſprachen fie, fo war es
ein unverſtaͤndlich altgalliſcher Dialekt, der wenig
Eingang fand. Sie prüften, ſchien es, mit waͤ⸗
gendem Blick das fliehende geſchlagene Volk, das
ſeinem eee — eee e
ſchaffte. 5 71 8 INM
Der junge Heneich faßte. "Prinz dime
ſeine Gedanken errathend, ſagte: wo bleibt ı nur
Bonhamp, daß er uns hier Freunde gewinne!
Bonchamp ? fragte Herr von Latoöcheſaguelfgl. 0
Gott! ſo wiſſen Sie es nicht? todt li cßen wir
ihn auf dem&chtachtfefde von Cholet, auch Elbe
iſtt tödtlich verwundet Der Prinz ſaße bertärge
zu Boden. Doch ſchnell reichte er dem Waffen⸗
gefaͤhrten die Hand, ſchuͤttelte fie zuverſichtlich, und
ihn vom Loireufer e e ſagte er: MR
wir Auer ſo lange wir ſteh' n! T And
| und noch einmal RB die Sonne des
Ruhmes dem treuen, unerſchůtterlichen Vendee,
heere. Nichts ſchien verloren, denn fie waren
die Alten. Ueberredend, wenn gleich nicht übers
zeugend, hatte VDarxere in pomphafter Römer⸗
ſprache dem Pariſer Convente die Vernichtung
der Vendée angekündigt. Man feuerte Kanonen
ab in der Hauptſtadt, ſtellte Feſte an, ſang Tri⸗
umphlieder, und das oft verächtlich erwähnte
Bauernheer ward ploͤtzlich eine furchtbare Macht,
welche die Freiheit, von der ewigen Nemeſis ge⸗
leitet, unter ihre Fuͤße gebracht und in 0e
liche Bande geſchmiedet hatte.
*
Und plötzlich fanden dieſe gefeſſelten Schaaren
geſammelt, ſtark, unüberwindlich den Mainzern
bei Laval entgegen! Geſchlagen flüchteten die
gewaltigen Soͤhne der Freiheit, ihre nie fehlen⸗
den Bajonette ſanken zu Boden, Barrere mußte
erklären : die Vendée ſey wieder aufgeſtanden.
Sie ſtand, und ſahe ihre Feinde im Blute.
Strahlend von Sie gesglanz flog der Held des
Tages, Heinrich Larochejaguelin, die Reihen Hinz
unter. Sein klares Auge ſagte: ſo unermeßlich
| groß iſt Gott! er hat uns nicht verlaſſen, er hielt
uns aufrecht auf dem fremden Boden!
Sechstauſend eee weiße e an
bn Suse wehend, hatten ſich den Königtis
chen angeſchloſſen. Der Schloßhof von Laval
wimmelte von neuen Bund'sgenoſſen. Der Prinz
ſah frohlockend um ſich her. Habe ich es nicht
geſagt! rief er, und fo wird es ſich überall ber
währen, daß dem Kuͤhnen zu der That oft nur
ein anderer Arm gebricht, der ihm den Anſtoß
giebt. Ich bleibe, fuhr er fort, bei unſerer fruͤ⸗
Heften Anſicht ſteh'n: Paris ſey unſer Ziel!
Dagegen ſtimmten gleichwohl alle Uebrigen.
Man blieb zehn Tage, theils ſich ruhend, theils
uͤberlegend, in Laval. So ſehr war man der
geſchlagenen Republikaner fuͤr jetzt ſicher! Am
Abend vor dem Aufbruch ſaßen Eliſabeth und der
Prinz in einem Zimmer ſeines Schloſſes einſam
und ſchweigend am Kamin. Zum erſtenmal ſtie⸗
gen in Eliſabeths Bruſt ihr bis dahin fremd ge—
bliebene, verwirrende Gedanken auf. Noch war
für fe das Naͤchſte auch das Größte geweſen.
Die erhabene Zeit trug fie mit glänzenden Schwin⸗
gen über das Geheimniß der eig' nen Bruſt hin⸗
aus. Ihre Wünſche umfaßten in fernen kühnen
uUmriſſen ein Leben voll Ehre und Freiheit, der
Ruhm des einzigen n Abele ſelbſt
das Bild ſeines Todes. Doch jetzt in der Waf⸗
fenſtille, in den heimiſch eig nen Mauern; des Ge⸗
liebten, allein mit ihm, vom ſanſten Frieden der
Haͤuslichkeit angewehet, das eine Dach all. ihr
Erdengluͤck umſchließend, — jetzt brach es in ihr
2 jetzt riefen tauſend verworrene Summen 15
: Du junges Kind! Deine Beſtimmung iſ
2 verfehlt, bereuen darfſt Du nichts, doch
beweinen — beweinen ‚wirft. Du's, lebenslang.
Das Band, das Dich mit Deinem ſchönen
Freund verbindet, iſt eigener, den Lebensformen
fremd gebliebener Natur geworden, die Myrthe
ward zum Lorbeer in Deiner Hand, Du wan;
delſt ihn. nicht wieder um! Und als der Prinz
gerade in dieſem Augenblick in ihr bandes Mage
ſahe, und leiſe die Lippen darauf druckend, halb
aus Gewohnheit, ‚halb aus Scherz ſagte; mein
armer kleiner Georg, biſt Du muͤde? da zitterte
ihr das Herz in dumpfer Beklemmung, ſie ſtreifte
blos mit ihren Lippen die ſeinen, und ſanft aus
ſeinen Armen losgemacht, trat ſie zum Fenſter,
und ſtarrte in den großen leeren Schloßhof, in
Ir Tyeil P
dem nichts lebte als die Eulen, die ſchreiend an
den Thurmluken hin und wieder ſchrillten.
Der Prinz hatte es aus fruͤherer Zeit an der
Art, die Nächte lleber zu durchwachen, als im
Bette zu vertraumen. Seinem ſtürmiſchen Blut
widerſtand die lange Rahe. Die kühnsten Bilder
ſtiegen in ſolcher Stunde in ihm auf. Er rief
dieſe auch wohl durch wunderbar phantäſtrende
Klänge herbei, die er mit gewaltigen Griffen dem
Klong ehe," Om Krüge wür bes mtl
ben. Hier aber fand er ein ſchoͤnes Inſtrument,
das er ſelbſt vor wenig Jahren aus England kom⸗
men ließ. Er verſüchte ſich in allen diefen Th;
gen mit raſchen Laufen und ſchmetternden Mar-
ſchestoͤnen darauf. Doch überaus lockend erſchien
es ihm in dieſer Nacht. Er zog einen hohen
Stuhl mit Hauteliſſenem Polſter belegt heran,
und athmete die volle ſtegesdurſtige Seele in ki⸗
nem langen, heißen Schlachtenrufe aus, det ſich
in unzähligen Akkorden wirbeln verschlang. e
UN el enn 83 us) le ‚mund gige e 6)
Eliſabeth, von den Klängen umrauſcht, war
weinend in einen Seſſel am Fenſter hingeſunken,
1
— 227 >
unb wußte ſelbſt nicht, wache oder träume fie.
Ihr kam vor, als ſehe fie noch durch die Schei⸗
ben in den Hof hinunter. Der Prinz ging dort,
und ſaß doch auch hier neben ihr, und war es,
der fo ſtark und mächtig die Saiten ruͤhrte. Da
unten ſahe er anders aus wie ſonſt, der Herzog,
ſein Vater, ging von einer Seite neben ihm, von
der andern ein Mann im blutigen Hemd. Das
iſt Barrere, ſagte der Herzog, und wies auf jenen.
Jetzt fiel es wie ein Schuß dicht neben ihr. Sie
ſprang erwachend auf. Der Prinz hatte den
Deckel des Klaviers allzuraſch niederfallen laſſen.
Er ſahe laͤchelnd nach ihr um. Hat's Dich er⸗
ſchreckt, Eliſabeth ? fragte er. Ja, ja, ſette er
hinzu, in voller Ruhe wird das Ohr ſogleich ver⸗
woͤhnt. So ists mit allen Sinnen und Ge⸗
fuͤhlen ! Ich bin gewiß, ſagte mir einer jetzt:
Du mußt sterben das Schwerdt ſchwebt **
Dir, ich würde erſchrecken; und morgen .
ſchon tummle ich mich mitten unter Todesſchauern
ſo gleichguͤltig n 4 ſey es EN au leben
oder zu ſterben. N
13 Nanni u}
P 2
—
— 228 —
Er legte den Kopf auf die Stullehne zurück,
und ſann einige Augenblicke betrachtend nach.
Nur die eine Seite ſeines ſchoͤnen Apolloge⸗
ſichtes war nach Eliſabeth gewandt. Ihr Blick
lief, gleichſam die Umriſſe zeichnend, uͤber Stirn
und die fein gewoͤlbten Lippen, und, als drohe
ein dunkler Schleier das liebe Bild zu verhüͤllen,
fo prägte fie es langſam der tiefſten Seele ein.
„Der Lorbeer war für Dich, dachte fie im
Stillen, die Myrthe liegt nun welk 8 meinen
dur denn er 0 ar hu
Eliſabeth, ſagte der RR BEE
Gedanken ploͤtzlich ergriffen, da wir eben vom
Tode reden, — Du erſchrickſt nicht, wie andere
Frauen, vor ſolchem Geſpraͤch — ſie raffte ſich
N e „und ſahe ihn muthig an, — 0
laß mich Dich um etwas bitten, fuhr er fort,
was mir den kurzen, und leugnen wir's uns nicht,
dennoch ſchweren Schritt in eine unbekannte Welt
erleichtern wird. Auf ihren Lippen lag ſchon langt
ein raſches, freudiges Ja. Sie dachte, er deute
auf gemeinſames Sterben, was fie fett ange ſchon
als ihres Lebens 0 betrachtet hatte. Doch er
— 229 —
faßte bedeutſam ihre Hand, und ſagte ernſt: ich
errathe Dich, liebes Herz, aber ſprich Dir und
mir Deine Gedanken nicht aus, | ich fordere Höhe:
res Opfer als Du denkſt. Ihre Hand zitterte in
der ſeinen, ſie ließ erbleichend die Augen an ihm
hin, zur Erde gleiten. Du mußt mir feſt ver⸗
ſprechen, Eliſabeth, bat er dringend, falle ich
auf eine oder andere Art, mein Leben ganz zu
dem Deinigen zu machen, und wie von je ie in
Gedanke unſere Seelen in einander ſchmolz, nun
wie mein eigenes Ich den Weg ruhelos zu
verfolgen, von dem ich abgerufen ward. Er hielt
hier inne. Sie ſagte nichts, denn ſie konnte vor
geheimer Qual nicht reden. Sieh! Liebe! fuhr
er troͤſtend fort, Du haft Dein ſchoͤnes Daſeyn
dem ernſten Thun und Willen Deines Freundes
ſo innig einverleibt. Du haſt ſein ſtolzes Herz
in das Deine aufgenommen, und Dich denſelben
Funken, der ihn durchgluͤht, entzuͤnden laſſen,
Du haſt es nicht umſonſt geſagt: der Himmel
habe unsre Seelen aus gleichem Stoff geformt,
Du wirſt es nicht ertragen, daß die unvollendete
That ſeinen geängfteren Geiſt ruhelos auf die
— 230 —
Erde zuruͤckrufe. O Gott! ſlehete Eliſabeth an
feiner Bruſt zuſammenſinkend, quale“ mich nicht
ſo unbarmherzig. Er richtete ſie ſanft an ſich
auf; meine hohe Gefaͤhrtin, ſagte er ernſt, wirſt
Du's verſchmaͤh'n, Dein Vaterland in Deines
Talmont Namen zu erretten? Sei ſtark genung
Dir die vielleicht noch ferne Moͤglichkeit zur Ge⸗
genwart zu machen, denke alles was jetzt in dier
ſer Bruſt ruhet, was zum Theil eingeleitet, zum
Theil nur eben erſt zur Sprache kam, werde
mit mir begraben, kannſt Du hoffen, das unge⸗
ſtuͤme Blut werde mir nicht den freien Blick zum
Himmel truͤben? Darfſt Du mir den Troſt verſa⸗
gen, die ſtockenden Lebenskeime von Deinem ſanften
Hauch beſeelt zu ſehen? Eliſabeth ſey der Fries
densbote, der mir die Palme von der blutenden
Erde hinuͤberbringt. Alles! rief ſie, ihn feſt um⸗
ſchlingend, alles was Du willſt geſchehe, d'rum
ſage nur was Du jetzt zu ſagen haſt.
Erſchuͤttert von der großen Kraft der Liebe,
kniete jetzt der Prinz vor ihr, druckte die ſchönen,
zarten Hände feſt an feine Bruſt / und der Thraͤ⸗
nen kaum noch maͤchtig flüſterte er leiſe: Meine
ſüße liebe Seele, ich habe in England einen
Freund, den Marquis Sombreuil, er focht un⸗
ter Friedrich Wilhelm von Preußen vor Mainz
und hegte große Gedanken, die für jetzt noch ger
hemmt wurden. Darum ging er, in England
Huͤlfe fuͤr die er ſchoͤpfte Vendée zu ſuchen. Es
ſind in dieſen Tagen Depeſchen von dort einge⸗
gangen, wir eilen uns in einer Seeſtadt zu befe⸗
ſtigen, um den Landungstruppen einen ſichern
Punet zu bieten. Morgen brechen wir nach Gran⸗
ville auf. Gelingt es uns dies einzunehmen, ſo
laͤuft ein wechſelnd Band zwiſchen uns und Engs
land hin und wieder. Sehr viel iſt dann zu
hoffen. Doch Liebe, Dir brauche ich es nicht
erſt zu ſagen, wie leicht es anders kommen kann,
gelobe mirs nun feſt Du treues Herz, daß im
Fall — laß mich es ausſagen — im Falle mein
nes Todes, Du Dich zu retten ſuchſt, und mit
den Papieren, die ich von jetzt Dir lieber, als
mir ſelbſt anvertraue, uͤber's Meer zu meinem
Sombreuil ftüchten willſt . 4 Ha ya
Eliſabeth winkte den Prinzen aufzuſtehen,
und die naſſen Augen von ihm zum Himmel
— 2
richtend, ſagte ſie mit gefaltenen aufgehobenen
Haͤnden: Gieb meiner Liebe, göttlich Weſen, Deine
Kraft, daß ſie ſich ſelbſt beſiege! — Sie blieb ei⸗
nige Minuten wie im innern Beſchauen, ſchwei⸗
gend, dann neigte ſie den Kopf ſanft auf des
Prinzen Schultern und flüfterte; ich lebe ja in
Dir, wie ſollte ich anders als nach Deinem Wil⸗
len leben! zweifle nicht, ich erfuͤlle ſtreng was
Du mir auſträgſt, und fo ſchuͤtte denn nur jeden
Wunſch in. diefe, Bruſt aus, die von nun an
ganz in dem Wehen Deiner Worte athmet! —
Der Prinz drückte einen gluͤhenden Kuß auf ihre
Stirn, ſahe ſie mit flammenden Blick an, und
ſagte: wahrhaftig! Du biſt mein hoͤheres Ref
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Zwolftes Kapitel.
Die blutige Staͤtte von Granville dampfte noch
vom heißen Kampfe, die Mauern bebten, doch
trotzten ſie dem vergeblichen Angriff. An ihrem
Fuße lagen ſterbende Vendechelden, und hoben
das gebrochene Auge, halb eee halb fra⸗
gend zum Himmel.
Zuruͤck uͤber die Loire! Zuruͤck in die er
er. riefen wilde verzweifelnde Stimmen. Zur
ruͤck über die Loire! ſeufzte Herr von Larocheja—
quelin, doch ſogleich mit klarer Feſtigkeit umherſe⸗
hend, ſagte er: Getroſt meine Freunde, uͤbereilt
nichts, gebt nichts unwiederbringlich auf, wir ero⸗
bern die Graͤnzen unſrer Provinz ſchon wieder.
Der Prinz ſahe knirſchend auf ſein verfehltes
Ziel. Es iſt vorbei! ſagte er leiſe zu Eliſabeth,
die Kuͤſte ift uns verloren, das Heer hat kein Ver⸗
— 234 —
trauen mehr, wir fechten mit der letzten Kraft,
ein jeder denkt nur noch an augenblickliche Ret⸗
tung, in die Zukunft wagt niemand einen Blick
zu werfen. Jetzt Eliſabeth, jetzt iſt es Zeit, daß
du mit Dir die Ruhe Deines Freundes retteſt,
verlaß mich jetzt. — Jetzt! rief ſie ſchaudernd,
ſie ſchwankte auf dem Pferde. Mißbrauche Deine
Gewalt nicht, ſagte fie ernſt. fordre nicht zu viel
von menſchlicher Kraft, vertraue Gott! und verz
ſtoße mich in dieſer Todesangſt nicht von Deiner
Seite, die Erfuͤllung meines Geluͤbdes hebt von
dem Augenblick an, wo Deine fliehende Seele
in meine uͤbergeht; dann werden mich Engel lei⸗
ten, bis dahin goͤnne mir den herb' und ſuͤßen
Wermuthstrank des Lebens bis auf den letzten
Tropfen mit Dir zu theilen. Der Prinz wider
ſtand ihrem Zauberblicke nicht, geruͤhrt druͤckte er
ihr die Hand. Ihm war's im Grunde der Seele
ein lieber Troſt, das theure Herz fo nahe an ſei⸗
nem zu wiſſen. So bleibe denn, ſagte er, und
Gott mache es, wie er willl
Und Gott ließ noch einmal die Sonnengluth
des Sieges vor ihm aufgehen, und ſtellte ihn
— 2 —
mitten in den Strahlenkranz hinein, daß fein ſchö⸗
nes, ſtolzes Angeſicht in den Purpurlichtern die.
truͤbe Geſchichte dieſer letzten Tage erhelle, und
der denkenden Nachwelt ein leuchtendes Bild
werde. \
Es war bei Doll, als die Blauen fie abe,
fielen, und eine große Anzahl der Gemeinde
Schaaren nach Lescur's und anderer Führer Tode,
herrenlos den Stuͤtz- und Mittelpunct vermiſſend,
auseinander liefen, und unausbleibliche Nieder⸗
lage zu fuͤrchten ſtand, daß auf dem rechten Flu⸗
gel der Prinz an der Spitze von vierhundert Reu⸗
tern dem fuͤrchterlichſten Andringen des Feindes
ſo unbiegſam und drohend widerſtand, und ganz
von dichten Morgennebeln umhüllt, wie Frank⸗
reichs auferſtandner Ritter geiſt zermalmend in die
Rebellenſchaaren ſiel, und nicht eher ruhete, bis
der Sieg ſein, und er der a * Ta⸗
10 War. „r f , ee er 08
Die Straße ae. Angers blieb jetzt 0 |
Wer ſeither verzweifelte, hoffte wieder. Der
Prinz ſahe laͤchelnd auf Eliſabeth, die unter ſtol⸗
zen Thraͤnen den koͤniglich hohen Mann betrach⸗
— 236 —
tete. Heri von Larochejaguelin flog, auf ihn zu,
ſein reines Herz glaͤnzte ihm aus den Augen, er
faßte das Prinzen Hand: Sie bereiten uns ein
Ehrenbett! rief er begeiſtert „wir oh ſchoͤn,
wenn wir fallen! — * ine
So war's denn auch. Frankreichs Erde ver⸗
1 der Treue, ſeſten Fuß auf ihr zu faſſen. An
Stehen und Halten war laͤnger nicht zu denken;
Angers wieß ſeine kuͤhnen Angreifer zuruͤck, die
Loire ſchien unwillig einen zweiten Uebergang nicht
wieder dulden zu wollen. Hin und herziehend
wandten ſich die Feldherren nach Le Mans. Die
Vruͤckentöpſe wurden gewonnen. Man drang
in die Stadt. Es war ein truͤber Einzug. Ein
jeder wußte, daß man keinem Angriff dauernd
Widerſtand leiſten konnte. Matt und Lebens;
muͤde ſahe man den Feind kommen. Er kam denn
auch. Viel Blut floß. Der Prinz ſahe einen
Huſaren auf ſich anſprengen. Er wandte ſich
nach ihm und hielt: Komm! rief er mit ſeiner
Donnerſtimme, ich erwarte Dich. Der Huſar
ſtuͤrzte den Saͤbel ſchwingend heran, der Prinz
hob mechaniſch den Arm, und ſpaltete un den
> ; 2377 —
Kopf. Er ſahe den blutenden Rumpf vom Pfer⸗
de BER Wunderbar! 1 er, ich — es
anders / Hai N
Der Tag bei Le Mans loͤſte die lockert Ban
de der zerruͤtteten Vendsearmee vollends auf. une
zaͤhliche kamen um, viele fanden ffuͤchtend ein
ſchimpfliches Grab auf dem Schaffot. Die armen
Ueberreſte zerrten ſich noch eine Weile gejagt und
verfolgt umher. Endlich hoffte Heinrich Laroche⸗
jaquelin mit den Seinen bei Ancenis über die
Loire zu geh'n. Es war vergebens! Er ſchiffte
auf leichtem Fiſcherboot hinuͤber um mehrere Fahr⸗
| zeuge vom jenſeitigen Ufer heruͤberzuholen. Zehn⸗
tauſend arme Schlachtopfer ſtarrten mit angfte
vollem Blick auf ihren Retter; er landet, loͤſt die
Stricke der angebundenen Kaͤhne, ſchon knuͤpft
er fie an cinander, ſteigt hinein, faßt das Ru⸗
der — es iſt umſonſt! Gott hat dem reinſten Ei⸗
fer ein Ziel geſetzt! Eine Patrouille der Blauen
bricht hervor, zur ſelben Zeit baricadirt eine Kar
nonierſchaluppe den Hafen, der junge Heinrich |
ſpringt an's Ufer, er rettet ſich den Säbel in der
Hand, doch abgeſchnitten iſt er nun fuͤr immer
— 238 —
von den Waffen und Leidensgefaͤhrten, Fir die
die Erde nichts als ein gaͤhnender Abgrund bleibt.
Muüͤhſam ſchleppen fie ſich an deſſen Rande hin.
Sei Savennay verkauften fie ihr Leben theu⸗
er, fie wollten dort den Loire Uebergang erzwin⸗
gen. Vergeblich Unternehmen! Frankreichs gu⸗
ter Stern ſenkte ſich bleich hinunter! Wer ſich in
Waͤldern und Graͤbern, zwiſchen Moor und Klip⸗
pen ketten konnte, that es: Andere fielen in die
Schwerdter ihrer Feinde! Der letzte Kampf war
ausgefochten! Es war vorbei.
Eliſabech lag in einem kleinen Büͤrgerhauſe
zu Savennay; verwundet und erſchoͤpft auf ders
ſelben Streu, welche auch ihren Vetter, den ches
maligen Grafen Rochefoncault aufnahm. Des
Himmels wunderbare Schickung hatte ſie ſo nahe
gebracht. Eine leichte Stirnwunde ſtreckte ſie im
Gefecht ohnmaͤchtig nieder. Jener Reuter, der
fie nach Coron führte, brachte ſie menſchlich in
dies Haus. Sie lag hier unverbunden, im hefti
gen Fieber, von allem was ſie ſahe nur undentlich
beruͤhrt. Der Graf war durch das Bein geſchoſ⸗
fen, er litt viel Schmerzen, doch gelaſſener Natur
ertrug er's ſtill, und bewahrte ſich beſonnene Theil;
nahme fuͤr Andere. Mit großer Ruͤhrung be⸗
trachtete er das junge, theure Kind an ſeiner
Seite. Zum zweitenmale, ſagte er, ſauft die
Locken von Eliſabeths heißen Wangen ſtreichend,
ſoll ich Dich vielleicht retten, denn ohne mich
warſt Du wohl auch letzt verloren.
Die Naͤhe des reinen, ihm verwandten We⸗
ſens, hier in dem engen Raume, ſo abgeſchieden
von der übrigen Welt, ſo muͤde dieſer Welt voll
Schmerz und Taͤuſchung, der Zauber freundlicher
Jugenderinnerungen, alles bewegte und ruͤhrte
an des Grafen Seele. Viel Gedanken rangen
ſich in ihm auf. Er hatte immer das Gute ge⸗
wollt, recht wahrhaft gewollt; hatte er's ver⸗
fehlt? oder war es uͤber all auf dieſer Erde nicht?
wo war es denn? aus welcher ew'gen, Sonne
ſtrahlte es nur herunter in die Menſchenbruſt?
Die Natur war ſo mild und weiſe, ihr hatte
er die gedrangte verkruͤppelte Menſchheit wie der
gewinnen wollen. Die buͤrgerliche Verfaſſung als
Gegenbild ſollte eingeborne Rechte wieder errin⸗
gen, deshalb batte er das Licht der Aufklärung
— 240 —
durch That und Beiſpiel alwi Was war
gleichwohl in ihm, und außer ihm dadurch er⸗
reicht? — Es war ſo leer in ſeiner Bruſt, der
Widerſpruch mit dem Leben aͤngſtete ihn oft
bis zur Verzweiflung. Er ſchob ſich wohl das
alte 4005 der een unter, Si 1 0 te ſch:
derſpruch! das war ni immer nicht See drum
laſſe man's geh'n wie's kann! denn iſt nichts
gut als das Ideal, ſo iſt der Meuſch der Narr
ſeiner Phantaſie, und zerarbeitet ſich umſonſt eis
nem Schatten Weſenheit zu geben! Doch der
Schmerz und die Wehmuth uͤber das Unerrrich⸗
te fragten ihn unablaͤßig, was ſind 515
wir? und was wollen wir:
Als es Abend war, und endlich Half füe
die Verwundeten angeſchafft ward, nun auch die
Reihe des Verbindens, auf des Grafen Geheiß
an Elifaberh kam, kehrte dieſer die n
zuruck. Sie ſahe gefammelt umher. Verw
det alſo nur, ſeufzte fie, ich dachte todt ur
ſiet bei ihm! — Man glaubte ſie faſele im Fies
ber und machte nicht viel d'raus. Der leichte Vers
— 241 — ů
band war bald angelegt. Sie ſaß aufrecht, den
Kopf in beide, auf den Knien geſtuͤtzte Arwe
wiegend. Man wollte ihr die naſſen, blutigen
Kleider ausziehen, und breitete einen Republika⸗
ner Mantel vor ihr aus, um ſie hineinzuwickeln.
Schau end ſtieß fie fremde Hand zuruͤck, ſie
ſahe mit langem, flehenden Blick auf den Gra
fen, und ſagte: Dulden Sie, daß man mich fo
ſehr krankt? Er betrachtete fie ſchweigend. Worte,
die ihr im Fieber entfallen waren, gaben dem
weltklugen Mann ſchon früher die Ahndung ihr
res Geſchlechts, er empfand die Gruͤnde, die ſie
in dieſe Kleider warfen, mehr als er ſie einfahe,
und ein ruͤhrendes Geheimniß ehrend, entfernte
er alles laͤſtige Andringen von dem armen Kinde.
Drauf, ohne die zarte Seele zu verletzen, ſagte
er leiſe, ich denke Sie haben dem Verwandten viel⸗
leicht irgend einen Wunſch, ein geheim Verlan—
gen zu entdecken. Eliſabeth ruͤhrte der ſanfte
Laut ſeiner Stimme unbeſchreiblich, ſie weinte
heiß, ohne ihm antworten zu koͤnnen. Sie ſind
frei, mein junges Kind, fuhr er fort, denn
mein Arm ſchuͤtzt fie, wohin denken Sie Ihre
Ir Thel. Q |
— 242 —
Schritte zu lenken? Nach England! rief ſie ſich
nell beſinnend, nach England! wenn er wirk⸗
lich — dies letztere fuhr ihr gedankenlos über
die Lippen, ſie hielt erſchrocken inne, und ſetzte
drauf hinzu, nach England moͤchte ich gern, ich
habe dort Freunde. Der Graf *
nach. So allein, ſagte er, wollen Sie die weite
Reiſe — allein! wiederholte Eliſabeth mit einem
ſchneidenden Ton, ſie druckte das Geſicht in das
Stroh ihres harten Lagers, und konnte lange
nichts ſagen und munen Din metern
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e Grafen Gb bebte leicht unter frem⸗
| RENTEN „er drang jetzt nicht weiter
in Eliſabeth, ſondern dachte nur darauf, wie dies
wunde Herz zu heilen, ene ein Balſam des
ner zu Babe maten un ee rm
Dunne e AR
Ats es bereits ee und beide, durch
inneres und aͤußeres Leiden wach erhalten, mit
offenen Augen in den kleinen, flackernden Kamin
ſahen, ward es unruhig im Haufe, Man mele
dete auch gleich darauf dem Grafen, als aͤlteſten
Officier im Orte, es ſey ein junger Geiſtlicher
ſchon ſeit mehreren Stunden zwiſchen den Todten
und Verwundeten auf dem Schlachtfelde und von
»da an den Stadtmauern hin und wieder gegan⸗
gen, man vermuthe, er gehoͤre zu dem verſpreng⸗
ten ee und 2 ihn em und m
N Be u ah
Der wu Aan ach e a Son
ae ſagte er; gewiß einer jener Fanatiker, die
ihrem Gott nicht Opfer genug ſchlachten koͤnnen.
Iſt mir wer verhaßt, ſo ſind ſie es gerade. Ihr
Wahuſinn hat Rache und Wuth uͤber alles Maaß
hinaus geſteigert. Er komme naͤher, ich will ihn
ſelbſt ſprechen. Da thun Sie gut, ſagte Eliſa⸗
beth, indem fie ſich an einen niedern Schemel ge⸗
ſtemmt, halb aufſtehend der Thuͤre zu wandte,
Sie laufen ſonſt Gefahr, ſehr ungerecht zu ſeyn.
Zwei rothe Huſaren, ſchwarze Baͤrenmuͤtzen in die
wilden Augen gedruͤckt, traten hier, die brennenden
Kienfackeln, welche ſie durch die Nacht leuchteten,
noch in der Hand, mit ihrem Gefangenen herein.
Oylranus!. rief Elisabeths lentſelig ſah der
Q 2
Juͤngling auf fie hin. Ihr Anblick that ihm
wohl, über fein ſtilles Geſicht zog ein fanfter
Glanz der Freude, er ſah ſehr ſchoͤn und far ver-
kla aus zwiſchen den rothen Fackellichtern an
ſeiner Seite. Der Graf konnte ſogleich das Wort
nicht finden, ihn anzureden, er ließ die ſtrafenden
Blicke verlegen ſinken, mit einiger Anſtrengung
ſagte er: Ihr ruhiges Aeußere paßt ſich ſehr
ſchlecht zu ſo wildem Beruf, predigen Sie mit
der Verſöhnung zugleich die Rache? Die Rache
erwiederte Sylvauus mit leiſer, durch keine innere
Bebung bewegter Stimme, iſt mir wirklich ganz
fremd, doch verſoͤhnen laßt ſich nur das Verſoöhn⸗
bare, und fo paßt es denn wohl zu meinem Bez
ruf, das Stoͤrende wegraͤumen zu helfen. Das
that ich gern, und deshalb darf ich ruhig ſeyn.
Sie ſind es nicht! rief der Graf auffahrend, Ihr
ganzes Weſen iſt ſtudirt, die Pfaffenkunſtſtuͤcke
ſind durchſchauet, ſie blenden niemand mehr. Das
glaube ich wohl, lächelte jener, denn es iſt ganz
finſtere Nacht geworden. In der Angſt vor dem
Erblinden hat man alle Lichter ausgeloͤſcht. Der
Graf fah ihn überraſcht an. Mit dem Himmel,
fuhr Sylvanus fort, hat ſich die Menge uͤber⸗
worfen, ſie verſchmaͤht trotzig ſeine Strahlen,
nun verſucht ſie's mit der Erde, und jagt nach
kleinen Funken, die dem harten Fels durch Schlag
und Reibung entſpringen, es bleibt indeß ein kale
tes, dunkles Feuer! — Der Graf fuͤhlte den
Stachel unangenehmer Wahrheit, d arum ſagte
er härter , als es feiner Natur war: Ihre ge⸗
ſtohlnen und mißbrauchten Himmelslichter lodern
nur als Aufruhrsflammen, und wollen mit Blut
geloͤſcht werden! Sie ſind es ſchon, erwiederte
Sylvanus truͤbe, was noch aus dieſen Blutſuͤm⸗
pfen aufſteigt, verglimmt, unerkannt, wie ein
Jerlicht, und niemand erwaͤrmt ſich daran. Doch!
doch! rief Eliſabeth, ſeine Hand faſſend, der
ſanfte Strahl Ihres Auges beruhigt mich allein
in dieſer Todesnacht! O Gott! nur 7 00 Fuͤh⸗
rer nimm mir nicht!
Der Graf, bemuͤht ſeine Ruͤhrung zu wei
bergen, ſah' ernſt auf Eliſabeth, und fragte faſt
verweiſend: Sind Sie ſo vertraut mit dieſes
Mannes Sinn, und weiß er ſo genau um Sie,
daß Sie ſich feiner Leitung übergeben?! — Er
weiß nichts von mir, erwiederte das bewegte
Mädchen, ich kenne ihn nur fluͤchtig, doch Hätte
ich ihn zum erſtenmal in dieſem Augenblick, hier,
ſeinem hoͤhnenden Feinde gegenuͤber geſehen, ich
wuͤßte, daß ihn 0 1 3
geh'n! U Ir
Der Graf war belegen. Er ele um
ſonſt die Frage in ſich nieder; wie dann, wenn
jener Recht hätte? Es half ihm wenig, daß «
Sylvanus Blick vermied, er empfand dis klare
Friedensauge, wenn er 5 auch nicht ſohe, | fe
Eliſabeth hilt od immer des Geiſlichen
Hand, als wolle fie ihn nicht wieder loslaſſen.
Der Graf winkte den Huſaren abzutreten. Laßt
Euten Gefangenen nur hier, ſagte er, er wird
uns nicht entrinnen. Gleichgültig verließen dieſe
das Zimmer, ſie hatten der Plackerei und des
Blutes in dem abgehetzten Leben ſatt, zudem,
entgehen wird der arme Burſche feinem Richter
doch nicht, dachten fe, und auf ſich bes
tuhen. finn a anf
Einige Minuten blieben alle drei einander
gegenüber ſtill. Der Graf ſah' nachdenkend vor
ſich nieder. Es kann ſeyn, hub er endlich an,
und Ihre Jugend läßt mich 's glauben, Sie ſind
eher Schwaͤrmer als Heuchler, Ihre Handlungs⸗
weiſe entſpringt dann aus Ueberzeugung, gleich⸗
viel welche, die Zeit wird das ſichten, immer iſt
Wahrheit! in Ihnen, das Streben darnach kann
ſich vergreifen, es iſt doch Wahrheit. Ich will
das glauben, ich will nicht richten wo ich nicht
pruͤfen kann, die Richterwage paßt ſich uͤberall
nicht für meine Hand, ich habe es ſtets verſchmaͤh 't.
davon Gebrauch zn machen, und mein Geſchick
geprieſen, wenn es mir vergoͤnnt war, ihrer
Strenge arme Opfer zu entruͤcken. Deshalb ru⸗
hen Sie getroſt einige Stunden unter dieſem
Dach. Vielleicht, daß wir uns doch verſteh'n,
ſchon um des. zarten Kindes willen, de |
ah ſo RR liegt. 5 N
um wie v reiner, BR nis Pi
as Ihr ſchoͤnes Herz, als Ihr Glaube! Sie
find ſo innig gut, das weiß der Himmel auch
— 248 —
gewiß, und deshalb ſage ich weiter nichts, die
Feinde zu beſtreiten, die zwiſchen Gott und Ih:
nen ſteh'n. Doch zu dem lieben warmen Herzen
muß ich reden, das mich gewiß verſteh'n wird.
Mein theurer Anverwandter, mein edler Noche⸗
foucault, ein Geluͤbde zwingt mich, Sie jetzt, in
dieſer Nacht noch zu verlaſſen. Hoͤren Sie mich
aus, bat fie ihn dringend, ich kann, ich darf, ſo
bald ich frei bin, keine Minute verſaͤumen, ich
muß — ſie ſchauderte erbleichend zuſammen —
ich muß Prinz Talmont's Leiche, oder ihn ſelbſt
aufſuchen. Ihre Lippen zitterten, ohne Thraͤnen
ſtarrten die Augen am Boden. Im erſten Fall
führe mein Weg nach England, das fordert ein
heiliges Wort — im letztern — lieber Gott! ſie
ſah' zum Himmel auf, das wird nicht ſeyn, das
iſt gewiß nicht, er iſt wohl zuverlaͤßig todt. —
Mein Kind, ſagte der Graf langſam, das Herz
verſchlang die Worte wieder, mein Kind, der
Prinz iſt in Laval. O Jeſus! ſchrie Eliſabeth.
Doch iſt er dort nicht frei, fuhr der beklommene
Graf fort, ich habe vor einer Stunde erfahren,
man halte den Prinzen auf ſeinem eigenen Schloß
— 249 —
gefangen. Er wird von einem Kriegsgericht ver⸗
urtheilt, ich zweifle nicht, das letzte ſagte er kaum
noch hoͤrbar, man geht ihm an das Leben! —
Eliſabeth lag wie eine gebrochene Lilie in Sylva⸗
nus Armen. Ach Gott! das arme Herz! es hatte
ja noch immer ſtill gehofft. Nun war es aus,
ihr letzter Hoffnungsſtrahl erloſchen. Du ewige
Vorſehung! ſtammelte ſie. Auf meinen ſtolzen,
Schönen Löwen werden fie die abgerichteten Hunde
hetzen. Gefangen! gefangen! wiederholte ſie im⸗
mer vor ſich hin; ach! nicht einmal den freien
Heldentod hat er errungen! Laſſen Sie mich noch
einmal zu ihm, bat ſie faſt vor dem Grafen knie⸗
end, die Todesangſt entreißt mir, mein tiefes, un⸗
entweih' tes Geheimniß, ich bin ein Maͤdchen.
Herr Graf, des Prinzen reine, angebetete Ger
liebte, feine Waffengefaͤhrtin, das Heiligthum ſei⸗
ner ſtolzen Bruſt, er kann nicht ſelig ſterben, oh⸗
ne mich zu ſegnen; ſenden Sie mich und hier
meinen frommen Bruder hin nach Laval, erſin⸗
nen Sie ein Maͤhrchen, erdenken Sie etwas, das
uns die Thore feines Gefaͤngniſſes öffnet, laſſen Sie
uns gleich, — Ungluͤckliche, unterbrach ſie der Graf,
was fodern Sie! bin ich allmaͤchtig? kann ich
Sie durch die Luͤfte tragen? Und koͤnnte ich es, —
mein armes Mädchen, was waͤre Ihr Gewinn?
würden Sie ihn retten? und braͤchen Sie ihm
nicht mit Ihrem Leid das Herz? — Alles was
ich fuͤr jetzt zu thun weiß, ſetzte er nach kurzem
Beſinnen hinzu, iſt, dem Prinzen ein Blatt von
Ihrer Hand zuzuſtellen. Hier, ſagte er, ihr ein
feines Pergament und einen Griffel in die zit⸗
ternde Hand druͤckend, ſchreiben 0 der 2
Wen es 8 8 W ud
un en, . mit Sylvanus, dann
kniete ſie, er legte ſeine Hand ſegnend auf ihre
Stirn, beide beteten ſtill und feierlich. Sie ſeufzte
noch einmal ſehr tief, dann trat ſie an das Feuer,
und das Taͤfelchen auf den Kaminſims legend,
ſchrieb ſie: ö Sam
Sie ſagen, mein hoher Freund, Du wer⸗
deſt ſterben. Ich denke es nicht. Ich fuͤhle Dich
wie ſonſt in mir, was ſoll Dich da toͤdten? wer
iſt es denn als Du, der dieſe Worte aus mir
— 251 —
ſpricht. Es iſt Dein Geiſt, mein Talmont, Dein
unſterblich Leben, das in mir lebt. Dein Wille
trägt mich mit Adlerfluͤgeln übers Meer. Sieh!
ſo ſind wir Eins geworden. Ich weiß nichts mehr
von Trennung. Nur die armen, verlaſſenen Erz
denaugen ſollen Dich nicht wieder ſehen! Ich will
mir ſie blind weinen, damit ſie nichts, in der
ganzen Welt nichts mehr ſehen ! Mit einem Fuße
bin ich ſchon von der Heimath abgeloͤſt! Die
Loire fließt Nacht und Tag in die See hinein!
Ihr Wellenſchlag ruft mich, die feuchte Nebel⸗
inſel da drüben winkt, ich eile, mein Liebling!
Denkſt Du ich laſſe Dich hier zuruͤck? — nein
Talmont, ich nehme Dich mit hinuͤber, wer
ſtreitet mir, daß ich Deine liebe Naͤhe fuͤhle, daß
ich Dich umſchlinge und halte wie ſonſt! Mein
Held, mein angebeteter Freund ſagſt Du es an⸗
ders?“ 7 .
Ihr Kopf erhitzte ſich während des ee
bens. Sie gab das Blatt mit ſonderbarem Laͤ⸗
cheln dem Grafen, und ſank gleich darauf in ei⸗
nen Schlaf, der ihr mit bleiernem Gewicht Auge
und Sinne verſchlo ß
— 252
Indeſſen ſtand der Prinz in ſeinem Schloſſe
vor teufliſchen Blutrichtern, die durch haͤmiſche
Neckerei feinen Lebensfaden hin und her zerrten.
Er lehnte ſchweigend an einem Wandpfeiler, und
erwiederte auf alle ihre Fragen nichts, als: ich
that meine Schuldigkeit, thun fie die ihrige! —
In der letzten Lebensnacht erhielt er Eliſa⸗
beths Zeilen, von einem ruhig freundlichen Be;
richt des Graſen begleitet. Er ſaß am Clavier,
die niederfallende Hand ließ chen noch den letz⸗
ten Ton verhallen. Eliſaberh! rief er entzuͤckt!
Er las, und uͤberlas immer wieder die lieben
Worte! Sein dankend Auge hob ſich zum Him—
mel auf. Du biſt gerettet, ſagte er, Gott will
uns noch nicht ganz verderben! Er druͤckte das
kleine liebe Blatt auf ſeine Bruſt. Er ſaß noch
einige Minuten ſinnend, darauf ſchrieb er. *
„Mein Herz! ich reiſſe mich blutend von
Dir los. Warum muß ich Dich hier zuruͤcklaf⸗
ſen! — So ſey Du denn der Heerd und Umtrieb
neuer Lebenskeime. Raͤche Deinen Freund, Elifas
— 253 —
beth! Du biſt zu hoch fuͤr die Klage. Dich fo⸗
dert die That. Laß allen Stolz meiner Bruſt in
Deine uͤbergeh'n. Wende dieſem Frankreich den
NMuͤcken, bis Du es wiedererobern kannſt. Eliſa⸗
beth, mein ſtarkes Heldenmaͤdchen, es 1 vorbei!
Gott ruft! Ich verſtumme!
Der Tag brach an. Die Trommel ward im
Schloßhofe geruͤhrt. Truppenabtheilungen mar⸗
ſchierten hinein. Der Prinz ſahe ſie muſternd
vor ſeinem Fenſter, als ſolle er mit ihnen ins
Feld ruͤcken. Ein junger Officier der bei ihm die
Wache hatte, trat herein. Prinz Talmont ‚fabe
ihn ernſt und pruͤfend an. Hoͤren Sie, junger
Menſch, ſagte er, Ihr Ehrenwort, daß Sie die⸗
ſen Brief, die Schaͤrpe und den Saͤbel den ich
trug, ſogleich nach meinem Tode zu dem Oberſt
Larochefoucault nach Savennay beſorgen. Der
Jüngling von ſeinem Blick und Ton erſchuͤttert,
entgegnete in großer Ruͤhrung: mein General,
Ihre Befehle ſollen ſtreng erfuͤllt werden. f
Noch einmal wandte ſich der Prinz zu Gott
zuruck, dann ſchritt er ſehr ruhig in den Schloß⸗
— 25641 —
hof. Bei ſeinem Erſcheinen traten die Sri
unters Gewehr. Er ging bis mitten auf den
Platz, ſah' ſich befehlend um, winkte und kom⸗
mandirte dann mit ſtarker Stimme die Gvena;
diere, welche auf ihn anſchlugen. Ein Augen⸗
blick vollendete dies Heldenleben! Er ſiel ohne
Schmerzenszuckungen rt und unentſtellt.
Des Schiffes Wimpel wehete ſchon. Eliſa⸗
beth, den letzten Gruß des ſterbenden Freundes
in der Hand, ſein Heldenſchwerdt um ihre Huͤfte,
gruͤßte mit ſcheidendem Blick den edlen Grafen,
der liebend ihre Flucht bereitete, und ſegelte an
Sylvanus Seite hinein in die wogende Soe.
Ende des erſten Theils.
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2
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2 5
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
La Motte-Fouque, Caroline
Auguste von Briest, Freiin
Das Heldenmadchen aus de
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